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Sebastian Kurz ist dann mal weg

Noch jeder Regierungschef widmete sich gern der Außenpolitik, wenn es zu Hause ungemütlich wurde.

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Liebe Leserin, lieber Leser

Endlich die nervigen Beschränkungen und lästigen Zwänge der Corona-Pandemie hinter sich lassen, endlich wieder zu einem „normaleren“ Leben zurückkehren, endlich wieder reisen! Diese Sehnsüchte haben alle – auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Kein Wunder: So lange Zeit durchgehend stationär in Wien wie während der Corona-Krise war der Regierungschef überhaupt noch nie in seinem Politleben – gehören doch in „normalen“ Zeiten häufige Dienstreisen zu Kurz‘ Politstil.

Vorgestern Israel, gestern Brüssel, heute Irland, morgen Washington: So konnte unter Türkis-Blau eine normale Reise-Woche von Kurz aussehen, schon nach einem Jahr hatte er mehr Stippvisiten im Ausland absolviert als manch anderer Kanzler während der gesamten Amtszeit. Ein Hausfotograf des Kanzleramts war stetiger Reisebegleiter, das Ergebnis waren wohlinszenierte Schönbilder eines shiny happy Kanzlers, der internationalen Politgrößen die Welt erklärt. Damit nicht genug: Dieses Dasein als Dauerjetter hob das internationale Renommee und hatte den angenehmen Nebeneffekt, dass Kurz sich aus innenpolitischem Kleinkram weitgehend heraushalten konnte. Unangenehme Fragen sollten andere beantworten, Kurz war mal weg.

Jetzt ist es wieder soweit, Kurz versucht an sein früheres Erfolgskonzept anzuschließen und auf das internationale Parkett zurückzukehren. Sebastian Kurz ist dann mal wieder weg. Montag war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Wien, am gestrigen Dienstag war Kurz in Berlin, morgen Donnerstag folgt der EU-Gipfel in Brüssel, kommende Woche geht es zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Ein Sommer wie damals wird es für Kurz dennoch nicht werden. Früher wurde Österreichs Jung-Kanzler hofiert, brachte als Reise-Souvenirs hymnische Schlagzeilen wie „Berlin liegt unserem Kanzler zu Füßen“ in Boulevard-Medien mit nachhause und glänzte in internationalen Medien als neuer Star.

Diese Zeiten sind vorbei, der Lack ist ab, auch international. „Sebastian Kurz und der Sumpf von Wien“ schreibt das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ diese Woche, der britische „Economist“ sieht politische Ähnlichkeiten mit Viktor Orbán und Benjamin Netanjahu – überall sind diverse Korruptionsaffären Hauptthema. Einfach abzuheben und den unangenehmen Politalltag hinter sich zu lassen, diese Methode funktioniert nicht mehr.

Kurz ist nicht der erste österreichische Politiker, der international zuerst als Wonderboy hochstilisiert wurde – und dann umso heftiger kritisiert wurde. Auch Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser erlebte das –  zelebrierte daraufhin die Opferrolle und sah sich als, was denn sonst, unschuldiges Opfer der gemeinen „Neidgesellschaft“. Was ist aber Neid wirklich? Angelika Hager, unsere profil-Spezialistin für polemische Analysen mit feiner Klinge und Tiefgang, porträtiert in der aktuellen profil-Ausgabe das schwierige Gefühl Neid.

Von Gefühlen wie Neid lässt sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht leiten. Sie verfolgt lieber Spuren des Geldes. Etwa jener Unternehmer und Unternehmer, die kräftig in das „blaue“ Vereinsnetzwerk einzahlten – nachzulesen hier. Auch eine Folge des Ibiza-Videos und der Ermittlungen danach.

Dorthin, zum Ibiza-U-Ausschuss, reist Kurz dann kommende Woche. Nein, es wird für ihn kein Sommer wie damals.

Haben Sie einen schönen Tag!

Eva Linsinger

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin