Gütiger Vater

Seltsame Praktiken bei Doktorarbeiten an der Uni Salzburg

Der Ex-Vizerektor der Uni Salzburg ist zugleich Gutachter und indirekt Mitautor von Dissertationen. Zulässige Praxis oder wissenschaftliches Foul?

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Anmerkung: Dieser Text erschien ursprünglich im profil Nr. 34/2020 vom 16.08.2020.

Im Bereich "Biomechanics in Skiing" sind die Sportwissenschafter der Uni Salzburg Weltklasse. Und ihr Cheftrainer gilt als Koryphäe: Universitätsprofessor Erich Müller, 67 Jahre, Leiter der Arbeitsgruppe Trainings-und Bewegungswissenschaft, Berater des ÖSV und Präsident der Sportwissenschaftlichen Gesellschaft. "Unsere Absolventen profitieren von unserem Ruf", sagt Müller. Für eine jüngst ausgeschriebene Dissertationsstelle bewarben sich weltweit 300 Kandidaten.

Dissertationen produziert das Sportinstitut nahe Hallein serienmäßig. Ein hoher wissenschaftlicher Output bedeutet mehr Prestige und Mittel. Doktorvater des Erfolgs ist Erich Müller. Eine profil-Recherche wirft nun aber Fragen auf. In zahlreichen Fällen tritt Professor Müller als Gutachter und - indirekt - als Koautor von Dissertationen in Personalunion auf: zulässige Praxis, akademische Unsportlichkeit oder gar ein Verstoß gegen wissenschaftliche Standards? Erich Müller ist kein kleiner Uni-Lehrer, sondern eine Magnifizenz. Er war Mitglied des Senates der Universität Salzburg und von 2011 bis 2019 Vizerektor für Lehre. In dieser Funktion verantwortete er die Standards für das Doktoratsstudium an der Uni Salzburg.

Dissertationen werden in Österreich traditionell als Monografien abgefasst. Ein Doktorand erbringt eine wissenschaftliche Eigenleistung in Form eines einzelnen, mehrere Hundert Seiten langen Textes. Die moderne Variante einer Doktorarbeit ist die kumulative Dissertation. Dabei verfasst und publiziert der Doktorand - aufgrund des Aufwandes meist in einem Autorenteam - während der dreijährigen Promotionszeit mehrere wissenschaftliche Artikel zu einem Forschungsthema und führt diese am Ende gesammelt in der Dissertation zusammen.

Verbreitet sind kumulative Dissertationen vor allem in den Sozialwissenschaften. Auch in "naturwissenschaftlichen Disziplinen" seien sie international "Standard", so Professor Müller. Wer bei Müller am Fachbereich Sport-und Bewegungswissenschaft promoviert, darf den Titel Dr. rer. nat. führen. Müllers Schützlinge schrieben in den vergangenen Jahren etwa Doktorarbeiten über die Anpassung der Achillessehne auf erhöhte mechanische Belastung, das Skifahren mit künstlichem Kniegelenk oder physiologische und psychologische Voraussetzungen beim Senioren-Skilauf.

Diese Dissertationen und rund ein Dutzend weitere haben eines gemeinsam: Professor Müller war Betreuer und einer von zwei Gutachtern. Dies entspricht durchaus dem akademischen Standard. Allerdings war Müller auch Koautor von Fachartikeln, die in diese Dissertationen eingebracht wurden. Der Vizerektor für Lehre der Uni Salzburg beurteilte also wissenschaftliche Arbeiten, zu denen er selbst maßgeblich beigetragen hatte. Am Beispiel einer Dissertation aus 2012 über biomechanische Aspekte der Verletzungsprävention im Skilauf: Müller war Erstbetreuer und Erstgutachter. Die Dissertation besteht aus sechs Artikeln, die zwischen 2010 und 2012 erschienen. Bei allen wird Müller als einer der Koautoren genannt. Dies widerspricht aber Punkt 23 der Ausführungsbestimmungen der Promotionskommission der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Salzburg zu kumulativen Dissertationen: "Koautorinnen bzw. Koautoren von in der Dissertation verwendeten Artikeln dürfen keine Gutachterinnen bzw. Gutachter der betreffenden Dissertationen sein."

Das Rektorat der Uni Salzburg präzisiert auf Anfrage von profil, Koautorenschaften des Erstgutachters seien durchaus zulässig. Die Einschränkung in den Ausführungsbestimmungen der Promotionskommission beziehe sich auf den zweiten Gutachter. Dieser dürfe "in die Entstehung der Dissertation in keiner Weise involviert" gewesen sein. Allerdings war exakt dies etwa in der Dissertation über biomechanische Aspekte der Verletzungsprävention im Skilauf aus 2012 der Fall: Der Zweitgutachter war ebenfalls Koautor eines verarbeiteten Artikels.

An anderen Hochschulen des Landes herrschen strengere Regeln. Unmissverständlich ist ein Leitfaden der Uni Wien für kumulative Dissertationen: "Bei gemeinsamer Autorenschaft" von Dissertant und Betreuer kann "die Betreuerin/der Betreuer nicht als Beurteilerin/Beurteiler fungieren". An der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Graz werden die Regeln zwar ähnlich großzügig wie in Salzburg gehandhabt, an den Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften und Bildungswissenschaften sind aber drei Begutachter nötig, wenn der Betreuer auch Koautor von eingereichten Aufsätzen ist.

Wie Professor Müller gegenüber profil ausführt, sei es zweckmäßig, dass der Gutachter Koautor von Dissertationsartikeln sei, da er so ein besseres Urteil über die Gesamtleistung des Doktoranden gewinnen könne. Und eine unabhängige Qualitätskontrolle sei schon dadurch gewährleistet, dass die in der Doktorarbeit verwendeten Artikel zuvor von Fachzeitschriften akzeptiert worden seien.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.