KURZ, WÖGINGER: Unbotmäßige Kritik aus den eigenen Reihen

ÖVP: Der aussichtslose Kampf schwarzer Gewerkschafter gegen Kurz

Was will ein schwarzer Gewerkschafter ausrichten, wenn der türkise Kanzler die Arbeitszeit verlängert? Das Glück der ÖVP ist das Elend des ÖAAB.

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Zu Wolfgang Schüssels Obmannzeiten war die ÖVP mehr als die Summe ihrer Teile und daher auch Kanzlerpartei. In den Jahren danach verselbstständigten sich die Teilorganisationen (Wirtschaft, Arbeitnehmer, Bauern, Frauen, Senioren, Junge) wieder - mit entsprechend negativen Folgen an Wahlabenden. Bis 2017: Vor genau einem Jahr wurde die alte Tante Volkspartei schöpferisch zerstört. Der neu gewählte Bundesparteiobmann Sebastian Kurz lud die sechs Bünde und neun Landesparteien zum semifreiwilligen Machtverzicht ein und versprach ihnen im Gegenzug das Kanzleramt. Beide Seiten hielten sich an ihren Teil der Vereinbarung. Bei der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 errang Kurz den ersten Platz. Seit damals versuchen Bünde und Länder sachte, ihre verlorene Macht in der ÖVP wieder zu mehren. Eine Teilorganisation tut sich dabei allerdings besonders schwer: der Österreichische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund (ÖAAB).

Was kann ein schwarzer Arbeitnehmervertreter auch ausrichten, wenn sein türkiser Kanzler die Arbeitszeit verlängert? Wie soll ein Christgewerkschafter reagieren, wenn Industriebosse die neue Regierung mit strahlenden Augen begrüßen? Wenn die ÖVP tatsächlich wieder Wirtschaftspartei wird? Wenn wie vergangenen Samstag in Wien Tausende Gewerkschafter, Betriebsräte und Beschäftigte gegen angeblichen Lohnraub und 12-Stunden-Tag demonstrieren?

Der Mann, der dies alles beantworten kann, besuchte vergangenen Mittwoch seine Kollegen in Vöcklabruck. Auch dort musste August Wöginger, 43, Bundesobmann des ÖAAB, die Details der Arbeitszeitreform der Regierung erklären - und wie es sich nun verhält mit der sogenannten Freiwilligkeit, wenn der Chef eine elfte oder zwölfte Überstunde anordnet.

Wöginger versprach "Freiwilligkeitsgarantie"

Im Hauptberuf ist Wöginger Obmann des ÖVP-Parlamentsklubs. Als solcher muss er Regierungsprojekte wie die Arbeitszeitflexibilisierung im Nationalrat umsetzen - und sie gegebenenfalls abfedern: Gemeinsam mit FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz versprach Wöginger vergangenen Donnerstag eine "Freiwilligkeitsgarantie" und eine Zuschlagspflicht für angeordnete Überstunden. Nichts fürchten die Koalitionsparteien mehr als den Vorwurf "sozialer Kälte".

Kritiker der Arbeitszeitreform finden sich allerdings auch in Wögingers eigenen ÖAAB-Reihen. Die schwarzen Arbeiterkammer-Präsidenten von Tirol und Vorarlberg, Erwin Zangerl und Hubert Hämmerle, kritisieren das Regierungsvorhaben massiv.

Auch bei den ÖAAB-Kollegen im ÖGB, der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), regt sich Widerstand. Nichts als Showeinlagen und Profilierungsversuche im Vorfeld der AK-Wahlen 2019, heißt es in der ÖVP zu den unbotmäßigen Kommentaren aus eigenen Reihen. Wöginger seinerseits bezeichnet die Arbeitszeitreform als "Gewinn" für seine Klientel: "Auch viele Arbeitnehmer wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten. Es ist eine Win-win-Situation für Unternehmer und Mitarbeiter."

August Wöginger ist seit 2016 im Amt und insgesamt der elfte Bundesobmann des ÖAAB. Dass der schwarze Arbeiter-und Angestellten-Bund im April 1945 drei Tage vor der ÖVP gegründet wurde, wird bis heute mit Stolz vermerkt. "Im Anfang war der ÖAAB", schrieb der erste Obmann, Lois Weinberger, in einem Artikel in den 1950er-Jahren.

Wenn häufige Wechsel an der Spitze einer Organisation ein Hinweis auf Schwierigkeiten im System sind, hat der ÖAAB allerdings ein Problem. In den vergangenen zehn Jahren benötigte der schwarze Arbeitnehmerbund vier Chefs und damit genauso viele wie die Mutterpartei ÖVP. Allerdings machten zumindest zwei der früheren Obleute Karriere: Michael Spindelegger stieg 2011 zum ÖVP-Bundesparteiobmann auf und 2014 ins politische Ausgedinge ab. Wögingers direkte Vorgängerin Johanna Mikl-Leitner opferte den ÖAAB-Vorsitz leichten Herzens ihrem Wunschjob Landeshauptfrau von Niederösterreich. In der Antrittsrede als ÖAAB-Chefin im November 2011 hatte sie die Forderung nach einem Solidarbeitrag von Spitzenverdienern mit dem Ruf "Her mit der Marie, her mit dem Zaster!" unterstrichen. Später bedauerte sie diesen Ausbruch.

Schwarzer "Beamtenbund"

Üblicherweise betreibt der ÖAAB keinen Klassenkampf. Das Thema "Umverteilung" wird gern den roten Arbeitnehmervertretern überlassen. Das hat auch mit der gewichtigsten ÖAAB-Kundschaft zu tun, denn im Kern handelt es sich bei der schwarzen Arbeitnehmerorganisation um einen Beamtenbund, dessen starker Arm die von der FCG dominierte Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) ist. Mit Fritz Neugebauer war von 2003 bis 2009 der GÖD-Vorsitzende passenderweise auch ÖAAB-Obmann.

Die meisten anderen ÖAAB-Chefs waren im Zivilberuf ebenfalls Beamte, inklusive Michael Spindelegger (Land Niederösterreich) und Johanna Mikl-Leitner (HAK-Lehrerin). So gesehen stellt August Wöginger in der Tradition der ÖAAB-Obleute einen doppelten Kulturbruch dar. Er ist kein Nieder-, sondern Oberösterreicher . Und als Mitarbeiter und früherer Betriebsratsobmann des Roten Kreuzes lernte er zwar nicht die Schmerzen der Privatwirtschaft kennen, kam aber auch nicht in den Genuss aller Vorzüge des öffentlichen Dienstes. Trotz Angleichungen sind die Arbeitswelten in Privatwirtschaft und Beamtenschaft grundverschieden. Dies zeigt sich auch bei der derzeit diskutierten Reform der Sozialversicherungen (siehe Kasten). Während die Gebietskrankenkassen der normalen Werktätigen fusioniert werden, bleiben die 15 Krankenfürsorgeanstalten der öffentlich Bediensteten in Ländern und Gemeinden unangetastet.

August Wöginger will vom schwindenden Einfluss des ÖAAB auf Regierung und ÖVP nichts wissen. Im Gegenteil: Mit Familienbonus und Lehrlingsförderung werde die Zielgruppe gefördert, meint er. Als Klubobmann nehme er überdies eine "wichtige Drehscheibenfunktion" in der ÖVP wahr. Was auch das Budget des ÖAAB entlastet: Sein Gehalt bezieht Wöginger vom ÖVP-Parlamentsklub, und die Klub-Infrastruktur wird er wohl auch für ÖAAB-Aktivitäten nutzen. Im Gegensatz zu Wirtschafts-und Bauernbund sind die finanziellen Möglichkeiten des ÖAAB trotz seiner 150.000 Mitglieder (viele davon haben ihre Beitragszahlungen eingestellt) beschränkt. So residieren die schwarzen Arbeitnehmervertreter nicht wie Wirtschaft und Bauern in eigenen repräsentativen Räumlichkeiten in der Innenstadt, sondern auf eher reduzierten Büroflächen in der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse.

Wolfgang Schüssel beschrieb die Bedeutung des ÖAAB 2003 beim Bundestag in Tulln so: "Um das ganze politische Spektrum abzudecken, brauche ich den ÖAAB wie keine andere Organisation ." Sebastian Kurz dürfte dies im Jahr 2018 allerdings anders sehen.

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.