Rosemarie Schwaiger

Rosemarie Schwaiger: Wiener Voodoo

Rosemarie Schwaiger: Wiener Voodoo

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Wahlkampf kann kinderleicht sein – sofern der politische Gegner brav mitspielt und exakt das tut, was von ihm erwartet wird. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat sich vermutlich selbst gewundert, welch ein Renner seine jüngste Kritik an den islamischen Kindergärten in Wien geworden ist. Ohne die tatkräftige Hilfe der Rathaus-SPÖ wäre das nicht möglich gewesen. Da ist bei Gelegenheit ein Geschenkkorb fällig.

Kurz hatte bei einer Veranstaltung gefordert, islamische Kindergärten in der Bundeshauptstadt zu schließen. Der zuständige Stadtrat Jürgen Czernohorszky reagierte darauf, wie man im Wiener Rathaus grundsätzlich auf Kritik, Ratschläge, Forderungen und sonstige unerbetene Beiträge von Betriebsfremden reagiert: in höchstem Maße unwillig. „Ich bin der Meinung, Politik soll Probleme lösen, nicht erfinden“, erklärte Czernohorszky. Der Integrationsminister möge bitte konkrete Verdachtsfälle melden oder, noch besser, einfach still sein.

Damit hielt man bei der SPÖ den Fall offenbar für erledigt. Leider gab es dann ziemlich viele Medienberichte und Internetpostings über das angeblich erfundene Problem. Die geneigte Öffentlichkeit wurde an diverse Verfehlungen und Skandale der jüngeren Vergangenheit erinnert und erfuhr, auch interessant, dass es rein muslimische Betreuungsangebote für den Nachwuchs nur in Wien gibt, nirgendwo sonst in Österreich. Also mussten die Genossen nachlegen: Eine Woche nach seiner ersten Reaktion (frei übersetzt: „Eh alles paletti“) präsentierte Stadtrat Czernohorszky ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur besseren Kontrolle der Kindergärten. Sogar der Verfassungsschutz soll künftig mitreden; das legt den Schluss nahe, dass nicht nur die Höhe der Waschbecken in den Klos zur Prüfung kommt. Angeblich hat das neue Regelwerk mit den Ideen von Kurz nichts zu tun. Daran werde schon länger gearbeitet, heißt es aus dem Rathaus.

Mag sein. Trotzdem ist es hauptsächlich die Schuld der Wiener SPÖ, wenn viele Bürger jetzt glauben, es habe wieder einmal den türkis-schwarzen Superbasti gebraucht, um die Welt zu retten. Wie schon erwähnt: Ein Geschenkkorb als Dankeschön für die Rathaustruppe wäre das Mindeste – eventuell gefüllt mit ein paar regionalen Spezialitäten von der Balkanroute.

Die ÖVP sollte einen Geschenkkorb schicken – mit Spezialitäten von der Balkanroute

Politiker geben Fehlentwicklungen im eigenen Einflussbereich ungern zu, das ist überall auf der Welt so. Bei den Wiener Sozialdemokraten nimmt diese Branchenunsitte nach über 70 Jahren ununterbrochener Regentschaft allerdings behandlungswürdige Ausmaße an. In Wien ist laut offizieller Lesart noch nie etwas schiefgelaufen, wurde nie etwas falsch beurteilt, hatte nie eine Maßnahme andere Auswirkungen als geplant. Kommt Kritik von außen, wird erst einmal gemauert und geleugnet, gelegentlich auch diffamiert. Es läuft was falsch? Bei uns? Was für eine bösartige Unterstellung! Offenbar handelt es sich um eine spezielle, nur in Wien praktizierte Form von Voodoo: Ein auftauchendes Problem wird so intensiv ignoriert und/oder totgeschwiegen, bis es sich gekränkt von selbst verzieht. Geschieht das nicht, ist wer anderer schuld.

Am besten zu besichtigen ist die Wiener Mischung aus Realitätsverleugnung und ideologisch motivierter Naivität beim Thema Zuwanderung. Schon jeder zweite Wiener hat Migrationshintergrund; das macht die Stadt bunt, sorgt aber für einen Haufen teils gravierender Missstände. Es gibt Schulklassen, in denen drei Viertel der Kinder nicht ausreichend Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen. In manchen Stadtteilen stellen Österreicher bereits eine exotische Minderheit dar. Sowohl in der Kriminalitäts- als auch in der Arbeitslosenstatistik sind Ausländer deutlich überrepräsentiert. Michael ­Häupl und seine Kollegen wollten sich mit diesen negativen Folgen von Multikulti nie ernsthaft auseinandersetzen, jedenfalls nicht öffentlich. Das überließ man den Freiheitlichen – sollten die sich die Hände schmutzig machen.

Zweifellos ersparte sich die SPÖ damit viele unangenehme Debatten und moralische Gratwanderungen. Aber sie verspielte auch die Chance, bei den Wählern um Verständnis zu werben. Der aktuelle Aufruhr um die islamischen Kindergärten taugt in dieser Hinsicht als gutes Beispiel: Schon lange ist klar, dass die Dinge nicht rundlaufen. Dahinter steckt kein böser Wille, sondern ein Planungsmanko. Die Stadtpolitik konnte 2009 nicht abschätzen, welch ein Erfolg die Einführung des Gratiskindergartens werden würde. Als hinten und vorne Plätze fehlten, kamen auch Anbieter zum Zug, die in pädagogischer, weltanschaulicher und jeder anderen Hinsicht ungeeignet waren. Das ist die ganze Geschichte. Ein beliebter, rhetorisch begabter Bürgermeister wie Michael Häupl könnte das durchaus erklären. Er mag bloß nicht. Bisher profitierte ausschließlich die FPÖ vom Verhalten der SPÖ in diesen Fragen. Jetzt gibt es mit der ÖVP unter Sebastian Kurz einen weiteren, wahrscheinlich gefährlicheren Gegner. Wenn es so weitergeht wie zuletzt, könnte die Nationalratswahl tatsächlich in Wien entschieden werden – aber anders, als Christian Kern das gerne hätte.

Rosemarie Schwaiger