Tarek Leitner: "Da gibt es keine Hemmungen"

ORF-Moderator Tarek Leitner über seinen Urlaub mit Christian Kern, das "Sommergespräch" mit Sebastian Kurz und die Überinterpretation zuckender Augenbrauen.

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INTERVIEW: GERNOT BAUER

profil: Sie werden bei den Zweier-Wahlkonfrontationen im ORF kein Duell des Bundeskanzlers moderieren. Laut ORF-Führung erlauben Ihre Dienstpläne es nicht. Das klingt nicht sehr plausibel. Tarek Leitner: Wir haben "Sommergespräche“, Wahlkonfrontationen, die Runde der Spitzenkandidaten und dazu jede Menge Vorbereitungssitzungen. In einer solchen Situation ist es nicht einfach, ein terminliches Konzept zu erstellen. Außerdem mussten wir berücksichtigen, dass meine Kollegin Claudia Reiterer und ich nicht zwei Mal hintereinander moderieren. Es gab also viel Koordinationsaufwand. Das haben wir jetzt einmal geschafft.

profil: Dass Sie kein einziges TV-Duell des Bundeskanzlers moderieren, hat nichts zu tun mit der scharfen Kritik der ÖVP an Ihrem Urlaub 2015 mit dem damaligen ÖBB-Chef Christian Kern und an Ihrer Interviewführung im "Sommergespräch“ mit Sebastian Kurz? Leitner: Die "Sommergespräche“ mit Christian Kern und Sebastian Kurz wurden von den Zusehern unterschiedlich beurteilt. Es waren tatsächlich auch unterschiedliche Gespräche. Den ÖVP-Obmann konnte ich klarerweise nicht zu Tal Silberstein und einem Parteitagsbeschluss befragen, der eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausschließt. Zu diesen unangenehmen Themen musste sich der SPÖ-Vorsitzende äußern. Der ÖVP-Obmann hatte in seinem "Sommergespräch“ die Möglichkeit, seine Pläne darzulegen. Dass ich dabei nachfrage, gebietet die journalistische Sorgfaltspflicht. Zugegebenermaßen war das Gespräch mit Kurz streckenweise schwierig.

profil: Kann man den Umstand, dass Sie kein TV-Duell des Kanzlers moderieren, als Misstrauensnachweis des ORF interpretieren? Leitner: Nach Gesprächen mit Mitgliedern der Geschäftsführung und der Chefredaktion habe ich den Eindruck, dass volles Vertrauen in meine Arbeit besteht, die ich im ORF seit fast 30 Jahren mit einem journalistisch sachlichen Zugang leiste.

profil: Plausibler ist doch, dass die ORF-Führung nach dem Wirbel um Ihren Urlaub mit Kern einfach weitere Konflikte mit der ÖVP vermeiden will. Leitner: Die Einteilung resultiert aus einer terminlich sehr dichten Strecke. Außerdem ist die mit Abstand wichtigste Sendung im Wahlkampf die Runde der Spitzenkandidaten, die Claudia Reiterer und ich moderieren und an der auch der SPÖ-Vorsitzende teilnehmen wird.

profil: Kann man mit Christian Kern unbefangen ein Sommerinterview führen, wenn man einen gemeinsamen Urlaub verbrachte - selbst wenn Kern zu diesem Zeitpunkt 2015 noch nicht Bundeskanzler war. Leitner: Ich betreibe seit knapp 30 Jahren objektive Berichterstattung im ORF. Monate, bevor die "Sommergespräche“ begannen, habe ich über einen Teil meines Privatlebens Transparenz hergestellt, weil ich der Meinung war, dass dies für die Öffentlichkeit von Belang ist. Diese Umstände wurden mit Unwahrheiten angereichert, die sich dann skandalisieren ließen. In der Folge haben die "Sommergespräche“ eine Zuschreibung bekommen, die sie sonst nicht gehabt hätten.

profil: Haben Sie den Urlaub auch gegenüber der ORF-Geschäftsführung offengelegt? Leitner: Ich habe diese Umstände aus eigener Initiative der Öffentlichkeit mitgeteilt und auch im Haus darüber informiert. Die ÖVP hat sie im Stiftungsrat des ORF vor dem Sommer zurecht thematisiert. Aber erst zwei Tage vor dem Gespräch mit dem Hauptkonkurrenten hat ein ÖVP-Kandidat (Efgani Dönmez, Anm.) diese Umstände, angereichert mit groben Unwahrheiten, publiziert. Ich kenne die Funktionsweisen der Politik ganz gut. Es ist kein Zufall, dass ein Sachverhalt nicht dann debattiert wird, wenn er öffentlich wird, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine Skandalisierung möglich ist. Damit muss man in einer intensiven Wahlkampfzeit rechnen. Bedenklich, wie manche Medien da aber mitspielen.

profil: Das Kalkül der ÖVP hinter der Kritik an Ihnen ist klar. Man kann aber schon auch der Meinung sein, dass bereits der Anschein einer Freundschaft zwischen Interviewer und Interviewtem problematisch ist. Leitner: Ich habe den Begriff "Freundschaft“ in diesem Zusammenhang nicht benützt. Dieser Anschein entstand durch Unwahrheiten und die Konstruktion eines Naheverhältnisses. Darauf haben der ORF und ich reagiert, indem wir dem ÖVP-Kandidaten anwaltlich mitteilen ließen, dass er die Verbreitung von Unwahrheiten unterlassen soll. Ich gehe davon aus, dass er dem nachkommen wird.

Es gibt nicht die eine richtige Frage, weil Journalismus nicht Mathematik ist und daher nicht formalen Kriterien folgt.

profil: In einem Ö3-Interview wurde der Bundeskanzler gefragt, warum er als Sozialdemokrat seine Tochter in eine katholische Privatschule schickt. Beim "Sommergespräch“ kam Kern von sich aus auf das Spannungsverhältnis zwischen öffentlichen und privaten Schulen zu sprechen. Da kann ein Moderator nur schwer eine Frage zur Privatschule der Kanzlertochter stellen, wenn das eigene Kind in dieselbe Privatschule geht. Dass es da Hemmungen gibt, ist nur menschlich. Leitner: Da gibt es keine Hemmungen. Ich habe im "Sommergespräch“ mit dem Bundeskanzler heiklere Themen angesprochen als eine private Schulentscheidung. Es gibt eine Reihe von Fragen, die man in einem solchen Interview stellen kann. Es gibt aber nicht die eine richtige Frage, weil Journalismus nicht Mathematik ist und daher nicht formalen Kriterien folgt. Ein Gespräch erfordert ein journalistisches Gespür, wie sich Themenstränge und Fragen entwickeln.

profil: Offenbar gab es bei der ÖVP ein Missverständnis, was ein "Sommergespräch“ ist, nämlich kein Plausch bei warmen Außentemperaturen, sondern ein durchaus kontrovers geführtes Interview. Leitner: Mein Anspruch war, den Gesprächscharakter des Formats zu betonen. Es sind aber die ersten "Sommergespräche“, die in einem Wahlkampf stattfanden. Am Beginn der Sendereihe war der Gesprächscharakter noch eher gegeben. Mit der zunehmenden Intensität des Wahlkampfs nimmt die Bereitschaft der Interviewten ab, über Politik zu philosophieren.

profil: Wie war die Stimmung unmittelbar nach dem Ende des Interviews mit Sebastian Kurz? Leitner: Es ist ein Gespräch, das vor einer Million Zuseher stattfindet und daher für beide Seiten mit einer gewissen Anspannung verbunden ist. Mir ist bewusst, dass sich die Zuseher darüber Gedanken machen, wie der Interviewte und der Interviewer zueinander stehen. Wenn ich eine Frage stelle, und der Politiker leitet seine Antwort mit der Formulierung "Ich werde auch Sie noch überzeugen“ ein, stellt er den Moderator als seinen politischen Gegner dar. Dabei stelle ich nur eine Frage. Ich will dem Zuseher vermitteln, dass meine eigene Meinung völlig egal ist. Einen Politiker, der die Erbschaftsteuer befürwortet, werde ich mit anderen Argumenten befragen als einen, der sie ablehnt.

profil: Christian Kern und Sebastian Kurz fahren die gleiche Medienstrategie: Sie wollen tunlichst über ihr öffentliches Erscheinungsbild selbst bestimmen. Leitner: Es gibt viele Möglichkeiten für die Politik, ungefiltert zu kommunizieren. Wenn Politiker aber in ORF-Sendungen zu Gast sind, dann gilt, dass der ORF-Moderator das Gespräch führt.

profil: Hat man als ORF-Interviewer die eigene Mimik immer im Griff. Merkt man selbst, dass man hin und wieder genervt dreinschaut. Leitner: Man führt ein Gespräch als Journalist und Mensch und kann keine hundertprozentige schauspielerische Leistung erbringen. Ich verwehre mich aber dagegen, wenn in jedes Zucken einer Augenbraue etwas hineininterpretiert wird. Die Bewertung desselben Gespräches fällt außerdem oft komplett unterschiedlich auf. Jeder noch so regelkonforme Pfiff eines Schiedsrichters wird von manchen Fans als unfair aufgenommen. Bei Moderatoren kann es ähnlich sein. Allein eine Frage wird schon als Affront empfunden.

Es kommt nicht darauf an, wie oft man zu einem Minister-Heurigen eingeladen ist, sondern mit welcher Haltung man hingeht.

profil: Wie mächtig ist ein "ZIB“-Moderator? Leitner: Ich kann nur sagen, dass thematische Gewichtungen und Augenbrauen von "ZIB“-Moderatoren auf hohe Aufmerksamkeit stoßen. Über deren tatsächlichen Einfluss müssen Politikwissenschafter urteilen.

profil: Der Politologe Fritz Plasser ortete schon 1985 eine Verschmelzung der gesellschaftlichen Funktionssysteme Politik und Medien zu einem einzigen politisch-medialen Supersystem. Hat er recht? Leitner: Das Wesentliche ist die innere Haltung der Teilnehmer dieser Systeme. Es kommt nicht darauf an, wie oft man zu einem Minister-Heurigen eingeladen ist, sondern mit welcher Haltung man hingeht. Wenn diese Haltung von einer kritischen Distanz getragen ist, dann hält sie es auch aus, dass Kinder in dieselbe Klasse gehen.

profil: ORF-Online-Chef Thomas Prantner warnte in einem profil-Interview vor dem Eindruck, ein TV-Studio sei ein Verhörraum oder eine Anklagebank. Liegt er damit richtig? Leitner: Journalismus besteht darin, gut vorbereitet mit Fakten- und Hintergrundwissen Fragen zu stellen. Dazu gehört auch, auf Antworten zu beharren. Unsere ORF-Interviews werden täglich von Hunderttausenden Sehern verfolgt. Es ist klar, dass nicht jedem alles gefallen kann. Man muss Kritik aushalten.

profil: Politiker kritisieren oft, dass gerade Journalisten kritikunfähig sind. Leitner: Ich kann mit Kritik gut umgehen, wie die vergangenen Tage gezeigt haben.

profil: Sind die Politiker zu zimperlich? Leitner: Politiker sind nicht zimperlich. Im Gegenteil: Sie müssen viel aushalten, etwa gelegentlich von Leitartiklern, die genau wissen, wie man Österreich und die Welt regieren müsste.

profil: Ein ORF-Moderator steht angesichts seiner Reichweiten vor einem Problem. Wenn er einen Politiker im Interview allzu scharf attackiert, verstärkt er damit unter Umständen die grassierende Politikerverachtung. Leitner: Darum habe ich das in keiner Minute meiner Gespräche gemacht. Aber Politikern geht es oft weniger darum, wie sie in der Sendung waren, sondern wie sie nachher von den Leuten empfunden werden. Da wird dann oft nachgeholfen. Mein zentrales Vorhaben war es, dass Zuseher, die meinen jeweiligen Gast nie wählen würden, zumindest gedanklich ein Stück weit dessen Ausführungen mitgehen. Das funktioniert nur, wenn man es mit Respekt macht, aber auch mit der notwendigen Distanz.

profil: Wird das Wahlergebnis am 15. Oktober auf den ORF Einfluss haben? Leitner: Wahlergebnisse haben immer Auswirkungen auf den ORF, schon allein deshalb, weil die Zusammensetzung des Stiftungsrats sich bei einer neuen Regierung änden kann. Und eine neue Regierung wird vielleicht andere Vorstellungen darüber haben, wie ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk organisiert ist. Nachdem diverse Parteien bereits ein neues ORF-Gesetz ankündigen, nehme ich an, dass sie es ernst meinen.

profil: Wie sehr leiden Sie unter Interventionen? Leitner: In der Ära von Generaldirektor Alexander Wrabetz arbeitet die ORF-Information so frei, wie es den Vorstellungen der Redakteure entspricht. In meiner Arbeit und insbesondere bei den "Sommergesprächen“ hat es nicht einen Wunsch oder eine Anregung von außen gegeben, die es bis zu mir geschafft hätte.

profil: Warum sind die Fragen des Tarek Leitner bei Interviews bisweilen so lang? Leitner: Fragen sollten natürlich kurz sein. Aber gerade in einem "Sommergespräch“ ist es legitim, dass man einer präzisen Frage ein paar Gedanken voranstellt, die eine halbe Minute übersteigen.

profil: Der Moderator als Philosoph? Leitner: Der Moderator als Führer eines Gesprächs und nicht eines Interviews.

profil: Werden Sie nach der Wahl am 15. Oktober auf Urlaub fahren? Leitner: Ich freue mich, wenn dann wieder mehr Zeit für meine Familie bleibt.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.