Dramatura

Nach Zentralmatura-Panne: Warum das Bifie außen pfui und innen hui ist

Schule. Warum das Bifie außen pfui und innen hui ist

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Selige Zeiten waren das, als man es sich im Windschatten Kreiskys gemütlich machte. Der Alte hatte mit seinen Bildungsreformen die Welt in Ordnung gebracht. Zwar gab es ein paar Wissenschafter, die es besser wussten. Doch sie konnten die Ruhe nicht stören, weil sich Österreich internationalen Erhebungen entzog.

Zu jenen, die seit Langem darauf drängten, sich dem harten Licht der empirischen Forschung auszusetzen, gehörte Günter Haider. 2001, mit dem ersten PISA-Bericht, kam die Wende: Zunächst lag Österreich noch passabel im Mittelfeld.

Die Platzung verdankte das Land einem Stichprobenfehler. Der Schock fuhr drei Jahre später ein, als die Werte in den Keller fielen und ÖVP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer mit dem Finger auf die Migranten zeigte. „Sie sind es, die uns hinunterreißen“, lautete ihre Botschaft.
Auf einer Tagung der Armutskonferenz leiteten Forscher die Geburt der Bildungsempirie ein: Das heimische Bildungswesen laboriert bis dato am hohen Anteil an Risikoschülern und gravierenden sozialen Ungerechtigkeiten. Ein Viertel der 15-Jährigen kann am Ende der Schulpflicht nicht richtig lesen und schreiben.

Das Verhältnis zwischen Lehrerschaft, Politik und den Lieferanten empirischer Evidenz war von Beginn an gespannt. Und das ist es bis heute geblieben, wie die Chaos-Wochen des Bifie zeigen: Erst brachte ein vermeintliches Datenleck das Institut für „Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des Schulwesens“ in Verruf. Dann hielt eine Pannenserie rund um die Zentralmatura die Bildungsministerin in Atem.

Vergangene Woche kniete Gabriele Heinisch-Hosek so lange auf den Bifie-Direktoren, bis diese bereit waren, Ende Juli ihre Posten zu räumen. Ihr Vorgänger Günter Haider hob das Telefon nur noch sporadisch ob, so fassungslos war er über die „fortschreitende Beschädigung des Instituts“. Die Bifie-Mitarbeiter dürfen mit Journalisten nicht sprechen. Ihre demissionierenden Chefs, Martin Netzer und Christian Wiesner, wollen nicht. Dabei gäbe es über das Haus durchaus Gutes zu berichten.

Als Claudia Schmied (SPÖ) am Wiener Minoritenplatz einzog, nützte sie den im Wahlkampf entfachten Reformeifer, um 2008 das Bifie zu gründen. Die Schulen zwischen Vorarlberg und dem Burgenland sollten sich endlich von außen betrachten, so die Idee. Das neue Institut sog die Expertise der Empiriker in Salzburg und diverser Zentren für Schulentwicklung und Begleitforschung in Wien, Graz und Klagenfurt auf.

Mit heißer Nadel wurde ein Gesetz gestrickt und das Bifie zur juristischen Person öffentlichen Rechts ausstaffiert, gesteuert von einem Aufsichtsrat, der die staatlichen Interessen vertritt, und einem wissenschaftlichen Beirat. In der Praxis blieb es jedoch ein seltsamer Zwitter zwischen unabhängiger Forschungseinrichtung, politischem Thinktank und hoheitlicher Verwaltung – mit einem ungeklärten Verhältnis zum Ministerium, von dem es finanziell abhängt.

Haider, sein erster Direktor, liebte es, mit Fakten die Debatte über die Vererbung von Bildung zu befeuern. Ministerin Schmied klagte: „Er treibt mich vor sich her!“ Als sie begann, den Forschern ungeniert dreinzureden und kritische Resumees zu beeinspruchen, war es mit der gedeihlichen Zusammenarbeit vorbei.

Die Frage, wie eine politiknahe empirische Forschung aufzustellen ist, scheint aktueller denn je: Sollen Bifie-Experten ihre Zahlenkolonnen brav abliefern und deren Interpretation dem Ministerbüro überlassen? Dürfen sie ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen und diese auch öffentlich diskutieren? Bis heute wird an den Bifie-Standorten unterschiedlich gearbeitet und gedacht: In Graz ist eine überschaubare Beamtenschaft für die Evaluierung der Neuen Mittelschulen (NMS) zuständig. In Wien tüfteln 40 bis 50 Mitarbeiter des „Bifie alt“ an der Zentralmatura. In Salzburg arbeiten renommierte Wissenschafter an nationalen und internationalen Erhebungen, von Bildungsstandards bis PISA.

Bifie-Chef Haider stand mit dem ehemaligen Landesschulinspektor Peter Lucyshyn ein Co-Direktor zur Seite. Das Duo zankte sich ständig. „Unsere Arbeit hat unter ihren Querelen oft gelitten“, stöhnt ein ehemaliger Mitarbeiter. Im März 2012 wurde Lucyshyn abberufen, offiziell wegen „wesentlicher Schwächen im Kontrollsystem“. Ein Jahr später lief Haiders Vertrag aus.

Ihnen sollten handzahme Gefolgsleute folgen. Der eine, Martin Netzer, Gehrers früherer Kabinettchef, der andere, Christian Wiesner, Ex-Bifie-Projektmanager in Salzburg, ein roter Kandidat. Tatsächlich kehrte an der Spitze ein wenig Ruhe ein, allerdings nur vorübergehend. Nun ist auch dieses Duo schon wieder Geschichte. Im August übernimmt ein interimistischer Leiter das Steuer. Im Gespräch ist Sektionschef Christian Dorninger, der bereits 2012 hinter dem geschassten Direktor Lucyshyn aufgeräumt hatte.

Neue Köpfe können freilich nichts daran ändern, dass es das Bifie im Spannungsfeld zwischen Politik und Forschung wie eh und je beutelt. Natürlich dürfen Lehrer nicht erst am Tag der Englisch-Matura erfahren, dass sich der Beurteilungsschlüssel geändert hat. Selbstverständlich sollten unvollständige Mathematik-Aufgaben die Druckerei nie verlassen. So wie es nicht passieren dürfte, dass die Deutsch-Matura mit dem verfänglichen Text eines Nazi-Mitläufers bestritten wird, bei dem die historischen Bezüge fehlen.

Doch auch in der Schweiz oder in Deutschland gibt es Peinlichkeiten am laufenden Band, ohne dass jemand deswegen die Zentralmatura abschaffen will, sagt der Erziehungswissenschafter Helmut Fend, der in Zürich lehrte und dem wissenschaftlichen Beirat des Bifie vorsitzt: „Es ist in diesen Ländern common sense, dass die Zentralmatura ein Leistungsniveau sichert und das Vertrauen in die Schulen stärkt.“

In Österreich hingegen wird jede Panne genützt, alles in Frage zu stellen. Eine Erfahrung, die auch Ex-Direktor Haider in den Knochen sitzt: Ein Mal habe ein wegen fehlender Testhefte erzürnter Direktor allen Ernstes zuerst einen Journalisten und danach erst im Bifie angerufen: „Sein Problem war in einer halben Stunde gelöst, aber wir sind in der Zeitung gestanden.“

Inzwischen herrscht in den Bifie-Büros ein fast paranoides Klima, sagt ein Mitarbeiter: „Alles muss geheim, superschnell und hundertprozentig sein.“ Die Angst, beim geringsten Fehler in der Luft zerrissen zu werden, macht erst recht anfällig für Pannen. Laut Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen, hatte das Ministerium die Order ausgegeben, alle Unterlagen, die älter als ein halbes Jahr sind, wegzuwerfen. Statt ursprünglich fünf Wochen blieben am Ende nur zwei Wochen Zeit, neue zu drucken: „Diese Hektik hat dazu beigetragen, dass die Kontrolle versagt hat.“

Die Mädchen und Burschen mussten warten, bis die fehlenden Mathematik-Aufgaben aus dem Internet heruntergeladen waren. Mehr ist nicht passiert. Umso größer war die Empörung der Lehrerschaft. Es könnte ihre Skepsis dem Bifie gegenüber lindern, wenn sie – wie in Deutschland – bei der Erstellung der Maturaaufgaben eingebunden wären. Dafür plädiert der Linzer Bildungsforscher Johann Bacher.

Den Aversionen gegen internationale Bildungsvergleiche ist schwer beizukommen. Alle drei Jahre treten 4000 von 240.000 Schülern zum PISA-Test an. Dennoch beschweren sich Lehrer, über die „ewige Testerei“. Sie führe dazu, dass „die Beziehungsarbeit in den Schulen verlorengeht“, sagt Erwin Greiner, ehemaliger AHS-Direktor und Mitarbeiter bei Teach for Austria, einer Initiative, die junge Akademiker als Lehrer an Problemschulen vermittelt.

Bifie-Errungenschaften wie der „faire Vergleich“ finden über die Landesgrenzen hinaus Beachtung. Er zeigt, an welchen Standorten das Beste aus den Kindern herausgeholt wird und wo die Leistungen – gemessen an der Ausgangslage – unter den Erwartungen bleibt. Verständlich, dass nicht alle Lehrer dankbare Abnehmer dieser Auswertungen sind.

Als Heinisch-Hosek das angebliche Datenleck nützte, um sämtliche Bildungstests auszusetzen, wurde dies von vielen beifällig quittiert. Nun schauen Bifie-Mitarbeiter vom Fenster aus zu, wenn Lkws vorfahren, um überflüssig gewordene Unterlagen zu shreddern, und rätseln, ob es der Ministerin wirklich nur darum geht, das Vertrauen in ihr Haus wiederherzustellen.

Deutschland, das seinen PISA-Schock 2001 durchmachte, hat seither in allen Fächer zusammengerechnet um 100 Punkte zugelegt. Schweden fiel um 100 Punkte zurück. Befunde können schmerzlich sein. Doch sie sind unersetzlich, wenn es darum geht, die eigene Richtung in einem Kosmos zu bestimmen, in dem alle anderen sich auch bewegen. Fend: „Hier nachzulassen, wäre ein echtes Drama.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges