So geht der Gaucho

So geht der Gaucho: Michael Jeannée im Porträt

Medien. Die sonderbare Welt des Mobbing-Kolumnisten Michael Jeannée

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Man muss sich Michael Jeannée, 71, als erregten Menschen vorstellen. Der "Krone“-Kolumnist ("Post von Jeannée“) - ein "Nazi“? Auslöser eines Entrüstungssturms im Internet, über den sogar die ehrwürdige "Neue Zürcher Zeitung“ berichtete? "Ich habe nicht die geringste Sympathie für Nazis“, sagt Jeannée Donnerstag vergangener Woche beim Wiener Heurigen Zimmermann, wo profil ihn zu einem mehrstündigen Gespräch traf. Er nennt zwei Zeugen: Vorvergangene Woche rief ihn etwa der ehemalige Staatsoperndirektor Ioan Holender an: "Ich weiß, du bist kein Nazi.“ Und auch jemand, der genau wissen muss, wie Jeannée sich fühlt, spendete Trost: Andreas "Negerkonglomerat“ Mölzer, gefallener FPÖ-Europaabgeordneter: "Ich weiß, Sie sind kein Nazi.“

Einschlägiges Vokabular
So schildert es Michael Jeannée. Bloß hat niemand ernsthaft behauptet, er sei ein "Nazi“. Jeannées Wiederbetätigung beschränkt sich auf die "Krone“-Tradition des Spiels mit einschlägigem Vokabular, das schon Richard Nimmerrichter ("Staberl“) und Wolf Martin ("In den Wind gereimt“) triebtäterhaft pflegten. Vor dem Halbfinale Deutschland gegen Brasilien hatte Jeannée in seiner Kolumne "Kraft und Leidenschaft“ der deutschen Kicker gelobt, Bundestrainer Joachim Löw ("Jogi, Jogi über alles, über alles in der Welt“) bejubelt und schließlich geschlossen: "Heute die Brasilianer und morgen die ganze Fußballwelt. Mit einem Endspielsieg in Rio

Die mehr als unterschwellige Nähe zu Nazi-Liedgut erschien offenbar auch der Chefredaktion zu brisant: In der Morgenausgabe der "Krone“ waren die zwei letzten Zeilen der Kolumne gestrichen.

Sturheit ist die zwanghafte Wiederholung von Fehlleistungen. In seiner nächsten Kolumne gratulierte Jeannée Löw zum "totalen 7:1-Sieg“ über Brasilien und erhob ihn erneut "über alles in der Welt“.

Gegenüber "profil“ erklärt Michael Jeannée seine Wortwahl so: Ein 7:1 sei ein "totaler Sieg“, mit einem "totalen Krieg“ habe dies nichts zu tun. Ein "Endspielsieg“ sei kein "Endsieg“. "Jogi über alles“ sei eine Verbeugung vor dem Bundestrainer und keine Reminiszenz an das Deutschlandlied. Er streife nicht an NS-Diktion an, sondern schreibe über Fußball.

Und überhaupt: Am Ende dürfe man wohl auch nicht mehr "Waidmannsheil“ oder "Berg Heil“ sagen.

Ein wenig fühlt sich Jeannée dieser Tage wie seine WM-Helden. Toni Kroos, Miro Klose und Mario Götze mussten in der Vorwoche mediales Tackling einstecken, nachdem sie bei der Siegesfeier vor dem Brandenburger Tor in gebückter Haltung ihre Finalgegner singend geschmäht hatten ("So gehen die Gauchos“). So richtig geglückt fand Jeannée den Gaucho-Dance auch nicht; dass die Berliner "tageszeitung“ die WM-Stars daraufhin zu "Nazis“ erklärt habe (was übrigens nicht der Fall war), sei freilich grotesk.

Zweifellos identifiziert sich Jeannée abseits des Fußballs eher mit dem feurigen argentinischen Gaucho als mit dem biederen deutschen Michel. Als junger Mann war er Ende der 1960er-Jahre für einige Zeit nach Buenos Aires gegangen und hatte seine Karriere als Korrektor in einer deutschsprachigen Zeitung begonnen.

Der Männlichkeit der argentinischen Cowboys widmete er auch seine Glosse vor dem WM-Finale: "Argentinien ist nicht nur das Mutterland des Machismo, sondern auch des Gauchismo. Die Seele des Gauchismo aber ist, el orgullo‘ - der Stolz. Und es ist ein wilder, unbändiger, aggressiver, zügelloser Stolz auf, la tierra sagrada de la patria‘ - auf die heilige Erde des Vaterlandes.“

Mobbing in 50 Zeilen
Das Gegenteil des Gauchos sind Schwule, Linke, Grüne, Schwarze und Weicheier aller Klassen. Vor allem ihnen widmet Jeannée seine tägliche 50-zeilige Mobbing-Kolumne, deren Zweck es ist, "jenen zu schreiben, die unser Land bewegen, aufregen, in Misskredit bringen oder zur Ehre gereichen“, wie Jeannée in seiner ersten Glosse im Februar 2007 formulierte. Zuvor war vier Jahre lang Hans Dichands Bann über ihm gelegen - Rüpelhaftigkeiten im Umgang mit Kolleginnen hatten den alten "Krone“-Chef irritiert. Die Entzugserscheinungen und deren Überwindung offenbarte Jeannée seinen Lesern ungehemmt: "Es hat mich gejuckt, es juckt mich, es wird mich immer jucken. In meinen fiebrigen Fingern, die süchtig danach sind, schwarz auf weiß umzusetzen, was in meinem Köpferl rumort.“
"Alt genug zum Sterben"
Juckreiz und Kopfgeklopfe führten seither zu hunderten Kolumnen und regelmäßigen Rügen durch den Presserat. Einmal empfahl er den "Hegeabschuss“ für "Kurier“-Chefredakteur Helmut Brandstätter. Im Jahr 2009 schrieb er über einen bei einem Supermarkteinbruch in Krems erschossenen Jugendlichen: "Wer alt genug ist zum Einbrechen, ist auch alt genug zum Sterben.“

Abseits der vom Presserat kritisierten Kolumnen hetzt er gegen Peter Pilz ("Laus im Pelz“, "Hyäne“), "Tunten und Tuntinnen“, "Ich-fahren-du-sagen-Taxler aus Uganda“, den "Kotzbrocken“ Claus Peymann, "die aufgeregte, inkompetente und stammelnde Dittlbacherin mit dem bitterbösen Blick“, Marika Lichter ("hopsender Germknödel“).

"Kombattante Kolumne"
In der politischen Dimension ist "Post von Jeannée“, was Richard Nimmerrichter einst über seine "Staberl“-Glosse sagte: eine "kombattante Kolumne“. "Sie lebt davon, dass ich polarisiere“, sagt Jeannée. Natürlich hat auch der "Krone“-Leser ein Bedürfnis, sich hin und wieder zu ärgern; meistens will er aber lesen, was er selbst denkt. War der "Herr Strudl“ - bis zu seiner Pensionierung 2010 - die gemütliche Variante der Vox populi in der "Krone“, wird die bösartige von grumpy old Jeannée verkörpert, der für gutes Gespür hält, was niedere Instinkte sind: wenn er etwa kriminelle Jugendliche als "hinterhältiges, niederträchtiges Pack“ bezeichnet.

Jeannée ist stolz auf seinen "Mut“, zu schreiben, was seine Leser nur zu denken wagen würden. Die Meinungsfreiheit sieht er bedroht durch die angebliche Hegemonie von Minderheiten (Zuwanderer, Homosexuelle, Atheisten) über die Mehrheit der 2,7-Millionen-"Krone“-Leserschaft - die freilich langsam in die Jahre gekommen ist. Kaum ein Kolumnist in Österreich dürfte noch so viele handgeschriebenen Leserbriefe erhalten wie Jeannée. Und wie so mancher aus der Kriegsgeborenen-Generation ignoriert auch Jeannée mit der Gnadenlosigkeit der frühen Geburt, dass mittlerweile Zero-Tolerance gegenüber NS-Anspielungen besteht; dass "man“ manche Sachen eben nicht mehr öffentlich sagen "darf“; dass dies weniger mit politischer Korrektheit als mit dem zu tun hat, was auch Jeannée gern "Anstand“ nennt.

Was sich gehört, lernte der "Krone“-Kolumnist daheim: der Vater, im Krieg Stabsarzt im Offiziersrang, im Fronteinsatz in der Ukraine verwundet, arbeitet nach dem Krieg als Kieferchirurg. Michael wird 1943 als dritter Sohn im mährischen Olmütz geboren, die Mutter hatte Wien aus Angst vor Bombardements verlassen und quartierte sich mit ihren Kindern im Anwesen von Verwandten ein. Die Vorfahren der Jeannées stammen von Hugenotten ab.

"Anti-Sozi-Jargon"
Michael wächst in Salzburg, Sankt Gilgen und in Wien auf, sorgenfrei. Wenn der "Krone“-Autor heute gegen "Linkslinke“ und "Bolschewiken“ lästert, steckt dahinter die Prägung durch den Anti-Sozi-Jargon im bürgerlichen Elternhaus, wo Arbeiter und deren Vertreter als "Prolos“ galten - wovon er unumwunden erzählt.

Er selbst trägt Jägerleinen, Maßhemden, eine alte Rolex und einen Siegelring mit dem Wappen der Grafen von Richthofen, von deren Geschlecht seine Frau abstammt. Das noch üppig vorhandene Haar trägt er lang und gelblich-grau, der Teint ist auch im Winter ledrig-dunkel. Eine "überstandige Indianersquaw“ nannte ihn "Falter“-Chefredakteur Armin Thurnher. Dabei wirkt Jeannée noch immer halbwegs vital, auch wenn der Rücken zwickt - Folge eines Reporterlebens voller Dienstreisen.

Jeannée war Kriegsberichterstatter im Irak und interviewte den Posträuber Ronald Biggs in Brasilien, den flüchtigen Udo Proksch in Manila. Nach Jahren bei "Express“ und "Krone“ arbeitete er von 1973 bis 1985 bei der "Bild am Sonntag“ in Hamburg unter dem legendärem Chef Ewald "Titten“-Struwe. Er traf den paraguyanischen Diktator Alfredo Stroessner und schätzt auch heute noch dessen Junta-Kameraden in Argentinien (Jorge Rafael Videla) und Chile (Augusto Pinochet): "Ich bete die südamerikanischen Generäle nicht an, aber ich kann ihre Leistungen besser einschätzen als andere, weil ich die Länder kenne. Dass in diesen Regimes furchtbare Dinge passiert sind, ist keine Frage.“

Rückkehr zur "Krone"
Zur "Kronen Zeitung“ kehrt Jeannée 1985 zurück. Er schreibt Reportagen mit wenig Recherche, aber umso mehr Gespür, stilistisch näher an Karl May als an Egon Erwin Kisch. Wenn der Reporter Jeannée 1997 das Dorf des soeben gefassten Briefbombers Franz Fuchs heimsucht, liest sich das so: "Gralla, das Dorf. Zwei Uhr nachts. Die letzten Lichter in den Häusern sind verloschen, und durch die trockenen Maisfelder raschelt klamm und gefährlich der Wind. Wolfsland.“

Als "Krone“-Adabei Roman Schliesser in Pension geht, kürt Dichand Jeannée 1993 zum Society-Reporter. Zunächst bockt dieser, dann genießt er die neue Wichtigkeit. In einer Zeit ohne Privat-TV und Internet wird ein Fest erst durch die Präsenz des "Krone“-Reporters zum gesellschaftlichen Ereignis. Den Fehler, für Jeannée Sekt statt Champagner einzukühlen, machten berichterstattungsbedürftige Gastgeber nur ein Mal.

Was Jeannée als Reporter, als Klatschberichterstatter und als Kolumnist nach eigenem Bekunden hasst: "das Ranschmeißerische“. Da "Objektivität eine Sache ist, die jeder mit sich selbst ausmachen muss“ (2007), lässt aber auch ein Jeannée bisweilen nicht nur bei deutschen Fußballtrainern, sondern auch bei heimischen Politikern wie Erwin Pröll seinen Gefühlen kolumnistisch freien Lauf: "Weil Sie und Ihre volksnahe Eloquenz, Sie Stern von Niederösterreich, Sie Wein- & Waldviertler Solitär, in Zeiten wie diesen und überhaupt schlichtweg unverzichtbar sind.“ Von Kanzler Werner Faymann, den Jeannée 2008 noch als "Hoffnungsträger“ und "Deus ex Machina“ bezeichnete, ist er mittlerweile "enttäuscht“. Aber ein neuer Hoffnungsträger steht schon bereit: "Josef Ostermayer ist der kommende Mann. Er ist hochbegabt und knallhart.“

Ein richtiger Gaucho halt.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.