Schuld und Schulden

Der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden wurde wegen einer Finanztransaktion vor zehn Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Ist das gerecht? Mit Steuergeld spekuliert wurde damals in vielen Gemeinden. Wer es nicht tat, galt als übervorsichtig.

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Heinz Schaden kämpfte mit den Tränen, als er das bevorstehende Ende seiner politischen Karriere bekanntgab. Am 20. September wird der Salzburger Bürgermeister nach 18 Jahren im Amt zurücktreten. Schaden wäre gerne noch geblieben, aber das sei nun nicht mehr möglich, erklärte er am Montag vergangener Woche im Marmorsaal des Schlosses Mirabell. "Ich verstehe, wieso ich besonders hart beurteilt werde. Ich meine das überhaupt nicht wehleidig, sondern das ist mit dieser Funktion schlichtweg so verbunden."

Drei Tage vorher, am 28. Juli, war Heinz Schaden wegen Beihilfe zur Untreue zu drei Jahren Haft, davon ein Jahr unbedingt, verurteilt worden. Der Richterspruch ist nicht rechtskräftig. Aber natürlich reicht schon dieses Urteil der ersten Instanz, um eine Politikerlaufbahn zu beenden. Im Prozess ging es um einen Nebenschauplatz des Salzburger Finanzskandals: Im September 2007 hatte die Stadt Salzburg dem Land sechs negativ bewertete Swaps übertragen – ohne erkennbare Gegenleistung. Dem Land soll dadurch ein Schaden von mindestens drei Millionen Euro entstanden sein. Mit Heinz Schaden verurteilt wurden auch der ehemalige Landeshauptmannstellvertreter Othmar Raus sowie fünf weitere Angeklagte.

Justizexperten sind sich nicht einig, ob sie die Strafe für den Salzburger Bürgermeister zu hoch, zu niedrig oder genau richtig finden sollen. Auf die meisten Laien wird das Urteil ziemlich hart wirken – vor allem im Vergleich zu anderen Fällen. Für drei Jahre Haft, davon ein Jahr unbedingt, muss man in Österreich für gewöhnlich doch einiges verbrochen haben. Dieselbe Strafe bekam vor Kurzem ein 33-jähriger Türke, der bei einem Streit seinem Widersacher eine acht Zentimeter lange Messerklinge in den Bauch gerammt hatte. Einen zweiten Stich konnte das Opfer gerade noch abwehren. Ebenfalls ein Jahr unbedingte Haft setzte es für einen Kärntner Anwalt, der seine Klienten um insgesamt 725.000 Euro betrogen hatte sowie für einen jungen Niederösterreicher wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs seines kleinen Bruders.

Heinz Schaden hat sich nicht persönlich bereichert, und er hatte wohl auch nicht vor, das Land Salzburg in Schwierigkeiten zu bringen – umso weniger, als im Jahr 2007 seine Parteifreunde von der SPÖ regierten. Ob der Swap tatsächlich drei Millionen Euro Verlust verursachte, wie das Gericht befand, ist strittig; der Gutachter schwankte in seinen Angaben, und die Anwälte der Angeklagten kamen bei ihren Berechnungen auf höchstens 300.000 Euro. Selbst wenn man von der Höchstsumme ausgeht, hätte Heinz Schaden keinen Grund gehabt, Gesetze zu brechen. Der Bürgermeister hat das Budget seiner Stadt so nachhaltig saniert, dass zuletzt Überschüsse von 40 Millionen Euro pro Jahr anfielen. Drei Millionen könnte Salzburg quasi aus der Portokasse zahlen.

Ich frage mich, ob man die Politik kaputtmachen will. Als Bürgermeister stehst du eh schon dauernd mit einem Fuß im Kriminal.

Das Urteil gegen Heinz Schaden löste in den Rathäusern und Gemeindeämtern der Republik eine Mischung aus Entsetzen und Mitleid aus – und zwar unabhängig von der politischen Präferenz. Was dem Salzburger SPÖ-Mann jüngst passiert ist, hätte nicht wenigen Kollegen in österreichischen Städten und Dörfern auch passieren können. Hochriskante Finanzprodukte, kreative Zinsoptimierungen und Fremdwährungskredite hatten vor zehn Jahren ziemlich viele Kommunen in ihren Büchern. Es war die Zeit vor dem großen Crash, als jeder für ein naives Dummerchen gehalten wurde, der sein Geld aufs Sparbuch legte und Kredite in Euro aufnahm. Spekulation galt als Breitensport. Schaden wurde zwar nicht für den Swap verurteilt, sondern für dessen Weiterleitung an das Land. Aber falls der Bürgermeister wirklich ins Gefängnis muss, liegt das im Prinzip an Geschäftspraktiken, die lange gang und gäbe waren.

Walter Roisz, Bürgermeister der burgenländischen Gemeinde Ritzing, hält das Urteil gegen den Amtskollegen für ein schlimmes Signal. "Ich frage mich, ob man die Politik kaputtmachen will. Als Bürgermeister stehst du eh schon dauernd mit einem Fuß im Kriminal. Und jetzt kommt das noch dazu." Auch Alfred Riedl, Präsident des österreichischen Gemeindebunds, macht sich Gedanken: "Natürlich wird dieser Fall Auswirkungen auf die Bereitschaft der Leute haben, sich so ein Amt anzutun." Amtsmissbrauch und Korruption sollten mit aller Härte verfolgt werden, meint Riedl. Etwas anderes seien aber politische Entscheidungen, die sich später als falsch herausstellen.

In den Jahren 2008 und 2009 häuften sich Medienberichte über Bürgermeister und kommunale Finanzreferenten, die – in bester Absicht oder aus Übermut, beides kam vor - auf den Finanzmärkten aktiv geworden waren. Besonders bekannt wurden die steirische Gemeinde Hartberg und ihr damaliger Bürgermeister Karl Pack. Sogar das ZDF rückte an, um die Spekulationshochburg in der österreichischen Provinz zu besichtigen. Was war passiert? Die Gemeinde hatte 2005 ihre Sparkasse verkauft. Der Käufer, die Steiermärkische, zahlte 62,5 Millionen Euro. Den Grünen in der Stadt kam das zu wenig vor, aber viel Geld war es trotzdem. Hartberg investierte einige Millionen in Grundstücke, zahlte Schulden zurück, hatte aber immer noch 40 Millionen herumliegen. Veranlagt wurde dann, auch mithilfe von Beratern, leider nicht sehr geschickt - unter anderem in Aktien von Meinl European Land und in eine Investmentfirma auf den Virgin Islands, die sich mehr oder weniger in Luft auflöste. Auf über drei Millionen Euro hatten sich die Verluste bis Ende 2008 summiert.

In der Zwischenzeit wechselte die politische Führung. Marcus Martschitsch, der neue Bürgermeister, kann eine Art Happy End vermelden. "Nur zwei unserer vielen Veranlagungen haben Verluste gebracht. Insgesamt gibt es einen Gewinn von 2,7 Millionen Euro." Das sei für die veranlagten 40 Millionen in über zehn Jahren zwar nicht berauschend, aber immerhin besser, als seinerzeit zu befürchten stand.

Wir wurden zu Stillschweigen verpflichtet. Ich kann nur sagen, wir sind ganz gut ausgestiegen.

In deutlich mehr Kommunen ging es einst nicht darum, Geld zu veranlagen, sondern möglichst günstig einen Kredit zu bedienen. Die 900-Einwohner-Gemeinde Ritzing versuchte das auf Anraten der Hausbank mit einem Devisenoptionsgeschäft. Bürgermeister Walter Roisz hatte das Arrangement von seinem Vorgänger im Amt geerbt, war aber schon selbst am Steuer, als die Sache anfing, schiefzulaufen. Im Frühling 2008 lag der Verlust über 160.000 Euro, und Roisz startete seine Tage damit, nervös die internationalen Börsenachrichten zu lesen. "Mittlerweile wären wir wahrscheinlich bei einer halben Million", meint Roisz. Zum Glück sei es gelungen, mit der Bank einen Vergleich zu erzielen. Wie viel Geld Ritzing insgesamt verloren hat, darf der Bürgermeister nicht sagen. "Wir wurden zu Stillschweigen verpflichtet. Ich kann nur sagen, wir sind ganz gut ausgestiegen."

Mit dem Abstand von zehn Jahren ist es leicht, sich über Provinzkaiser lustig zu machen, die ernsthaft dachten, sie hätten ein Zaubermittel gegen die chronische Geldknappheit der öffentlichen Kassen gefunden. Aber die Bürgermeister waren in bester Gesellschaft; hochbezahlte Experten erlagen derselben Versuchung. Sogar der Rechnungshof zeigte Verständnis. "Selbst unter Einrechnung der Absicherungskosten gegen das Währungsrisiko in Form eines Devisentermingeschäfts erschien diese Finanzierung (gemeint war: in Fremdwährung, Anm.) günstiger als die Inlandsfinanzierung", heißt es etwa in einem RH-Bericht aus dem Jahr 2000.

In all diesen Fällen haben wir erreicht, dass die Banken einen großen Teil des Schadens übernommen haben.

Für die meisten Kommunen dürften die einschlägigen Abenteuer halbwegs glimpflich ausgegangen sein, meint der Wiener Anwalt Lukas Aigner, dessen Kanzlei deutlich über 50 Gemeinden bei ihren Auseinandersetzungen mit den Banken betreute. "In all diesen Fällen haben wir erreicht, dass die Banken einen großen Teil des Schadens übernommen haben", sagt Aigner. Mangelhafte Beratung habe sich so gut wie immer nachweisen lassen. Mitunter habe sich herausgestellt, dass der Bankberater selber nicht gewusst hatte, was er da vertickte.

Bruck an der Leitha, Alkoven, Hofamt Priel, Oberschützen, Karlstetten: Die Liste der spekulationsgeschädigten Gemeinden ist lang. Und selbstverständlich mischten auch deutlich größere Städte mit; Salzburg war als Landeshauptstadt nicht alleine beim Zocken. Die Stadt Wien hielt es noch 2010 für eine gute Idee, das Volumen ihrer Fremdwährungskredite in Schweizer Franken zu erhöhen. Dann wurde jahrelang "rolliert", wie Finanzstadträtin Renate Brauner die Verlängerung der Laufzeit nannte. Erst seit dem Vorjahr werden die Schulden nach und nach in Euro umgewandelt. Wie teuer der Spaß ingesamt gewesen sein wird, steht noch nicht fest.

Deutlich größer sind die Probleme in Linz. Der Zinsswap 4175, einst abgeschlossen mit der BAWAG, könnte die Stadt eines Tages im Extremfall um 600 Millionen Euro ärmer machen. Das ist jedenfalls die Summe, die von der Bank geltend gemacht wird. Seit 2011 befinden sich Stadt und Bank in einem Rechtsstreit, der ebenfalls um die Frage kreist, ob die BAWAG ihr Produkt richtig erklärt hat und der zuständige Finanzreferent wissen konnte, worauf er sich mit Steuergeldern einließ. Anders als in Salzburg wird in Linz aber niemand ins Gefängnis gehen. Der zuständige Stadtrat und der Finanzdirektor wurden in einem Strafprozess bereits freigesprochen.

Für den seit 2004 amtierenden St. Pöltener Bürgermeister Matthias Stadler könnte es indes noch eng werden. Seit Ende Mai ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn und ein ehemaliges Mitglied der städtischen Finanzverwaltung. Es geht um den Verdacht auf Untreue und Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit einer Reihe von Derivatgeschäften. Fest steht bisher nur, dass die Transaktionen der Stadt nicht wirklich gut getan haben. Ein Vergleich mit der Bank soll St. Pölten über 43 Millionen Euro gekostet haben.

Die Anwälte von Heinz Schaden und fünf seiner Mitangeklagten legten mittlerweile Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen die Urteile ein. Auch die Staatsanwaltschaft beruft. Aus ihrer Sicht ist unter anderem der Bürgermeister zu billig davongekommen.

Rosemarie Schwaiger