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Schlafen verboten!

Der Kanzler und seine Kohorte kalmieren, Luigi Nono schlägt Alarm. Bitte entscheiden Sie selbst, wem Sie sich näher fühlen.

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Guten Morgen!

Migranten werden niedergeschlagen, verhöhnt, gefoltert, im Geiste einer pervertiert-faschistischen Internationale. Öffentlich misshandelte Asylwerber gab es heuer bei den Salzburger Festspielen? Schon, aber nur auf der Bühne, versteht sich. Vorgestern in der Felsenreitschule gab es also die letzte Vorstellung der sehr zu Recht akklamierten Neuinszenierung von Luigi Nonos aktivistischem Arbeiterdrama „Intolleranza 1960“ zu bewundern. Die Dringlichkeit der perkussiv-blechernen Orchesterschübe und der gefährlich erhöhten Stimmtonlagen, souverän dirigiert von Ingo Metzmacher, wurde durch ein streng choreografiertes Wimmelbild – panisch durch- und gegeneinander laufende Menschenmengen – auf der Bühne noch verstärkt. Manuel Brug reportierte für profil dazu dies hier.

Es bedurfte, fand jedenfalls Regisseur Jan Lauwers, keiner allzu forcierten szenischen „Aktualisierung“, um aus Nonos bitterem Gesellschaftsbefund von vor sechs Jahrzehnten einen mit gegenwärtigen Diskursen (Rechtsextremismus, Terror, Fluchtbewegungen) kurzgeschlossenen Abend herzustellen: zeitlos schlichte Kostüme, allegorische Settings. Der Faschismus ist nicht auszurotten, der grauenerregende Befund liegt am Tisch. Das musikalische Pathos mochte aus den frühen 1960er-Jahren stammen, das nackte Menschenleid aber, das man da präsentierte und filmisch schmerzhaft vergrößert auf die rohen Wände der Felsenreitschule warf, schien aus den gestrigen Abendnachrichten direkt auf die Bühne geholt.

Lachgesellschaft? Schließgesellschaft!

Apropos kurzgeschlossen: Der Bundeskanzler der Republik Österreich und sein linientreuer Außenminister geben sich dieser Tage, wie Sie wissen, von humanitären Katastrophen relativ unbeeindruckt. „Vereinfachung ohne Hemmung“ sei eben weiterhin das Motto des soeben in seinem harten Weg frisch bestätigten ÖVP-Obmanns, wie Gernot Bauer schreibt, der unlängst den ÖVP-Parteitag besucht und sich ein wenig unter Niveau amüsiert hat („Intellektuell war die Veranstaltung eher anspruchslos“). Gut, man lacht vielleicht nicht viel in der feinen ÖVP-Gesellschaft, aber man schließt doch gerne: erst die Balkanroute, jetzt die Grenzen für Geflüchtete. Und man werde selbstredend „allen Gegenwind aushalten“, hieß es in den parteitäglichen Ansprachen an die Basis. Keine Frage. Afghanistan ist fern, der raue Wind, der dort nun weht, erreicht den Rest der Welt, aber die Wiener Regierungsspitze nur noch als frühherbstliches Lüfterl. Und man muss ja, bitteschön, nicht auf alles reagieren, was aus dem Ausland so auf einen eindringt. Überhaupt: Klimaschutz mit Augenmaß! Was wir nicht sehen, existiert doch mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht!

Dem Vernehmen nach wählten übrigens exakt drei der weit über 500 Delegierten Sebastian Kurz nicht. Alle anderen hätte man – Vorschlag zur Güte – vorab zu einem Ausflug zu den Salzburger Festspielen verpflichten sollen, in die dunkelgraue Felsenreitschule. Schlafen verboten, mit anschließend verpflichtendem Referat über das Gesehene. Vielleicht hätten die Volksparteigesandten dort noch das eine oder andere lernen können. Triste Geschichte, blutige Gegenwart – und was sie selbst damit zu tun haben könnten.

Einen guten Start in den Dienstag wünscht Ihnen die profil-Redaktion!

Stefan Grissemann

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Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.