ÖVP

Nehammers Österreichplan: Wiederentdeckung der Marktwirtschaft

Karl Nehammer will die ÖVP wieder zur Wirtschaftspartei machen. Dazu muss er ihr die Staatsgläubigkeit austreiben.

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Sein zentrales politisches Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ widmete der 1992 verstorbene österreichische Ökonom und Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Friedrich August Hayek „den Sozialisten in allen Parteien“. Er vertrat scharfe liberale Positionen, links von Ronald Reagan und Margaret Thatcher sah Hayek ausschließlich „Sozialisten“ am Werk. Auch die ÖVP hätte er wohl nicht unbedingt als liberale Organisation eingestuft. Dass seine Partei vom marktwirtschaftlichen Pfad abgekommen ist, muss auch Karl Nehammer bewusst geworden sein. In seinem vergangene Woche in Wels präsentierten „Österreichplan“ fordert der Bundeskanzler und ÖVP-Obmann „einen Regimewechsel in Österreichs Wirtschaftspolitik“, „eine Abkehr von Interventionalismus und Etatismus der vergangenen Krisenjahre“ und „eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft“.

Mangelnder Sparwille

Leicht wird dieser Weg nicht, eher beschwerlich. In der Coronapandemie wurden selbst eingefleischte Liberale plötzlich pragmatisch und hielten staatliche Eingriffe in die Wirtschaft für notwendig. Die ÖVP war schon davor eine etatistische Partei, die sich lieber auf die öffentliche als die „unsichtbare Hand“ verlässt, die nach Adam Smith dafür sorgt, dass Kapitalismus und Gesellschaft funktionieren.

Am Beispiel des Budgets: In der Fiskalpolitik stehen marktwirtschaftlich verfasste Parteien für Austerität. Denn „die Schulden von heute“, so der klassische Kalauer, sind bekanntlich „die Steuern von morgen“. Allerdings übt sich ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner nicht gerade in Budgetdisziplin, auch nach dem Ende der „Koste es, was es wolle“-Philosophie während der Pandemie. Zwar wird Österreich 2024 das sogenannte Maastricht-Kriterium von drei Prozent des BIP einhalten, das die EU als Höchstgrenze bei Neuverschuldungen zulässt. Das Defizit hätte aber auch geringer ausfallen können, und Österreichs Gesamtverschuldung wird in den kommenden Jahren mangels ausgeglichener Haushalte weiter ansteigen. Der Präsident des über die Staatsfinanzen wachenden Fiskalrats, Christoph Badelt, nannte Brunners Budgetkurs „nicht wahnsinnig ambitioniert“.

In der Theorie sieht das auch Nehammer so. Im „Österreichplan“ fordert er „Reduktionen der nach der Krise entstandenen hohen Defizite“ und die „langfristige Erreichung eines ausgeglichenen Bundesbudgets“. Allerdings würden die im „Österreichplan“ geforderten Maßnahmen die Ausgaben des Staates weiter erhöhen, ohne dass eine Gegenfinanzierung vorgesehen ist. Im Gegenteil: Durch die – aus wirtschaftsliberaler Sicht begrüßenswerte – Abschaffung der kalten Progression entgehen dem Staat Milliardeneinnahmen.

Schwarze Interventionen

Auch im Kampf gegen die Teuerung setzte die Kanzlerpartei auf pauschalen staatlichen Interventionismus statt auf gezielte Maßnahmen. Im Dezember 2023 beschloss sie mit den Grünen im Nationalrat eine kollektive Preisbremse für alle geregelten Mieten. Dieser Mietpreisdeckel sieht vor, dass Mieten bis 2027 nicht mehr um die tatsächliche Inflation, sondern maximal um fünf Prozent erhöht werden dürfen – und auch danach darf nur ein Teil der Teuerung auf die Mieten aufgeschlagen werden. Für das Jahr 2024 entfällt die Wertanpassung komplett.

Die Koalition erfüllte damit die Wünsche von Arbeiterkammer, ÖGB und SPÖ, auch wenn diese eine noch drastischere Bremse gefordert hatte. Kanzler Nehammer meinte sogar, die Regierung würde sich auch eine entsprechende Regelung für freie Mietverträge vorstellen können. Dies sei aber um einiges komplexer, da in private Verträge eingegriffen werden müsse.

Nehammers Äußerungen mussten alle Eigentümer von Mietwohnungen als Drohung verstehen. Wo der Staat aus dem Nichts in die Vertragsfreiheit eingreift, zählt das Verfügungsrecht über das Eigentum nicht mehr.

Mittlerweile hat die ÖVP beschlossen, wieder Partei der Immo-Eigentümer sein zu wollen. Im „Österreichplan“ kündigt Nehammer an, die Eigentumsquote bis 2030 von 48 auf 60 Prozent heben zu wollen. Ermöglicht werden soll dies unter anderem durch einen weiteren Eingriff in den Markt. So sollen gemeinnützige Wohnungen in Zukunft von ihren Mietern erworben werden können, allerdings nicht zum am Wohnungsmarkt gebildeten Verkehrswert, sondern zu den indexierten Errichtungskosten. Im Grunde ist dies eine staatliche Subvention.

Wo bleibt der Freihandel?

Einzelne Signalwörter für wirtschaftsliberales Gedankengut sind im „Österreichplan“ nicht zu finden: etwa „Freihandel“ oder „Wirtschaftsabkommen“. Stattdessen setzt Nehammer auf ein protektionistisch anmutendes „Europe first“-Konzept, das – wohl in Anlehnung an Donald Trumps „America first“ – zweierlei bewirken soll: nämlich „die Steigerung“ sowohl „der Wettbewerbsfähigkeit“ als auch „des Schutzes“ der österreichischen und der europäischen Wirtschaft. Friedrich August Hayek würde einwenden, dass der Schutz der Wirtschaft deren Wettbewerbsfähigkeit nicht steigert, sondern reduziert. Aber so marktradikal will die ÖVP dann auch nicht sein. Und der Schutz der schwarzen Bauernschaft steht immer noch ganz oben auf der ÖVP-Agenda. In der Debatte um das EU-Südamerika-Freihandelsabkommen Mercosur warnte sogar Kanzler Sebastian Kurz im Juli 2019 in der „Kronen Zeitung“ vor dem Import von „Ramschfleisch aus Südamerika“.

Die Wiederentdeckung der Marktwirtschaft wurde vor allem vom ÖVP-Wirtschaftsbund forciert. „Wir dürfen kein Nanny-Staat werden“, sagt dessen früherer politischer Direktor Magnus Brunner. Manche Wirtschaftsbündler sprechen etwas despektierlich von einer „Entziehungskur“, der sich die staatsgläubige Parteiführung unterziehen müsse. Denn derzeit stehen an der ÖVP-Spitze mit Obmann Karl Nehammer, Klubobmann August Wöginger und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka mehrheitlich Vertreter des Angestelltenbunds ÖAAB, der stark von der marktfernen Beamtenschaft geprägt ist. Daher dürfen sich die Beamten auch stets über rasche und großzügige Lohnerhöhungen durch ihren Arbeitgeber, den Staat, freuen, während etwa Industrie- und Handelsbeschäftigte beziehungsweise deren Gewerkschaften monatelang um jedes Promille Lohnerhöhung raufen müssen.

Mehr Staat, weniger privat

Für erhöhte Erregung in wirtschaftsliberalen Kreisen sorgte 2011 die damalige ÖAAB-Obfrau Johanna Mikl-Leitner, als sie mit dem Kampfruf „Her mit dem Zaster, her mit der Marie“ Steuern auf Spekulationsgewinne forderte. Unter Kanzler Nehammer (ÖAAB-Generalsekretär von 2016 bis 2018) wurden zwar nicht Abgaben auf Aktienspekulationen eingeführt, aber immerhin sogenannte „Übergewinne“ oder „Zufallsgewinne“ von staatlichen oder teilstaatlichen Energiekonzernen abgeschöpft. Erst in der Vorwoche verlängerte die Regierung die Maßnahme bis Ende 2024, ebenso die Strompreisbremse.

Auch den Begriff „Privatisierung“ – etwa in Zusammenhang mit staatlichen oder teilstaatlichen Energiekonzernen – sucht man im „Österreichplan“ von Nehammer vergeblich. Tatsächlich wurde er aus dem ÖVP-Vokabular schon vor langer Zeit gestrichen. Politisch marschierte die Volkspartei unter Sebastian Kurz sogar in die Gegenrichtung. So sollte die Beteiligungsholding ÖBAG nach den ÖVP-Plänen bis zu 100 Leitbetriebe im Land identifizieren und sich an diesen gegebenenfalls beteiligen, um sie vor ausländischen Übernahmen zu schützen.

Man sieht: Die Zeiten von Wolfgang Schüssel sind lange vorbei. Der frühere ÖVP-Obmann und Bundeskanzler propagierte nicht nur einen klaren „Mehr privat, weniger Staat“-Kurs, sondern wagte auch Großprojekte wie eine Pensionsreform. Schon im April 2021 warnte er – wohl auch seine Partei – vor „naiver Staatsgläubigkeit“. Schüssel damals: „Von der Idee, dass der Staat alles kann, müssen wir uns verabschieden. Wir müssen uns mit Wachstumsstrategien weiterhangeln – wie Tarzan.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.