ÖSTERREICH

Paarbildung: Wenn die Uni brennt, müssen zwei Ex-Rektoren löschen

ÖVP-Minister Martin Polaschek und die grüne Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger. Die beiden ergänzen einander auf überraschende Weise gut. Dem einen fehlt die Eignung, der anderen das Amt.

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Gute Politik bedeutet Actio statt Reactio. Insofern hat Wissenschaftsminister Martin Polaschek versagt. Vor zwei Wochen hatten die ersten Rektoren über alle Kanäle öffentlich Alarm geschlagen: Den Universitäten würde aufgrund der steigenden Kosten das Geld ausgehen. Ein erfahrener Politiker hätte nun versucht, Stärke und Krisenkönnen zu demonstrieren. Er hätte etwa einen runden Tisch mit allen Rektoren organisiert oder einzelne zu sich ins Ministerium gebeten. Doch Martin Polaschek ließ die Causa treiben. Am Montag demonstrierten Personal und Studierende der fünf steirischen Universitäten lautstark in Graz und legten mit ihren Protesten die Innenstadt lahm. Die nachgeschobene frohe Botschaft des Wissenschaftsministers, den Unis weitere 150 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, verpuffte.

Eva Blimlinger hätte es in der Hand gehabt, den Schaden zu begrenzen. Die grüne Nationalratsabgeordnete ist Bereichssprecherin ihrer Fraktion für Wissenschaft und Forschung. Doch sie sprang nicht dem Minister, sondern den Universitäten bei: „Es muss zusätzliches Geld her.“

Dass sich Vertreter von ÖVP und Grünen in finanziellen Fragen nicht einig sind, ist Koalitionsalltag. Wenn der Streit ums Geld ausgerechnet in der Woche des Budget-Beschlusses ausbricht, sind Zweifel an der Professionalität der Beteiligten angebracht. Geht es zudem um Universitäten und Wissenschaft, die laut Regierungsprogramm „Basis für gesellschaftlichen Fortschritt und Innovation“ sind, dürften diese Zweifel mehr als berechtigt sein.

Die Protagonisten Eva Blimlinger, 61, und Martin Polaschek, 57, kennen einander aus ihrem Leben vor der Politik. Blimlinger war Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien und Präsidentin der Universitätenkonferenz. Polaschek diente bis Dezember 2019 als Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz. An ihren Hochschulen waren sie Magnifizenzen, in ihren jetzigen Ämtern sind sie Novizen.

Der Wechsel in die Politik erfolgte bei Blimlinger grün-basisdemokratisch, aber nicht lang geplant. Der Senat der Akademie hatte der Rektorin eine dritte Periode verweigert. Als Grund nennt Blimlinger unterschiedliche Auffassungen bei der Finanzierung der Hochschule. Allerdings dürfte auch ihr Naturell eine Rolle gespielt haben: „Ich gebe zu, dass ich gerade heraus und nicht unbedingt diplomatisch bin.“ Zusatz: „Aber ich bin immer verhandlungs- und kompromissbereit.“

Nach der unfreiwilligen Exmatrikulation beschloss sie, es in der Politik zu versuchen. Zuvor beriet sich Blimlinger mit ihrem Bruder Thomas, dem langjährigen grünen Bezirksvorsteher in Wien-Neubau. Bei der Versammlung der Wiener Landespartei 2019 wurde sie auf den vierten Platz der Kandidatenliste gereiht und zog nach der Nationalratswahl im selben Jahr ins Parlament ein.

Martin Polascheks Ministerkarriere startete ÖVP-charakteristisch. Lang wurde ihm nachgesagt, einen Drang in die Politik zu verspüren. Offiziell ist er parteifrei, in pectore Mitglied des schwarzen Arbeitnehmer-Bundes ÖAAB. Als Karl Nehammer im Dezember 2021 Kanzler wurde, tauschte er den rundum parteilosen Heinz Faßmann gegen Polaschek aus. Grund war der Wunsch der steirischen ÖVP nach einem Ministeramt – und weniger Polascheks Eignung, die noch immer nicht ganz erwiesen ist. Sein Haus, das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung am Wiener Minoritenplatz, prägte Polaschek bisher nicht inhaltlich, sondern dekorativ. Ein Sitzungsraum, der als „120er“-Zimmer bekannt war, heißt nun offiziell „Alois-Mock-Saal“. Dazu ließ er Porträts seiner Amtsvorgänger aufhängen.

Bilder scheinen dem Minister wichtig zu sein, auch das eigene. Bei der Angelobung fiel Polaschek durch sein langes, gepflegtes Haar auf. „Ich finde es sehr amüsant, dass sich Menschen mehr Gedanken über mein Aussehen machen als über meine Qualifikation“, sagte er in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“. Allerdings: Wenn Äußerlichkeiten über Inhalten stehen, muss das nicht die Schuld des Publikums sein. Mittlerweile ist Polascheks Frisur ministrabel.

Sein Führungsstil gilt als defensiv. Zu Amtsbeginn verzichtete er darauf, sich der gesamten Mitarbeiterschaft vorzustellen. Kontakte zu seinen Spitzenbeamten sind spärlich.

Es heißt, der Minister sei generell eher selten im Haus anzutreffen und regelmäßig schon an Donnerstagen oder Freitagen unterwegs ins heimatliche Graz. Und wenn er da ist, werde er von seinem Büro abgeschirmt, die Kabinettschefin gilt als heimliche Ministerin. Seine Reden, wie am Donnerstag bei der Budgetdebatte im Nationalrat, liest er vom Blatt. Videobotschaften fallen ihm leichter.

Eva Blimlinger ist weniger scheu. Mit Forschheit schafft man es in die Politik, einmal dort angekommen wirkt sie karrierehemmend. Im Jänner 2020 suchte Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler für sein Ressort – Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport – eine Staatssekretärin. Blimlinger wäre die Idealbesetzung gewesen: ehemalige Rektorin einer Kunstakademie; Bei- und Aufsichtsrätin diverser Kultureinrichtungen; Beamtin; Sport-Kennerin, die Landhockey spielte, sich als „Rapidlerin“ bezeichnet, Formel-1-Rennen anschaut und mit Großvater Josef Gerö und Onkel Heinz Gerö zwei ÖFB-Präsidenten in der Familie hatte. Doch Kogler entschied sich für Ulrike Lunacek, die von Außen- und EU-Politik einiges verstand, von Kunst und Kultur aber nur wenig.

Als Lunacek nach nur fünf Monaten zurücktrat, wurde Blimlinger abermals übergangen – eine Kränkung, die sie nicht leugnet. Das Harmoniebedürfnis einer Koalition verträgt sich eben nur schwer mit Blimlingers Konfliktfreude, die sie in all ihren bisherigen Funktionen auslebte. So zog sie sich 2018 aus dem Beirat des Hauses der Geschichte Österreich zurück, weil sie das Konzept für „ein Gwirks“ hielt.

So groß kann die Welt gar nicht sein, dass sie Blimlinger nicht nur verstehen, sondern auch allen erklären würde. Ihre Allwissenheit zeigt sich in der Fülle ihrer Aufgaben, für deren Bewältigung andere Parlamentsklubs drei Abgeordnete benötigen. Blimlinger ist nicht nur grüne Bereichssprecherin für Kunst, Kultur, Wissenschaft, Forschung und öffentlichen Dienst, sondern auch für Medien. Man könnte sagen: Sie ist Werner Koglers Frau fürs Robuste in Rundfunk-Angelegenheiten. Bis heute verteidigt sie den geheimen Sideletter, in dem ÖVP und Grüne nach ihren Koalitionsverhandlungen die Spitzenjobs im ORF aufteilten.

Was beider Herkunft betrifft, hätte der Jurist Polaschek auch ein Linker und die Historikerin Blimlinger Mitglied im ÖVP-Wirtschaftsbund werden können. Der Vater der Grünabgeordneten war Trafikant in Wien-Neubau, der heutige Minister ist ein Arbeiterkind aus Bruck an der Mur – mit humanistischer Gesinnung: An der Universität Graz startete er ein Projekt zur Förderung von Studierenden aus bildungsfernen Familien.

Er selbst legte an der Uni eine beachtliche Karriere hin. Nach Promotion und Habilitation arbeitete er am Institut für Rechtsgeschichte. Polaschek ist anerkannter Experte für Entnazifizierung und Nachkriegsjustiz. Als solcher kam er schon früh mit Blimlinger in Kontakt, die ab 1998 als Forschungskoordinatorin der staatlichen Historikerkommission zum Umgang Österreichs mit seiner NS-Vergangenheit tätig war.

Ab 2003 war Polaschek Vizerektor. 2019 wurde er vom Universitätsrat zum Rektor gewählt, mit kleinem wettbewerblichen Makel: Der Uni-Senat hatte ihn als einzigen Kandidaten nominiert, üblich ist ein Dreier-Vorschlag.

Politisch leiden Polaschek und Blimlinger unter demselben Mangel. Beide verfügen in ihren Parteien über keine nachhaltige Hausmacht. Zwar soll sich Polaschek um Kontakte zu ÖAAB-Funktionären bemühen, kann tatsächlich aber nur auf die Fürsprache des steirischen ÖVP-Landeshauptmanns Christopher Drexler zählen. Und die Wiener Grünen, die Blimlinger für den Nationalrat nominierten, entziehen ihre Gunst bekanntlich ebenso schnell, wie sie diese gewähren.

Durchaus möglich, dass der Rechtshistoriker Polaschek und die Zeithistorikerin Blimlinger nach der nächsten Wahl als Politiker bereits Geschichte sind.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.