ÖVP: Wie Lopatka das Kanzleramt für Mitterlehner erobern will

ÖVP: Wie Lopatka das Kanzleramt für Mitterlehner erobern will

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Im vergangenen April musste Reinhold Lopatka eine kleine berufliche Niederlage verdauen, nicht in seinem Hauptjob als ÖVP-Klubobmann im Parlament, sondern in seiner Nebentätigkeit als Bezirksparteiobmann in Hartberg-Fürstenfeld. In Friedberg, einer 2500-Einwohner-Stadtgemeinde im Norden des Bezirks, wurde erstmals ein SPÖ-Politiker zum Bürgermeister gewählt, mit den Stimmen der FPÖ. So weit, so demokratisch. Bemerkenswerterweise war die SPÖ bei der vorangegangenen Gemeinderatswahl in Friedberg nur Zweiter geworden – hinter der Volkspartei. Umso mehr frohlockte der neue Bürgermeister Wolfgang Zingl nach seiner Wahl: „Ich sehe das als Zeichen des Aufbruchs, heute beginnt ein neuer Abschnitt für Friedberg.“ Wie der lokale Reporter der „Kleinen Zeitung“ vermeldete, war SPÖ-Landesrat Michael Schickhofer zur Gemeinderatssitzung „extra angereist, um bei diesem historischen Moment dabei sein zu können“.

Wieder sollte der Zweite der Erste sein

Was wären die kleinen historischen Momente ohne die großen? In Graz wurde vergangene Woche tatsächlich Zeitgeschichte geschrieben. Und wieder sollte der Zweite der Erste sein: Franz Voves verzichtete auf sein Amt als steirischer Landeshauptmann und übergab es zur allgemeinen Überraschung seinem ÖVP-Reformpartner Hermann Schützenhöfer, was Reinhold Lopatka durchaus als Erfolg verbuchen kann – als Klubobmann, als steirischer Bezirksparteichef, aber vor allem in seiner inoffiziellen Funktion als Cheftaktiker der Österreichischen Volkspartei.

Was Josef Ostermayer für Werner Faymann ist Reinhold Lopatka für Reinhold Mitterlehner: Provokateur, Fädenzieher, Unruhestifter. Der Unterschied: Ostermayer und Faymann leben in Symbiose. Lopatka neigt dazu, sich zu verselbstständigen und sich der Kontrolle seines Bundesparteiobmanns zu entziehen. Für einen – aus seiner Sicht – guten Zweck: damit Faymann und Ostermayer möglichst bald ihre Jobs verlieren und die ÖVP wieder den Kanzler stellt.

Lopatka ist für sein Dirty Campaigning mehr als bekannt (SPÖ-Abgeordneter Erwin Spindelberger)

Reinhold Lopatkas Beliebtheit in der SPÖ hielt sich schon immer in Grenzen, seit dem spektakulären Machtwechsel in Graz gilt er als rechter Bösewicht. Drastisch formulierte es der steirische Nationalratsabgeordnete Erwin Spindelberger, der dem ÖVP-Klubobmann „Erpressungsversuche“ vorwarf: „Diese taktischen Spielchen kennen wir von Lopatka. Er ist für sein Dirty Campaigning mehr als bekannt.“ Und Verteidigungsminister Gerald Klug erweckte bei einer ORF-Diskussion vergangenen Mittwoch den Eindruck, seinen Landsmann Lopatka live im Studio harpunieren zu wollen.

Dieser weist alle Vorwürfe, der SPÖ den Landeshauptmann unter Androhung einer schwarz-blauen Koalition abgeluchst zu haben, zurück. Er habe, so Lopatka gegenüber profil, bei den Verhandlungen in der Steiermark „keine Rolle“ gespielt, sondern bloß darauf hingewiesen, dass die steirische ÖVP angesichts des knappen Wahlausgangs auch Anspruch auf den Landeshauptmann stellen dürfe und die FPÖ als Gesprächspartner nicht ausschließe. Und im Übrigen zeigten die Beispiele im Burgenland und in Friedberg, dass die SPÖ „ihre moralischen Ansprüche im Zweifel dem Machterhalt opfere“.

Ursache und Wirkung sind in der Politik nicht immer klar bestimmbar. Häufig verlaufen Prozesse nach dem Schmetterlingseffekt: Kleine Störungen zu Beginn führen nach chaotischem Verlauf zu einem unerwarteten Ergebnis. Dass die ÖVP nach zehn Jahren den steirischen Landeshauptmann-Posten zurückeroberte, ist nicht Folge eines gewieften Masterplans – ohne Lopatkas Zutun aber auch nicht so recht vorstellbar.

Überzeugter Verfechter der schwarz-blauen Option

Dessen Einfluss auf den stramm großkoalitionär eingestellten Schützenhöfer ist zwar beschränkt, Lopatkas Interventionen für Schwarz-Blau brachten Schützenhöfer und in der Folge Voves allerdings so sehr unter Druck, dass der SPÖ-Landeshauptmann sogar auf die naheliegende Halbzeitlösung für den Landeshauptmann-Posten verzichtete – wohl aus Freundschaft und Vertrauen gegenüber Schützenhöfer, persönlicher Erschöpfung und der Überzeugung, seinen jungen Nachfolger Michael Schickhofer schonen zu müssen.

Wäre Lopatkas Einfluss auf die steirische Landespartei tatsächlich so groß wie allgemein kolportiert, wäre am Ende der steirischen Turbulenzen eher eine ÖVP-FPÖ-Koalition gestanden. Lopatka – neben Seniorenbund-Obmann Andreas Khol einer der letzten Vertreter aus der Ära Wolfgang Schüssels – gilt als überzeugter Verfechter der schwarz-blauen Option auf allen Ebenen. Am Rande der Nationalratssitzung Montag vergangener Woche in Wien, zwei Tage vor dem Showdown in Graz, führte er noch Gespräche mit dem steirischen FPÖ-Landesobmann Mario Kunasek und dem Vernehmen nach sogar mit FPÖ-Boss Heinz-Christian Strache, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Steiermark zumindest atmosphärisch auszuloten.

Lopatka – auch körperlich ständig unter Spannung – neigt dazu, Dinge zu überdrehen

Nicht alle steirischen ÖVP-Politiker empfanden Lopatkas Beiträge zur Regierungsbildung als hilfreich, vor allem dessen scharfe persönliche Kritik an Franz Voves in einem „Krone“-Interview nach der Wahl stieß auf Kritik.

Lopatka – auch körperlich ständig unter Spannung – neigt dazu, Dinge zu überdrehen. Er glaubt fest an den Erfolgsfaktor Geschwindigkeit. So wickelte er auch die Rekrutierung der Team-Stronach-Abgeordneten Georg Vetter und Marcus Franz vor zwei Wochen im Eiltempo ab. Nur einen Tag, nachdem er Parteichef Reinhold Mitterlehner informiert hatte, meldete er per SMS den Übertritt der beiden Renegaten.

Wie aus der ÖVP zu hören ist, hatte Lopatka ursprünglich publikumswirksamere Kandidaten angekündigt – wie Kathrin Nachbaur. Doch die frühere Stronach-Klubobfrau soll eine Sprecherrolle im ÖVP-Klub beansprucht haben, womit ihr Engagement im Ansatz gescheitert war. Im ÖVP-Klub wird durchaus mit weiteren Überläufern des Team Stronach gerechnet. Freilich soll Mitterlehner Lopatka angewiesen haben, vorerst keine fremden Mandatare mehr zu rekrutieren.

Zwar ist im Falle weiterer Übertritte ein theoretisch möglicher Koalitionswechsel zur FPÖ auszuschließen, doch erfüllt Lopatkas Manöver bereits jetzt seinen Zweck: Es stiftet Unruhe beim Koalitionspartner und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Schwarz-Blau. Dies und das Überraschungsmoment wiegen für den Klubobmann mehr als die Furcht, liberaler gesinnte Wähler zu vertreiben. Wer gern rasch handelt, läuft Gefahr, taktische Finten nicht zu Ende zu denken.

Mitterlehner lässt Lopatka in der Klubführung freie Hand

In seinem Klub wird Lopatka mehr respektiert denn geliebt. Nicht immer fühlen sich alle Abgeordneten eingebunden. Dem Chef wird nachgesagt, manchmal zu sehr Einzelspieler zu sein. Manchen wird klubintern zu wenig diskutiert, etwa jüngst zum Rederecht für EU-Abgeordnete im Nationalrat. Dass der langjährige Klubdirektor Martin Falb im Herbst seinen Job aufgibt, wird auch mit Lopatkas sprunghaftem und emotionalem Führungsstil begründet.

Wenn er sich nun den Zorn der SPÖ zugezogen habe, liege dies auch an seiner Vergangenheit, sagt Lopatka. Als Landesgeschäftsführer führte er Waltraud Klasnic bei der Wahl 2000 zum Triumph. 2002 managte er die erfolgreiche Kampagne von Wolfgang Schüssel. 2006 musste er freilich als ÖVP-Generalsekretär die überraschende Niederlage gegen Alfred Gusenbauers SPÖ erleben. Seiner eigenen Karriere schadete sie nicht: 2007 wurde Lopatka Staatssekretär für Sport, nach den Wahlen 2008 Finanzstaatsekretär, 2012 Staatssekretär im Außenamt. 2013 machte ihn der damalige ÖVP-Obmann Michael Spindelegger zum Klubobmann. Die Lopatka eigene Konfliktlust lässt sich im Parlament besser ausleben als in einem Regierungsamt.

Das Verhältnis zum Bundesparteiobmann gilt als einwandfrei. Mitterlehner lässt Lopatka in der Klubführung freie Hand. Beide sind eher verspielte Typen, Berufspolitiker mit langer Erfahrung und einem Hang zum Risiko. Und beide sind Mitglieder in katholischen Verbindungen. Bei der Erstellung des neuen ÖVP-Programms soll Lopatka einer derjenigen gewesen sein, der die Betonung christlicher Werte streng einmahnte. Kein Wunder, dass er die Dämonisierung durch seine Mitbewerber nicht nachvollziehen kann: „Ich habe nichts Teuflisches an mir.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.