ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel, Parteichef Reinhold Mitterlehner und Außenminister Sebastian Kurz.

Schweigen ist Silber: Das Dilemma der ÖVP

Die ÖVP steckt in einem strategischen Dilemma. Sie misstraut Norbert Hofer, scheut aber offene Wahlempfehlungen für Alexander Van der Bellen, um sich künftige Koalitionsoptionen mit der FPÖ offenzuhalten.

Drucken

Schriftgröße

Karin Kirchmayr* kommt aus einem tiefschwarzen, katholischen Elternhaus aus dem oberen Murtal in der Steiermark. Doch mit der ÖVP will die 46-jährige Freiberuflerin seit Kurzem nichts mehr zu tun haben. Und das kam so: In ihrem Heimatbezirk Murau sammelte sie regionale Unterstützer für ein Inserat zugunsten von Alexander Van der Bellen. 120 Personen unterzeichneten den in der " Murtaler Zeitung" abgedruckten Aufruf. Sie fragte auch bei mehreren ÖVP-Bürgermeistern in ihrem Heimatbezirk an, ob sie sich anschließen wollten.

Doch kein einziger schwarzer Bürgermeister fand es der Mühe wert, ihr auch nur zu antworten. "Ich weiß, dass im Bezirk Murau bei der letzten Stichwahl über 60 Prozent Norbert Hofer wählten, aber dass ich nicht einmal eine Antwort bekam, finde ich bezeichnend für den Opportunismus der ÖVP, die es sich offenbar mit den Blauen nicht verscherzen will", so Kirchmayr, die ihren echten Namen aus Angst vor beruflichen Nachteilen nicht veröffentlicht sehen will.

Wir lehnen eine von Hofer propagierte Abschottung ab. (Ludwig Muxel, Bürgermeister von Lech am Arlberg)

Am Freitag vergangener Woche trauten sich dann doch einige schwarze Bürgermeister aus der von der Parteispitze verordneten Deckung heraus. Sie schlossen sich der neuen überparteilichen Initiative "Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für Alexander van der Bellen" an ; darunter die Ortschefs von Klosterneuburf und Tulln in Niederösterreich Stefan Schmuckenschlager und Peter Eisenschenk. Er wähle Van der Bellen, weil er die EU verbessern wolle, so Schmuckenschlager. Und Eisenschenk: "Weltoffenheit, Liberalität und Wirtschaftsverständnis" seien die wichtigsten Eigenschaften eines Bundespräsidenten. "Österreich braucht jetzt keine Experimente, die unsere Chancen in Europa schädigen", heißt es in der Erklärung der 136 Bürgermeister aus allen Bundesländern, unter ihnen viele schwarze Ortsvorste her. "Van der Bellen ist aus unserer Sicht der bessere Kandidat für eine positive Entwicklung Österreichs und seiner Regionen." Ein Rechtsruck könnte sich auch auf den Tourismus auswirken. "Österreich war immer ein weltoffenes und gastfreundliches Land", erklärt der parteifreie Bürgermeister von Lech am Arlberg, Ludwig Muxel: "Wir lehnen eine von Hofer propagierte Abschottung ab."

Schon aus eigenem Interesse: Er habe besorgte Anrufe aus dem Ausland erhalten, mit der Drohung, dass im Falle eines Hofer-Wahlsiegs kein Urlaub mehr am Arlberg gebucht werde. Eine Woche vor der Wiederholung der Stichwahl zum Bundespräsidenten ist die Volkspartei gespalten wie nie zuvor. Am 22. Mai stimmten laut SO-RA-Wählerstromanalyse österreichweit 500.000 ÖVP-Wähler für Van der Bellen - und 450.000 für Hofer. 174.000 ÖVP-Anhänger gingen nicht zur Wahl oder wählten weiß. Daher ist es kein Wunder, dass sich die meisten aktiven ÖVP-Politiker mit Wahlempfehlungen zurückhalten und auch ihre persönlichen Präferenzen für sich behalten wollen. Damit grenzen sie sich auch von SPÖ-Politikern, die klar für VdB eintreten, ab.

Überparteiliche Initiative für Van der Bellen: Bürgermeister aus Tulln, Schwechat, Klosterneuburg, die Initiatoren Franz Fischler und Ferdinand Maier und die Bürgermeisterin von Steinbach am Ziehberg.

Aus der Reihe tanzen nur wenige: Der ÖVP-Delegationsleiter im Europa-Parlament Othmar Karas hielt die Hauptrede beim Wahlkampfauftakt von Van der Bellen und bekam nachher hasserfüllte E-Mails, nicht nur von Hofer-Anhängern. Parteichef Reinhold Mitterlehner verriet, dass für den Wirtschaftsstandort "sicherlich jener Kandidat, der die internationale Reputation mitbringt" geeigneter sei: "Im konkreten Fall ist das Alexander Van der Bellen." Doch es gibt auch im schwarzen Lager viele Hofer-Anhänger. Als erster schwarzer Promi nach dem ehemaligen Tiroler Landeshauptmann Herwig van Staa outete sich am vergangenen Donnerstag ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka: Er werde Norbert Hofer wählen.

Der Riss geht quer durch die Partei. Gleich mehrere ehemalige Parteichefs, von Josef Riegler und Erhard Busek über Willi Molterer bis zu Josef Pröll sprachen sich neuerlich für Van der Bellen als Bundespräsidenten aus. Auch der frühere EU-Kommissar Franz Fischler und Ex-Umweltministerin Maria Rauch-Kallat unterstützen den von den beiden ÖVP-Querdenkern Ferry Maier und Michael Ikrath verfassten Aufruf für VdB. Für Josef Pröll gab es darauf Querschüsse aus den eigenen Reihen; einige Waidmänner wollten den Landesjägermeister wegen der Unterstützung eines ehemaligen Grünen-Chefs sogar absetzen.

Ich erkenne meine Partei sehr oft gar nicht wieder. (Christian Konrad über die ÖVP)

In einer profil-Umfrage unter aktiven ÖVP-Spitzenpolitikern wollte sich kaum jemand outen. Von den schwarzen Landeshauptmännern verwies Niederösterreichs Landesvater Erwin Pröll darauf, dass Wahlempfehlungen "überholt" seien: "Wählerinnen und Wähler bilden sich heute aus vielen unterschiedlichen Quellen eine Meinung und lassen sich durch Empfehlungen nicht mehr beeinflussen. Bevormundung ist längst vorbei." Auch seine Stellvertreterin Johanna Mikl-Leitner berief sich auf das Wahlgeheimnis.

Für Tirols Landeshauptmann Günter Platter sind die Wähler "mündig genug, um eine gut begründete Entscheidung zu treffen". Sein steirischer Kollege Hermann Schützenhöfer betonte schelmisch, dass er von einer Empfehlung für einen Kandidaten absehe, weil dies "kontraproduktiv" sein könnte. Oberösterreichs Landesvater Josef Pühringer, der mit der FPÖ eine Koalition auf Landesebene schmiedete, gab gar keine Stellungnahme ab.

Auch in der Bundesregierung zogen es fast alle schwarzen Minister vor, sich nicht zu deklarieren. Innenminister Wolfgang Sobotka und Finanzminister Hans Jörg Schelling wollten sich nicht äußern, ebenso wenig der parteifreie Justizminister Wolfgang Brandstetter. Umweltminister Andrä Rupprechter bemerkte knapp: "Die Wähler brauchen keine Empfehlung von einem Minister." Außenminister Sebastian Kurz ließ ausrichten, er werde "eine verantwortungsvolle Wahl" treffen. Überdies brauche es keine Wahlempfehlung, weil die Leute mündig seien. Da Kurz versucht, Wähler von der FPÖ mit härterer Politik in der Migrationsfrage zurückzugewinnen, wäre eine Unterstützung für Van der Bellen kontraproduktiv. Also ist Schweigen für Kurz in jedem Fall die bessere Option.

Nur Familienministerin Sophie Karmasin tanzte aus der Reihe. Sie habe bereits per Briefwahl für Van der Bellen gestimmt, ließ sie ausrichten. Entscheidend für sie sei "sein partnerschaftliches Gesellschaftsbild, das auf Solidarität und Achtung beruht und dass er für Toleranz und gegen Ausgrenzung eintritt".

Noch deutlichere Unterstützung zeigten ehemalige ÖVP-Politiker am Montag der Vorwoche bei einem von Wirtschaftskreisen organisierten Fest für Van der Bellen in der Wiener Albertinapassage. Industriellen-Präsident Georg Kapsch stellte als "Privatmann" klar, dass er Van der Bellen für den für Österreich besseren Kandidaten halte. Der ehemalige Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad klagte als ehemaliger Flüchtlingskoordinator über den härteren Kurs in seiner Partei: "Ich erkenne meine Partei sehr oft gar nicht wieder. In der Flüchtlingsfrage ist sie weder christlich noch sozial. Und dass sich so wenige aktive ÖVP-Politiker deklarieren, ist für mich ein Zeichen von Feigheit."

Wenn Hofer gewinnt, geht die Strache-Welle erst richtig los. (Erhard Busek)

Die Kluft zwischen Stadt und Land zeigt das Dilemma der ÖVP auch für den 4. Dezember auf. Jetzt rächt sich, dass die Grünen von schwarzen Bürgermeistern lange als Bauernfeinde bekämpft wurden, die Fleischkonsum und die Jagd verbieten wollten. Auf dem Land wählten daher deutlich mehr ÖVP-Anhänger Norbert Hofer als Van der Bellen.

Aber es gibt Ausnahmen: Im Salzkammergut landete der FPÖ-Kandidat bei der ersten Stichwahl in fast allen Orten auf dem zweiten Platz. Im Ausseerland bildete sich eine überparteiliche Plattform, in der Bauern, Gewerbetreibende und auch Wiener Sommerfrischler für den Wirtschaftsprofessor werben. Auch in Tirol konnte Van der Bellen seinen Heimvorteil nicht nur im Kaunertal, wo er aufwuchs, ausspielen. Und in Vorarlberg warb schon vor der ersten Stichwahl eine Initiative von schwarzen Bürgermeistern für Van der Bellen. Der Aufruf von drei ehemaligen Landeshauptmännern Vorarlbergs machte es dem amtierenden Landeshauptmann Stefan Wallner leichter, sich als einziger schwarzer Landeschef für Van der Bellen auszusprechen. Zuletzt stellte auch der Glaube schwarze Strategen vor zusätzliche Probleme.

Dass Norbert Hofer mit dem Slogan "So wahr mir Gott helfe" auf Plakaten um Stimmen wirbt, hat unter Katholiken und Protestanten für Wirbel gesorgt. Auch die neue Initiative "Christen für Hofer" stieß auf Ablehnung. Initiator ist Norbert van Handel, der sich als Prokurator des elitären St.-Georgs-Ordens massiv für seinen Ehrenritter Norbert Hofer einsetzt. Das führte nun zu einem prominenten Austritt eines anderen Ehrenritters. "Wenn dieser Orden zum Wahlverein für Norbert Hofer mutiert, ist für mich dort kein Platz mehr", erklärte Erhard Busek. Er habe auch vom Ordens-Großmeister Karl Habsburg eine Distanzierung von den Initiativen van Handels gefordert . "Wenn Habsburger mit der FPÖ, die den Adel lange als Feindbild hatte, gemeinsame Sache machen, dann wird mir übel", so Busek. Dass manche ÖVP-Politiker - allen voran Klubobmann Reinhold Lopatka -schon jetzt an einer Neuauflage der schwarz-blauen Koalition basteln, beobachtet Busek mit Sorge: "Da vergessen offenbar einige, welch gute Erfahrungen wir bei der ersten Zusammenarbeit gemacht haben. Wenn Hofer gewinnt, geht die Strache-Welle erst richtig los."

*Name von der Redaktion geändert