ÖVP: Das doppelte Frauenproblem des Michael Spindelegger
Öffentlichkeitsarbeit für die Bundesleiterin der ÖVP-Frauen wird wohl nicht so schnell zu einem Burn-out führen. Denn Dorothea Schittenhelms Pressemitteilungen der vergangenen Wochen halten sich in Grenzen: Anlässlich des Internationalen Brustkrebstags am 1. Oktober forderte sie eine Mammographie-Vorsorge für Frauen jeden Alters. Zum Internationalen Weltmädchentag am 11. Oktober mahnte sie den Ausbau von gezielten Förderungsmaßnahmen von Mädchen und jungen Frauen bereits in der Ausbildung ein. Und vor der Konstituierung des neu gewählten Nationalrats am 29. Oktober ließ sie wissen, Parteiobmann Michael Spindelegger einen Forderungskatalog übergeben zu haben bei einem Arbeitsfrühstück.
Kipferl und Melange mit dem ÖVP-Chef blieben ebenso ohne öffentliche Resonanz wie das Bekenntnis zu Vorsorgemedizin und Mädchenförderungen. Wirkliche Aufmerksamkeit erlangte Schittenhelm eher unfreiwillig. Am Nachmittag des 24. Oktober kündigte sie gegenüber der Austria Presse Agentur an, im Sinne der Ausgeglichenheit Maria Fekter als Gegenkandidaten zu Michael Spindeleggers Favoriten Karlheinz Kopf für das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten zu nominieren. Die Trotzphase der ÖVP-Frauenchefin dauerte exakt 44 Minuten. Dann erklärte Schittenhelm, keinen Kontravorschlag zum Parteiobmann zu machen. Intern soll es eine ordentliche Kopfwäsche gegeben haben.
Das Kuschelbedürfnis der obersten Frauenfunktionärin im Umgang mit der männlichen Parteiführung (Wir sind keine fäusteschwingenden Emanzen) ist symptomatisch für das schwarze Geschlechterverständnis im dritten Jahr der Obmannschaft Michael Spindeleggers. Nie zuvor in der jüngeren Parteigeschichte war der Einfluss der Frauen in der ÖVP geringer. Regierungsbildung und Ministerbestellungen bringen weiteren Job- und Machtverlust statt der viel beschworenen Frauenoffensive. Aus dem traditionellen Wahlspruch der ÖVP-Frauen Stark. Schwarz. Weiblich müsste dringend ein Adjektiv gestrichen werden.
Die Ignoranz der Parteiführung gegenüber den Interessen der ÖVP-Frauen Schittenhelm wollte darüber mit profil nicht sprechen hat durchaus Methode. Schon zwei Wochen vor dem Streit ums Präsidentenamt hatte Michael Spindelegger Schittenhelm bei der Zusammenstellung des ÖVP-Koalitionsverhandlungsteams brüskiert. Als einzige Teilorganisation sind die ÖVP-Frauen nur in Untergruppen, aber nicht im Hauptgremium vertreten. Schittenhelms gedämpfte Reaktion: Sie sei enttäuscht, anscheinend seien die Frauen nicht von so großer Wichtigkeit in der ÖVP.
Dass der Frauenbund derzeit die durchsetzungsschwächste aller sechs ÖVP-Teilorganisationen ist liegt auch an den handelnden Personen und deren Ämtern. Dorothea Schittenhelm ist Nationalratsabgeordnete und Bürgermeisterin im niederösterreichischen Bisamberg. Ihre Vorgängerin als Frauen-Chefin, Maria Rauch-Kallat, verfügte dank ihres Amtes als Frauenministerin (2003 bis 2007) über mehr Power. Als Generalsekretärin der ÖVP (1995 bis 2003) initiierte sie beinahe im Halbjahresrhythmus neue Frauen-Netzwerke.
Im Abgang als Abgeordnete musste freilich auch Rauch-Kallat die Widerstandsfähigkeit des schwarzen Männerblocks anerkennen. In einer Geheimaktion wollte sie in ihrer Abschiedsrede im Juli 2011 einen Antrag auf Textänderung der Bundeshymne (Heimat großer Töchter und Söhne) einbringen vergeblich. Klubobmann Karlheinz Kopf, erbost über das Guerillamanöver, versagte Rauch-Kallat die notwendige Redezeit, indem er Abgeordnete seines Klubs zu später Stunde zum Filibustern vergatterte über den Süßstoff Stevia, Schweinemast und einen nationalen Selbstmordplan (gemeint: Selbstmordpräventionsplan).
Michael Spindelegger, damals frisch gekürter ÖVP-Bundesparteiobmann, soll von der Strafaktion seines Klubobmanns gegen Rauch-Kallat nicht gerade begeistert gewesen sein, auch wenn er offiziell dessen Vorgehen verteidigte. Die Änderung der Bundeshymne wurde wenige Tage später abgesegnet, wofür sich Maria Rauch-Kallat beim Bundesparteiobmann explizit bedankte.
In der ÖVP heißt es, Spindelegger würde Frauen weder benachteiligen noch fördern, sondern wie Männer rein am Output messen. Mit den meisten bürgerlichen Spitzenpolitikern teilt der ÖVP-Obmann die Überzeugung, dass schon das Leistungsprinzip allein Geschlechtergerechtigkeit in der Politik garantiert. Maßnahmen zur Absicherung der Genderfairness wie Quotenregelungen sind diesem Ansatz zufolge überflüssig. Und daher war es aus Spindeleggers Sicht nicht weiter verwerflich, die Bundesliste für die Wahl nicht ganz im Reißverschluss-System zu erstellen wie das Dorothea Schittenhelm erhofft hatte.
Auch sonst ist die Gendergerechtigkeit in Spindeleggers ÖVP nicht flächendeckend verwirklicht.
Im Nationalrat beträgt der Anteil der Frauen mit 14 von 47 Abgeordneten nur 30 Prozent. (SPÖ: 38 Prozent, FPÖ: 17,5 Prozent, Grüne: 52 Prozent, Team Stronach: 45 Prozent, NEOS: 22 Prozent)
Die beiden wichtigsten Parlamentsjobs Zweiter Nationalratspräsident und Klubleitung sind und bleiben von Männern besetzt.
Unter den 13 Mitgliedern des Koalitionsverhandlungsteams sind nur zwei Frauen.
Kein Landesparteichef der ÖVP ist weiblich.
Die Finanzgruppe bei den Koalitionsverhandlungen wird nicht von der verantwortlichen Ministerin Maria Fekter, sondern vom oberösterreichischen Landeshauptmann Josef Pühringer geleitet.
Alle Kabinettschefs der derzeitigen ÖVP-Minister und Ministerinnen sind Männer. Auch unter den zahlreichen Referenten in Spindeleggers Vizekanzler- und Außenamtskabinett findet sich nur eine Frau.
Die allerengsten Vertrauten des Obmanns der Volkspartei sind Männer, die meisten davon Mitglieder in Verbindungen des christlich-konservativen Cartellverbands. Sämtliche Minister in der ÖVP-Riege sind Cartellbrüder. In den Statuten des Cartellverbands sind Mitgliedschaften von Frauen ausgeschlossen. Spindeleggers Verbindung, die Norica, ist vergleichsweise fortschrittlich, gilt im Cartellverband freilich als Leichtgewicht. Schon 1985 wurde eine Frauenfiliale, die Norica Nova, mit dem Fernziel einer Fusion etabliert. Eine der Gründerinnen war Michaela Steinacker. Die Raiffeisen-Managerin wurde als Spindeleggers Überraschungskandidatin auf der Nummer zwei der Bundesliste platziert. Als politische Novizin gilt Steinacker nicht als ministrabel, zudem soll sich das Verhältnis zu Spindelegger abgekühlt haben.
Bei der Besetzung der Regierungsämter hat der ÖVP-Chef ein doppeltes Frauenproblem. Zum einen stehen mit Maria Fekter (Finanzen) und Beatrix Karl (Justiz) zwei parteiintern anerkannte Ministerinnen vor der Ablöse. Und zum zweiten fehlen Spindelegger schlicht Nachfolgekandidatinnen. Mit Quereinsteigerinnen wie Justizministerin Claudia Bandion-Ortner oder der Tiroler Familien-Staatssekretärin Verena Remler hatte die ÖVP zuletzt wenig Erfolg. Und der eigene weibliche Politnachwuchs bleibt aus eine Folge der wenig strategischen Personalentwicklung der ÖVP und ihrer Bünde in den vergangenen zehn Jahren. So plagt sich der ÖAAB aktuell damit ab, eine Nachfolgerin für die scheidende Bundesfrauenvorsitzende Christine Marek zu finden.
Als letzter Bundesparteiobmann der ÖVP hatte Wolfgang Schüssel auf die gezielte Förderung von Frauen gesetzt. Im Gegensatz zu Spindelegger umgab sich der ehemalige Kanzler fast nur mit Frauen, die dann auch Karriere machten, wie seine Kabinettschefin und spätere Außenministerin Ursula Plassnik. Schüssel vergaß bei Gender-Debatten nie zu erwähnen, dass seine Partei die erste Ministerin der Zweiten Republik (Grete Rehor), die erste Landeshauptfrau (Waltraud Klasnic) und die erste Nationalbankpräsidentin (Maria Schaumayer) stellte.
Zumindest eine Landeshauptfrau ist mittelfristig wieder denkbar. Johanna Mikl-Leitner, 49, spitzt auf den Job in Sankt Pölten, sollte sich Erwin Pröll dereinst Richtung Präsidentschaftskanzlei oder Politpension verabschieden. Die in Prölls patriarchalischem System sozialisierte Innenministerin mit burschikosem Habitus ist das neue Role Model schwarzer Frauenpolitikerinnen und derzeit die mächtigste Frau in der ÖVP, die auch der Parteichef nicht ganz ignorieren kann.
Michael Spindelegger erwarb sich zumindest als Außenminister Meriten im Kampf um Frauenrechte. Bei einem Besuch in Saudi-Arabien im Februar thematisierte er in seinen Treffen mit Spitzenpolitikern Zwangsehe, Führerscheinverbot und Ganzkörperschleier: Ich habe in meinem Gespräch mit Prinz Saud al Faisal auf diesen Missstand hingewiesen und ihm gesagt, dass Gleichberechtigung eine Gesellschaft voranbringt.
Das gilt wohl auch für die Volkspartei.