Volkspartei

Nehammers Programm: Wirtschaftsliberal, populistisch und skurril

Der ÖVP-Kanzler stellt heute seinen „Österreichplan” vor. Zu erwarten ist ein klassisches Mitterechts-Programm - aber ohne Gegenfinanzierung und mit ein paar Leuchtraketen für Freiheitliche. Darunter auch Kurioses.

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ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer wird in seiner heutigen „Österreichrede” tun, was ein Mitterechtspolitiker eben so tut: Er wird für Steuersenkungen für „Leistungsträger” (ist gleich Arbeitnehmer und Selbstständige) eintreten, er wird sich gegen zu starke Regulative für Unternehmen aussprechen und die „Übererfüllung” von EU-Vorgaben kritisieren, er wird den Wert der Familie betonen und sich mit frauenpolitischen Ansagen zurückhalten. 

Und er wird, ganz in der Tradition von seinem Vorgänger Sebastian Kurz, das heikle Thema Pensionen weitestgehend aussparen. Lediglich Anreize zum späteren Pensionsantritt sollen gesetzt werden. Die wichtige Wählergruppe der Senioren soll unter keinen Umständen verschreckt werden.

Nehammer legt damit einen starken Fokus auf eine liberale Wirtschaftspolitik. Er hat aber auch ein paar Leuchtraketen für jene Wählergruppe im Programm, um die sich die ÖVP mit der FPÖ duelliert: Vom Kanzler sind restriktive, fast schon rechtspopulistische Ansagen zur Asylpolitik zu erwarten, dazu gleich mehr. Die blau-türkisen Wechselwähler hat er wohl auch im Blick, wenn er ein neues Nationalstadion fordert – oder ein Genderverbot.

profil liegt das 82-seitige Quasi-Wahlprogramm von Nehammer vor, mit dem er seine Position als designierter Spitzenkandidat der Volkspartei einzemmentieren will. Die offensichtlichste Schwachstelle des Forderungskatalogs lässt sich schnell identifizieren: Während Nehammer den Eingangssteuersatz von 20 auf 15 Prozent senken will und die Steuerklasse von 48 Prozent (mit einem Jahreseinkommen ab 67.000 Euro) streichen will, soll gleichzeitig das Staatsdefizit sinken. Wie die Republik auf Steuereinnahmen verzichten soll und trotzdem mehr Budgetmittel für den Schuldendienst findet, bleibt in dem Dokument unerwähnt. Experten übten gegenüber profil bereits Kritik am Wirtschaftspopulismus des Kanzlers – siehe hier.

Neben der fraglichen Gegenfinanzierung finden sich in dem Programm noch einige weitere skurrile Punkte – eine unvollständige Zusammenfassung.

1. Gefängnisse im Ausland

Dass die ÖVP eine Verschärfung des Fremdenrechts präferiert, ist bekannt. Geht es nach dem türkisen Kanzler, sollen Asylwerber in Zukunft keinen EU-Boden mehr betreten. Ihr Asylverfahren soll nach britischem Vorbild in Verfahrenszentren in Drittstaaten wie Ruanda geführt werden. Neu ist, dass die Volkspartei die Errichtung von Justizvollzugsanstalten auf ausländischem Territorium prüfen möchte.

2. Beschlagnahmung von Eigentum

Geflüchtete sollen die Kosten, die während ihres Asylverfahrens entstehen, selbst tragen. Um das zu garantieren, fordert Nehammer Asylwerber auf, sich ihrer Wertsachen zu entledigen. Alleine ist er mit diesem Vorschlag in der EU nicht. 

Schon 2016 beschloss die dänische Regierung das umstrittene „Schmuckgesetz”, welches den örtlichen Behörden erlaubt, Flüchtlingsvermögen bis zu umgerechnet 10.000 Euro zu konfiszieren. Von Experten wird kritisiert, dass das Gesetz bisher kaum Anwendung fand und lediglich der reinen Symbolpolitik diente.

3. Klarnamen-Pflicht im Internet 

„Das Internet darf kein identitätsfreier Raum sein”, heißt es im „Österreichplan”. Kanzler Nehammer sieht die Notwendigkeit, eine Klarnamenpflicht im digitalen Raum einzuführen. Wie dies überhaupt (technisch) möglich sein soll, lässt das Programm offen. Experten halten den Plan für undurchführbar.

4. Apps von Kindern

Coding, damit ist das Programmieren von Software-Anwendungen gemeint, soll ab der fünften Schulstufe Teil des Lehrplans werden. „Im Jahr 2030 sollen etwa Kinder an Österreichs Schulen lernen, Apps zu entwickeln”

5. Windkraft? Nein, danke

Die ÖVP möchte den Erneuerbaren Ausbau vorantreiben. Von Photovoltaik, Wasserkraft und Geothermie bis hin zu Biomasse und Wasserstoff soll Österreich autark mit klimafreundlicher Energie versorgt werden. Mit keinem einzigen Wort wird aber im Programm die Windenergie erwähnt, obwohl der heimische Windkraft-Ausbau nur schleppend vorangeht. Während Photovoltaik und Wasserkraft in den kalten Jahreszeiten keine Energie liefern, produzieren Windräder weiter konstant Strom - weshalb sie aus Sicht von Fachleuten der wichtigste Baustein zur Energiewende wären.

Ein Thema wird Nehammer heute sicher nicht ansprechen, wie sein Team versichert: Wann die Nationalratswahl stattfindet, die spätestens im September ansteht.

Kevin Yang

schreibt im Rahmen des 360° JournalistInnen-Traineeship für profil.