Die neue NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger

NEOS: Meinl-Reisinger startet mit Misstrauensvorschuss

Nach dem Rücktritt von Matthias Strolz soll Beate Meinl-Reisinger die Zukunft der NEOS sichern. Clemens Neuhold über den Misstrauensvorschuss, der sie begleitet.

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Der scheidende NEOS-Chef Matthias Strolz hinterlässt seiner designierten Nachfolgerin ein Minenfeld. Er hat die politische Landschaft derart mit Metaphern geflutet, dass Beate Meinl-Reisinger bei jedem Wort Gefahr läuft, in seine Fußstapfen zu treten. "Gärtner", "Liebe", "Herz", "Pilot des Lebens", "Flügel heben","Bäume","umarmen": Überall droht der Vorwurf der schlechten Kopie.

Was der Wienerin Beate Meinl-Reisinger (40) beim Metaphern-Bingo zugute kommt: Sie ist das erdige Pendant zum sprachlichen Überflieger. Sie postuliert, den Liberalismus "um Himmels willen" zu verteidigen, fordert Bundeskanzler Sebastian Kurz auf, "in den Spiegel zu sehen" und sich gemeinsam mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl "warm anzuziehen". Die "Rampensau" Meinl-Reisinger, wie Strolz sie einmal im kleinen Kreis bezeichnete, betritt die Bühne, auf die sie intern längst drängt. Nach dem Abgang von Eva Glawischnig sitzt wieder eine Frau im Männerklub der Parteichefs. Eine Übergabe wie im Polit-Bilderbuch, könnte man meinen. Und doch regiert die Enttäuschung.

In seltenem Einklang sehen die meisten Beobachter die NEOS geschwächt bis angezählt. "Ist Strolz weg, ist die Marke weg", schreibt Michael Völker im "Standard","Krone"-Kolumnist Michael Jeannée feiert den nächsten Bauchfleck von NEOS-Financier Hans Peter Haselsteiner, und im "Falter" ermahnt Peter Michael Lingens den scheidenden NEOS-Chef zur Umkehr. Ohne den Einpeitscher Strolz sei die demokratische Kontrolle der schwarz-blauen Regierung durch die Opposition noch flügellahmer, so der Tenor. Die Liste Pilz ist nach wie vor kopflos, die SPÖ noch auf Rollensuche, die Grünen grundeln im Out.

Scharfe Oppositionspolitikerin

Meinl-Reisinger hat zwölf Jahre Politik-Erfahrung, zuerst in der ÖVP, seit Gründung der NEOS vor sechs Jahren ist sie Stellvertreterin von Strolz. Als Wien-Chefin der Partei hat sie bewiesen, dass sie scharfe Oppositionspolitik beherrscht. Trotzdem wird ihr eine starke Gegenstimme zur Regierung nicht zugetraut. Ein Misstrauensvorschuss, bei dem die in Österreich so typische Glorifizierung von abtretenden Politikern mitschwingt. Strolz wird fehlen, aber war er wirklich spielentscheidend?

Die unbekannte Indra Collini führte die NEOS bei der Wahl Anfang 2018 mit 5,2 Prozent auf Anhieb in den niederösterreichischen Landtag. Indiz dafür, dass Pink längst über Strolz hinaus wirkt. Im ÖVP-Kernland erreichten die Grünen in 35 Jahren höchstens acht Prozent (zuletzt waren es 6,4). In Wien fuhr Meinl- Reisinger 2015 über sechs Prozent ein, und das war nach Schlappen in Oberösterreich, Steiermark und Burgenland für die Partei überlebenswichtig.

"Ich will Bürgermeisterin werden", kokettierte Meinl-Reisinger schon damals selbstbewusst, wenn auch chancenlos - ein Beweis für ihren Führungsanspruch. "Sie drängt in der Partei schon lange ganz stark nach vorn", erinnert sich der ehemalige Abgeordnete Niko Alm. Schon 2016 sah Meinungsforscher Peter Hajek den Plafond der "One-Man-Show Strolz" erreicht und empfahl eine angriffigere Oppositionspolitik, wie sie Meinl-Reisinger in Wien längst pflegte. Im Kontrast dazu stand Strolz für den Ausgleich über Parteigrenzen hinweg und den Anspruch, mitzuregieren - am liebsten als Bildungsminister. Eine Wahlallianz mit Sebastian Kurz, die das ermöglicht hätte, scheiterte an dessen Plänen mit der FPÖ.

Nun geht der auf positive Energie bedachte Strolz ohne Streit und Schrammen. Hätte er die NEOS entgegen seiner inneren Stimme bis zur nächsten Wahl angeführt, wäre ein Richtungskampf zwischen "Esoterikern" und "Anti-Esoterikern" denkbar gewesen. Letztere taten sich zunehmend schwer mit seiner Seminarleiterart. In der "Start-up"-Welt ist der Zeitpunkt des Verkaufs nach einer erfolgreichen Gründung entscheidend. So gesehen hat Strolz mustergültig gehandelt. Seine Geschichte vom "erfolgreichsten Polit-Start-up der Zweiten Republik nach den Grünen" kann er nun bestmöglich vermarkten, als Buchautor oder als Coach für andere Gründer.

"Schau ma mal"

Meinl-Reisinger setzt sich keine Deadline für ihre Zeit in der Politik. "Schau ma mal", sagt sie bei der Pressekonferenz. Zu lange hat sie auf diesen Tag hingearbeitet. Ab 2005 war sie Mitarbeiterin des EU-Abgeordneten Othmar Karas (ÖVP), ab 2007 arbeitete sie an der Seite von ÖVP-Staatssekretärin Christine Marek, die 2010 die Wiener ÖVP übernahm. Ein Modernisierungsprojekt versandete. 2012 brach sie mit der ÖVP. Ihr Ablaufdatum bei den NEOS wird davon abhängen, ob sie das wichtigste Wahlziel erreicht, das Geschäftsführer Nikola Donig so formuliert: "Nicht bei jeder Wahl um den Einzug zittern."

Österreich ist ein Land ohne liberale Tradition. Links geneigte Wähler schreckt der Wirtschaftsliberalismus ab, Konservative und Rechte die progressive Haltung zu Homo-Ehe, Cannabis oder den Vereinigten Staaten von Europa. Laut internen Analysen sind nur zwei Prozent NEOS-Stammwähler, die restlichen drei Prozent, die es mindestens für einen Verbleib im Parlament braucht, müssen sich die NEOS jedes Mal mühsam von ÖVP, Grünen oder Nichtwählern krallen (bei FPÖ und SPÖ ist wenig zu holen). Meinl-Reisinger polarisiert mit ihrer angriffigen Art mehr als Strolz, zeigen interne Analysen - vielleicht auch, weil sie eine Frau ist. Sie punktet aber gleichmäßiger über alle Altersgruppen. Der Jugendbonus des schrillen Strolz verkehrte sich bei Pensionisten ins Gegenteil.

Den Fehler des Liberalen Forums will Meinl-Reisinger vermeiden. Das LIF schoss sich durch zu große Nähe zu SPÖ und Grünen bei bürgerlichen Wählern ins Out und flog 1999 endgültig aus dem Parlament. Die Reste fusionierten mit NEOS. Neben dem Schwerpunkt Bildung plant Meinl-Reisinger ein Konzept für Asyl-Migration und Islam und wird dabei auch harte Töne anstimmen. Noch vor der Bundesregierung stimmte sie im Wiener Gemeinderat mit der FPÖ (erfolglos) für ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahre -die schwarz-blaue Regierung plant aktuell ein weniger scharfes Verbot bis zehn. Meinl-Reisinger plädierte für eine Wohnsitzpflicht für Flüchtlinge, die Mindestsicherung beziehen, und forderte 2016 nach einem kritischen Bericht über Islam-Kindergärten, diese "unter Kuratel zu stellen". Sie will einen stärkeren Fokus auf Integration legen als Kurz und Strache und sich unter anderem an Bart Somers orientieren. Der belgische Liberale machte die heruntergekommene Einwanderungsstadt Mechelen zur Vorzeige-Kommune - mit einer unkonventionellen Mischung aus law & order und dezentem Multikulti. Vor einem drohenden "Bürgerkrieg" zwischen Islam-Hassern und Islamisten wird Meinl-Reisinger bei den zu erwartenden Debatten nicht warnen.

Dafür war noch Matthias Strolz zuständig.

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Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.