Ludwig hat die Wahl: Regieren in Wien Grüne, Neos oder doch die ÖVP?
Seit Sonntag, 18.43 Uhr ist klar: Die stimmenstärkste Partei in Wien ist, wie nach jeder Wahl seit 1945, die SPÖ. Wiener Bürgermeister bleibt Michael Ludwig. Offen ist, welchen Partner der Bürgermeister wählt: Die wohl zweitstärkste Kraft, die Freiheitlichen, schließt Ludwig als Koalitionspartner aus. Ihm bleiben folglich drei Optionen für die Stadtregierung: ÖVP, Grüne und Neos. Mit allen drei Parteien hat die SPÖ in Wien bereits koaliert, alle drei wollen mitbestimmen, und alle drei sind mehr als bereit, den Juniorpartner der SPÖ zu mimen.
In vielen Punkten sind sich die potenziellen Koalitionspartner einig: Wien soll leistbarer, grüner und familienfreundlicher werden. Kinder von Zuwanderern sollen Deutsch lernen, die Wirtschaft einen Aufschwung erleben und das Gesundheitssystem sicher sein. Und wenn der Bund mehr Polizisten in die Hauptstadt schickt, wird sich niemand dagegen wehren.
Dennoch wird Ludwigs Wahl die Zukunft Wiens entscheidend beeinflussen: Einen Tunnel unter der Lobau will neben der SPÖ nur die ÖVP graben. Nur die Grünen wollen mit der SPÖ den Leerstand von Wohnungen besteuern. Und nur die Neos wollen wie der rote Gesundheitsstadtrat Peter Hacker Ärztinnen und Ärzten in Wiener Spitälern vorschreiben, wie lange sie nebenbei in einer Privatordination arbeiten dürfen.
Welche Farbflecken kann der nächste Koalitionspartner in Wien hinterlassen, und was spricht aus Sicht der SPÖ für eine Zusammenarbeit?
ÖVP: Back to Black
„Natürlich ist in Wien nicht alles schlecht“, sagte Wiens ÖVP-Spitzenkandidat Karl Mahrer vor der Wahl in einem Video. Dem einstigen Vize-Polizeipräsidenten der Stadt fiel dann doch einiges auf, für das er in seiner Heimatstadt kein Verständnis hat: Das Video zeigte Palästina-Flaggen, Müllsäcke auf der Straße und die U6. Die Probleme, die diese Bilder darstellen sollen? „Bandenkriminalität, jedes zweite Kind kann nicht Deutsch, Chaos im Gesundheitssystem“, zählte Mahrer auf und warnte: „Wien kippt gerade.“
Die Wiener ÖVP hat es nicht leicht. Die Volkspartei ist traditionell eine Partei des Landes und hatte in der roten Bundeshauptstadt historisch kaum etwas mitzureden. Doch auch in der Opposition kann die ÖVP nur schwer Punkte machen, müssen die drängendsten Probleme der Stadt wie Gesundheit, Sicherheit, Wohnen und Bildung doch auch auf Bundesebene vom schwarzen Kanzler gelöst werden. Radikale Oppositionspolitik und die Angst vor Ausländern in einer Millionenstadt werden zudem ausreichend von der FPÖ bedient. Und die Neos sprechen die traditionell schwarze Wirtschaft an: Für die Sonntagsöffnung in Tourismuszonen sind die Pinken ebenso wie die ÖVP.
Zu allem Überdruss muss der auf „Law and Order“ gebürstete schwarze Spitzenkandidat bald selbst auf der Anklagebank Platz nehmen. Die Wiener Immobiliengesellschaft Wienwert hat der PR-Agentur der Frau des damaligen Polizeipräsidenten 84.000 Euro bezahlt – laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ohne Gegenleistung, die Wienwert habe sich nur politische Gunst erkaufen wollen. Die Mahrers weisen die Vorwürfe zurück. In der Wiener SPÖ gibt es Verständnis für die juristischen Probleme des ÖVP-Chefs: Ernst Nevrivy, mächtiger roter Bezirksvorsteher der Donaustadt, wird in derselben Causa angeklagt. Auch er weist jede Schuld von sich, für ihn gilt wie für die Mahrers die Unschuldsvermutung.
Das Ergebnis für die ÖVP: Eine Blamage. Die Partei hat sich im Vergleich zur letzten Wahl mehr als halbiert und dürfte mit 9,7 Prozent auf dem fünften Platz hinter den Neos landen. In allen Bezirken steht ein Minus vor dem Ergebnis, selbst in ÖVP-Hochburgen wie der Inneren Stadt hat die Volkspartei unter Mahrer bei der Gemeinderatswahl den ersten Platz verloren. Hätten nur Menschen unter 30 gewählt, wäre die ÖVP nicht einmal in den Gemeinderat eingezogen.
Aus Sicht der SPÖ lauter gute Nachrichten. Die Volkspartei ist geschwächt, aber gerade noch stark genug, um Bürgermeister Ludwig eine Mehrheit zu beschaffen. Und Karl Mahrer tritt zurück. Im Rathaus hofft man, dass die ÖVP dadurch noch einen Schritt hin zur SPÖ macht. Etwa indem jemand aus dem Wirtschaftsflügel die strauchelnde Volkspartei übernimmt. Wiens Wirtschaftskammer-Präsident Walter Ruck ist ein langjähriger Freund des Bürgermeisters.
Die schwarzen Flecken in der Stadtregierung würden Ludwig kaum schmerzen: Vorfahrt für Autos, mehr Polizei auf der Straße, weniger Fremdsprachen in Schulen und eine Stärkung der Wiener Wirtschaft. So hart die ÖVP die rote Stadt kritisiert, so leicht könnte sie sich daher wohl inhaltlich mit der SPÖ auf eine Regierung einigen. Vor der Wahl stellte Ludwig die Wirtschaft an erste Stelle, und einige seiner Vorhaben, wie den Lobautunnel oder verstärkte Videoüberwachung an öffentlichen Orten, will nur die Volkspartei mit ihm umsetzen.
Atmosphärisch müsste die ÖVP einen Kniefall hinlegen. „In Wien ist nicht alles schlecht“ reicht der SPÖ, die dem Hashtag-Motto „#Wienliebe“ verfallen ist, sicher nicht. Walter Ruck würde so etwas kaum sagen.
Schwarzer Schnell-Check
Größte Stärke: Wirtschaftskammer
Größte Schwäche: Wien
Inhaltliche Überschneidung mit SPÖ laut Wahlkabine: 14/25
Ludwig-Kompatibilität: 2/5 mit Mahrer, 5/5 mit Ruck
Neos: Pinke Partner
Seit fünf Jahren regieren die Neos in Wien mit der SPÖ – und das durchaus zum Gefallen der Genossinnen und Genossen im Rathaus. Böse Zungen aus der Stadt-Opposition sprechen von einer faktischen roten Alleinregierung, vor allem die Vorgänger der Neos als Wiener Koalitionspartner, die Grünen, witzeln über den mangelnden Effekt der derzeit zweitkleinsten Partei im Wiener Landtag und Gemeinderat. Tatsächlich brachten die von Bürgermeister Michael Ludwig als „auf Augenhöhe“ bezeichneten und mit pink-roten Punschkrapfen zelebrierten Regierungsverhandlungen 2020 ein ungleiches Ergebnis: Die SPÖ erhielt sieben Stadträtinnen und -räte, die Neos nur einen: Christoph Wiederkehr.
Der langjährige Wiener Neos-Chef bekleidete zudem das wohl undankbarste Ressort der Stadt. Als Bildungsstadtrat fiel die Integration Tausender Flüchtlingskinder in seine Verantwortung, handeln konnte er aber nicht allein, ist Schulpolitik doch auch Sache des Bundes. Aus dem Bildungsbereich zogen sich die SPÖ und Bürgermeister Ludwig in Folge nahezu demonstrativ zurück, in anderen Angelegenheiten ließen die Roten dafür ihren Koalitionspartner im Dunkeln. Als Ludwig im Sommer 2022 dem strauchelnden Energieanbieter Wien Energie per Notkompetenz einen Kreditrahmen von 700 Millionen Euro zusprach, erfuhr Wiederkehr erst im Nachhinein davon. Obwohl der Vizebürgermeister auch Transparenz-Stadtrat war, veröffentlichte er die Information wohl aus Pakttreue gegenüber dem Koalitionspartner nicht – und erfuhr laut eigenen Angaben erst Ende August aus den Medien vom enormen Liquiditätsengpass des Wiener Landesenergieversorgers.
Eine gläserne Stadt wurde Wien unter der selbst ernannten pinken Transparenz-Partei nicht. Medien wie profil, aber auch Abgeordnete mussten Informationen von der Stadt immer wieder einklagen. Dem Grünen Georg Prack, Wohnbausprecher im Gemeinderat, verweigerte die Stadtregierung eine Information, die er als Privatperson per Auskunftspflichtgesetz erfolgreich einklagen konnte.
Für den Wahlkampf ist den Neos der logische Spitzenkandidat abhandengekommen. Christoph Wiederkehr wurde Bildungsminister, mit Klubchefin Selma Arapović und Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling führten nun zwei relativ unbekannte Frauen die Partei in die Wahl. Sie setzten auf echte Grätzel-Politik: Zu den „Leuchttürmen“ der Liberalen zählt die Begrünung eines ehemaligen Flakturms im Arenbergpark, eine große Foodhall, um „Food-Traveler“ anzulocken, oder die Revitalisierung der einstigen U6-Trasse zwischen Spittelau und Heiligenstadt nach New Yorker und Pariser Vorbild. Bis auf die U6-Trasse, mit der sich auch andere Parteien im Bezirk beschäftigen, sind das rein pinke Träume, sehr viel mehr als die Idee gibt es noch nicht. Jung, hip, kosmopolitisch und unverbraucht wollen die Neos auch nach fünf Jahren Koalition anmuten.
An der Wahlurne wurde das belohnt: Fast ein Zehntel der Stimmen ist das deutlich beste Ergebnis einer liberalen Partei in Wien. Und auch die Kommunisten haben seit 1945 in der Hauptstadt nie besser abgeschnitten als die jüngste Partei im Wiener Gemeinderat. Aus Sicht der Neos ein klarer Regierungsauftrag, den sie weiterhin gemeinsam mit der SPÖ annehmen wollen.
Obwohl die Liberalen die Stadt-SPÖ von all ihren guten und schlechten Seiten kennengelernt haben, wollen sie unbedingt weiter mit Ludwig regieren. Ihr Vorteil: Ein zweiter Stadtrat steht ihnen trotz dem besseren Ergebnis nicht zu. Vor allem aber hätten die Liberalen in einer neuen Periode mit ihrem Ex-Chef als Bildungsminister Rückenwind aus dem Bund, um in ihrem Herzensthema „Bildung“ endlich echte Reformen wie das verpflichtende zweite Kindergartenjahr in der Stadt voranzubringen. Wenn sie sich denn trauen – und das marode Budget der Stadt nicht vorher ausgeht.
Die größte Sorge der Pinken nach der Wahl: Dass sich Volkspartei Bürgermeister Ludwig noch billiger anbietet.
Pinker Schnell-Check
Größte Stärke: (Über-)Motivation
Größte Schwäche: Transparenz-Manko
Inhaltliche Überschneidung mit SPÖ laut Wahlkabine: 13/25
Ludwig-Kompatibilität: 4/5
Grüne: Grün geärgert
Ginge es nach den Grünen, wäre dem Bürgermeister die Wahl nach der Wahl erspart worden. Das Wunschziel von Spitzenkandidatin Judith Pühringer war es, selbst so stark zu sein, dass Ludwig gar keine andere Option hat, als mit den Grünen zu koalieren. Das ist nicht gelungen, doch die Grünen jubeln dennoch: Sie konnten das beste Ergebnis ihrer Partei fast halten, ein zweiter Stadtrat ist ihnen sicher, ein paar grüne Bezirksvorsteher dürften dazukommen.
Im Wahlkampf führte die Partei auch eine kleine rote Charme-Offensive: In der Sautergasse in Wien-Hernals stellt sich Pühringer dafür vor einen rund drei Meter langen Hai. Mit einem Stapel von 100-Euro-Scheinen im Maul sollte der aufgeblasene Knorpelfisch die Wiener Immobilienhaie symbolisieren, die Wohnungen lieber leer stehen lassen, anstatt sie zu vermieten. Mit einer Leerstandsabgabe wollen die Grünen das verhindern. Pühringer betonte bewusst: „ÖVP und Neos haben bereits angekündigt, eine Leerstandsabgabe zu blockieren.“ Eine auch von der SPÖ geforderte Leerstandsabgabe gäbe es daher nur mit den Grünen.
Zehn Jahre lang regierten die Grünen in Wien gemeinsam mit der SPÖ. Dann kam Michael Ludwig. Eigentlich bestehen zwischen der Sozialdemokratie und den Grünen die meisten inhaltlichen Überschneidungen: Wohlhabende sollen mehr beitragen, Schwächere unterstützt werden und Flüchtlinge und Migranten in Wien willkommen sein. Selbst bei Streitpunkten wie dem Lobautunnel betonte Pühringer im Wahlkampf die Zuständigkeit des Bundes, um künftige Konflikte im Vorhinein zu vermeiden.
Doch die aufmüpfige Umweltpartei gilt im roten Rathaus als anstrengender Koalitionspartner, dem ehemaligen Wohnbaustadtrat Ludwig dürfte sie besonders negativ aufgefallen sein. „Man sollte die Koalitionsloyalität der Sozialdemokratie nicht ausreizen“, warnte er im Sommer 2018. Nach seiner ersten Wahl als Wiener SPÖ-Chef zog er 2020 die Reißleine und eine knappe rot-pinke Mehrheit einer weiteren Zusammenarbeit mit den Grünen vor.
Dazu kommt: Machtpolitisch sind die Grünen für Ludwig ein Widersacher, denn die grünen Stimmen braucht er selbst. Dass die SPÖ bei der Nationalratswahl im Vergleich zu 2019 nur in Wien signifikant dazugewinnen konnte, lag vor allem an grünen Wechselwählerinnen und -wählern aus den inneren Bezirken. Auf diese linken Wählerstimmen kann Ludwig nicht verzichten. Doch in der Stadtregierung könnten sich die Wiener Grünen wieder profilieren, eigene Leuchtturmprojekte vorantreiben und, so die Sorge im Rathaus, noch mehr Bezirke erobern. Dazu kommt: Den Grünen stehen zwei Stadtratsposten zu, Neos und ÖVP jeweils nur einer. Auch wenn die designierte Bundeschefin der Grünen, Leonore Gewessler, noch so sehr von einem "Comeback Rot-Grün" träumt, so realistisch sind manche grünen Abgeordneten: Mehr als Scheinverhandlungen werde die Ludwig mit der Öko-Partei nicht führen, so der Tenor am Wahlabend.
Schaffen die Grünen dennoch den Sprung in die Regierung, müssten sich neben Immobilienspekulanten vor allem Autofahrer anschnallen: In Neubau ist der grüne Bezirksvorsteher Markus Reiter stolz darauf, dass die Zahl der Parkplätze im öffentlichen Raum – wie der „Standard“ berichtet – seit 2019 um fast 30 Prozent gesunken ist. Die rote Verkehrsstadträtin Ulrike Sima lässt hingegen erst gar nicht erfassen, wie viele Stellplätze in ganz Wien durch Bäume, Radwege und andere Umgestaltungen weggefallen sind. Eine grüne Regierungsbeteiligung dürfte das ändern und weitere Parkplätze verschwinden lassen. Denn auch das rote Rathaus denkt grün. Immerhin hat sich die Stadt auch ohne die Grünen ein Klimaschutzgesetz verpasst, durch das Wien bis 2040 klimaneutral werden soll. Mit der selbst ernannten Klimaschutzpartei im Team hätte Ludwig wohl bessere Chancen, dieses Ziel zu erreichen.
Grüner Schnell-Check
Größte Stärke: Klare Themen
Größte Schwäche: Stillhalten
Inhaltliche Überschneidung mit SPÖ laut Wahlkabine: 15/25
Ludwig-Kompatibilität: 2/5
Aktualisierungshinweis
Dieser Artikel erschien erstmals am 21. April 2025 und wurde am 28. April 2025 um das Ergebnis der Wien-Wahl ergänzt.
In einer vergangenen Version dieses Textes wurde Karl Mahrer als einstiger Polizeipräsident bezeichnet. Mahrer war Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien.