Brennendes Asylheim in Baden-Württemberg.

Neonazis online und offline: "Die Übergriffe nehmen zu"

Mehr Hasspostings, mehr Angriffe auf Flüchtlingsheime: Wie die Wut im Netz den Rechtsradikalen hilft.

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2015 ist ein gutes Jahr für Neonazis. Sie profitieren von der Hetze im Netz, online können sie Nachwuchs rekrutieren und offline steigt die Aggression gegen Flüchtlinge. Auch in Österreich.

Kein Zufall. Die rechtsextreme Szene ist für die schlechte Stimmung gegen Asylwerber mitverantwortlich. Fünf Fragen und Antworten zu den Tricks der Rechtsradikalen im Netz: die Asyldebatte als Nährboden für Neonazis.

Gibt es eine digitale Medienstrategie der Rechtsradikalen?

Eindeutig, das ist auf Facebook zu beobachten. Viele Fansites geben vor, dass sie von "besorgten" Bürgern gegründet wurden. Häufig steckt aber die organisierte Rechte dahinter. Das beste Beispiel stammt aus Deutschland. Im Jahr 2013 tauchten lokale Facebook-Gruppen gegen Asylheime in der geografischen Umgebung auf, viele nannten sich "Nein zum Heim" - etwa "Nein zum Heim in Oranienburg". Viele dieser Sites verwendeten ähnliche Logos und einheitliche Rhetorik . Wie sich herausstellte, war dies eine landesweite Kampagne der NPD, der Kleinpartei mit Verstrickungen zum Neonazimilieu. Die aktuelle Stimmung gegen Flüchtlinge ist eine rechte Erfolgsgeschichte -von der hierzulande die FPÖ profitiert, die viele aggressive Postings auf ihren Fansites stehen lässt.

Hat sich die rechtsradikale Szene verändert?

Die neue Rechte setzt online oft subtile Codes ein. Klassische neonazistische Parolen lehnen viele Bürger ab - Adolf Hitler oder die Wehrmacht sind tatsächlich tabu. Ganz anders ist das beim Unbehagen gegen Asylwerber. "Die Flüchtlingsdebatte bietet ein Einfallstor für Rechtsradikale - hier können sie eine größere Menge von Menschen ansprechen, nicht nur überzeugte Neonazis", sagt Simone Rafael, Chefredakteurin von "Netz gegen Nazis", einer deutschen Monitoringstelle , die Rechtsradikale im Internet beobachtet. Neu ist die Strategie nicht: Früher versuchten Neonazis mit Forderungen wie der "Todesstrafe für Kinderschänder" Wutbürger zu ködern.

Es geht hier also auch um Rekrutierung?

Natürlich. "Internetaktivist - früher war das ein Schimpfwort in der Szene für all jene, die sich nix trauen. Aber heute ist allen klar: Im Netz können auch Leute aktiv sein, die nicht ihr Gesicht herzeigen können, etwa Leute in Spitzenjobs", sagt Felix Benneckenstein, ein ehemaliger Neonazi, der heute für den Verein "Exit" rechtsradikale Aussteiger berät. Viele von ihnen wurden online erst so richtig indoktriniert. Neonazis lesen auf den Anti-Asylseiten mit. Fällt ihnen ein User als fremdenfeindlich auf, wird er kontaktiert, in Diskussionen verwickelt, ihm "Infomaterial" angeboten. Das Ziel: rechtsextreme Ansichten massentauglich zu machen und Nachwuchs für die eigene Bewegung zu finden. "Vor der Flüchtlingsdebatte war die Neonazi-Szene ziemlich schwach: Oft gab es zu wenig Menschen, um Demos abzuhalten. Das hat sich in den letzten Monaten massiv geändert. Auf vielen rechten Aufmärschen sieht man derzeit neue Gesichter", sagt Benneckenstein.

Führt der Hass im Netz zu mehr Gewalt gegen Flüchtlinge?

Die Indizien deuten in diese Richtung - vor allem in Deutschland, wo es heuer schon über 300 Attacken auf Asyleinrichtungen gab. "Im Jahr 2013 startete die NPD die 'Nein zum Heim'-Kampagne. Von 2012 auf 2013 hat sich die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime verdoppelt, von 2013 auf 2014 hat sie sich verdreifacht, und wie viele Übergriffe es dieses Jahr werden, dafür will keiner eine Prognose abgeben", sagt Rafael. Erst kürzlich meldete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den rechten Ausschreitungen in der sächsischen Kleinstadt Heidenau zu Wort. Sie nannte es "beschämend", wie viele Durchschnittsbürger neben Neonazis aufmarschierten.

Steigt die Gewalt in Österreich?

Dieser Schluss liegt nahe, doch eine exakte Antwort ist schwierig. Die österreichische Polizei spricht nur selten von "rechtsextremen Taten", selbst wenn Fenster von Flüchtlingseinrichtungen eingeschlagen oder Steine geworfen werden. Das passierte heuer schon in Vogau in der Steiermark, in Alberschwende in Vorarlberg, in Großkirchheim in Kärnten. In Wels und in Dornbirn wurden (kleine) Feuer bei Flüchtlingseinrichtungen gelegt oder Drohbotschaften hinterlassen. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen kam es zum Flurbrand, den eine Feuerwerksrakete auslöste. In Wiener Neustadt schossen Jugendliche mit Softguns auf Flüchtlinge. Vergangene Woche drang ein Mann in Bregenz mit einem Feuerlöscher in ein Asylheim und verunstaltete dieses, später schoss er mit einer Waffe auf Fußgänger. "Die Übergriffe nehmen zu. Wir hatten heuer auffällig viele solche Attacken. Die Urheber sind oft noch unbekannt, aber man muss einen rechtsradikalen Hintergrund annehmen", sagt Karl Öllinger, grüner Politiker und Chefredakteur der Website "Stoppt die Rechten". Das Innenministerium ist da zurückhaltender, Pressesprecher Karl-Heinz Grundböck räumt zumindest ein: "Eines können wir derzeit mit Sicherheit feststellen: Es gibt ein Klima der Polarisierung, und in einem solchen Klima erscheint die Wahl von Gewalt durchaus möglich." Ähnlich beschreibt dies Ausstiegshelfer Felix Benneckenstein: "Wenn ich mit dem Gedanken spiele, eine solche Gewalttat zu begehen, dann sind viele der Kommentare im Netz beflügelnd - zum Beispiel, wenn Leute schreiben: 'Die Asylheime sollen brennen.'"

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.