SPÖ-Bezirksvorsteher Donaustadt Ernst Nevrivy

Politiker-Beschimpfungen: Wiener Wahnsinn

„Gsindl“, „Heisln“, „Koffer“: Wenn Politiker einander beschimpfen, verschwimmen die Grenzen zwischen Schmäh und Schmähung.

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Ernst Nevrivy, Vorsteher-Düse aus dem 22. Wiener Bezirk, hat eine Lieblingsband namens „Wiener Wahnsinn“. Einer der Hits der Gruppe lautet „Deppert sein“. Der Held des Songs ist ein Verlierer, der in seinem patscherten Leben nur „beim deppert sein vorn dabei“ ist.

Ungefähr diese Position nahm Ernst Nevrivy beim jüngsten Landesparteitag der Wiener SPÖ in der Messehalle ein. In seinem Redebeitrag knöpfte sich der Bezirksvorsteher die Gegner umstrittener Bauprojekte wie Lobautunnel und Stadtstraße vor. Die SPÖ müsse zeigen, so Nevrivy, „ob wir hinter unserem Bürgermeister stehen, der wochen- und monatelang von den Grünen und den ganzen anderen Heisln da draußen beleidigt und beschuldigt wird“. Spülung. Die Parteijugend kritisierte den Genossen aus der Donaustadt für die deftige Wortwahl, etwa Stefanie Berger, Wiener Vorsitzende des Verbands Sozialistischer Studierender: „Wenn die Aktivistinnen als Heisln beschimpft werden, und es dafür auch noch Applaus gibt: Das ist nicht die Sozialdemokratie, wie ich sie mir vorstelle.“

Allerdings ist es offenbar genau die Sozialdemokratie, die sich der Wiener SPÖ-Vorsitzende Michael Ludwig vorstellt. Kameraaufnahmen zeigten, wie sich der Bürgermeister über Nevrivys Sager amüsierte, den er in der Folge als „sehr pointierte, erdige“ Wortmeldung charakterisierte.

Heisln? Hiasln?

Interessanterweise gelten Verbal-Athleten wie Nevrivy oft als „Originale“ oder „Politiker mit Ecken und Kanten“, die so reden „wie die einfachen Leute“ beziehungsweise „wie ihnen der Schnabel gewachsen“ sei. Wer das nicht aushalte, sei eine „Mimose“, wie es die „Kleine Zeitung“ formulierte. Die „Presse“ wies zudem daraufhin, dass man „Heisln“ auch als harmloses „Hiasln“ deuten könnte. Auch wenn es ein „SPÖ-Eigentor“ („Kronen Zeitung“) war, befindet sich Nevrivy mit „Heisln“ wohl gerade noch innerhalb des Zumutbarkeitsbogens. „Beidln“ wäre wahrscheinlich selbst für einen Donaustädter Bezirksvorsteher zu vulgär gewesen.

Junge Umweltaktivistinnen und -aktivisten scheinen bei älteren Politikern von Großparteien etwas zu triggern. 2020 bezeichnete der Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) eine WWF-Vertreterin, die eine Petition gegen ein Kraftwerks-Projekt übergab, als „widerwärtiges Luder“. Im Gegensatz zu Nevrivy entschuldigte sich Geisler später „für diese völlig unangebrachte Aussage“.

Bei Landesparteitagen der Wiener SPÖ sind erdige Wortmeldungen wahrscheinlich milieubedingt. Ludwigs Vorgänger Michael Häupl bezeichnete die ÖVP bei einem solchen Anlass als „mieselsüchtige Koffer“. Manchmal sind es aber auch die Teilnehmer an SPÖ-Veranstaltungen, die von den eigenen Chefs beleidigt werden. So erkundigte sich Alfred Gusenbauer vor einem Termin mit Parteigenossen in Donawitz, ob das „was Ordentliches“ werde oder „das übliche Gesudere“.

„Dreckskünstler“

Das Ausmaß der Empörung über einer Invektive hängt auch davon ab, gegen wen sie sich richtet. Dass Nevrivy junge Klimaschützer und grüne Politiker schmähte, machte die Sache noch schlimmer. Wäre er so zum Beispiel gegen Donaustädter FPÖ-Bezirksräte vorgegangen, hätte die „Kronen Zeitung“ unter Umständen von einem „Volltreffer“ geschrieben. Nicht ganz zu Unrecht: Gerade Freiheitliche sind in der eigenen Wortwahl nicht zimperlich. Als besonderer Berserker erweist sich regelmäßig der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl, der „Dreckskünstler“ nicht fördern will und Homosexuelle „Schwuchteln“ nennt.

Im Nationalrat ist es vor allem Klubobmann Herbert Kickl, der auszuteilen beliebt und dafür jede Menge Ordnungsrufe kassiert. Den früheren ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel nannte er „Österreichs jüngsten Demenzpatienten“, Sebastian Kurz einen „Feschisten“, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka warnte er wiederholt vor den Gefahren hohen Blutdrucks. Was seine Kritiker für Beleidigungen halten, nennt Kickl „lebendigen Parlamentarismus“.

Lebendig geht es in allen Fraktionen zu. Der frühere Team-Stronach-Abgeordnete Robert Lugar verglich eine ÖVP-Abgeordnete mit einem „betäubten Faultier“. Ex-NEOS-Mandatar Sepp Schellhorn hielt der ÖVP vor, wirtschaftspolitisch einen „Beistrich in der Hose“ zu haben. Alfred Noll von der Liste Pilz meinte zu den SPÖ-Abgeordneten: „Ihr seid alle wahnsinnig.“

„Große Papp´n, kleines Hirn“

Einer der größten Krakeeler und Ordnungsruf-Sammler der jüngeren Zeitgeschichte war der BZÖ-Abgeordnete Gerald Grosz. ÖVP-Mann Karlheinz Kopf nannte dessen Fraktion deshalb pauschal den „Hooligan-Sektor“. Christian Faul, SPÖ, wandte sich einmal direkt an Grosz: „Sie sind für mich im Sternzeichen ein Krokodil: eine große Papp´n und ein kleines Hirn.“

Die Liste der Begriffe, für die es im Parlament schon öfter Ordnungsrufe gab, ist lang: „Blutsauger“, „Dreckschleuder“, „Denunziant“, „Meuchelbande“, „Gauner“, „Diffamierer“, „Schwein“, „Koalitionstrottel“, „Kettenhund“, „Lügner“, „Nazi“, „Betonschädel“ sowie das pointierte „Arschloch“. 

Zu den untergriffigsten Beleidigern zählte der Kärntner Landeshauptmann und FPÖ-Chef Jörg Haider. Dem früheren polnischen Präsidenten Lech Walesa hielt Haider vor, „mehr breit als hoch“ zu sein. Den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac nannte er einen „Westentaschen-Napoleon“.

Bisweilen vergreift sich sogar ein Nationalratspräsident im Ton. Der diesbezüglich legendärste Zwischenfall: Als es Anton Benya, SPÖ-Nationalratspräsident von 1971 bis 1986, einmal zu unruhig im Plenum wurde, meinte er vom Präsidentensitz aus: „Hoits die Gosch’n do untn!“ Als echter Gewerkschafter war Benya eben ein Mann mit robuster Sprache.

„Riesen-Oasch“

Dass auch Koalitionspartner einander nicht schonen, zeigte der türkise Abgeordnete Andreas Hanger vor der jüngsten Sitzung des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses. Der grünen Abgeordneten Nina Tomaselli unterstellte Hanger „Profilierungsneurosen“, da diese die Inseratenaffäre um den Vorarlberger ÖVP-Wirtschaftsbund im U-Ausschuss thematisierte.

Wer Beleidigungen öffentlich ausspricht, beabsichtigt meist auch einen Show-Effekt. Anders verhält es sich bei Formulierungen im Verborgenen, die gerade wegen ihres vertraulichen Charakters noch erdiger bis herber ausfallen. Aus den Chats des früheren ÖBAG-Chefs Thomas Schmid wurde ein wahrer Zitatenschatz gehoben: „Hure der Reichen“, „Pöbel“, „Tiere“, „Links-Dilettant“, „Riesen-Oasch“, …

Der frühere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel leugnet bis heute, den Präsidenten der deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, in einem Hintergrundgespräch „eine richtige Sau“ genannt zu haben. Im Februar wurde ein Handy-Chat aus dem Jahr 2016 bekannt, in dem die heutige niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner vom „roten Gsindl“ schreibt. Mikl-Leitner entschuldigte sich für ihre Wortwahl: „So sollte man weder miteinander noch übereinander reden.“ Womit auch die interessante Frage, ob vertraulich geäußerte Beleidigungen moralisch unbedenklich sind, geklärt ist.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.