Plötzlich in der ersten Reihe

Von Nina Brnada
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Der erste Ministerrat der schwarz-rot-pinken Regierung hat etwas von erstem Schultag – zuweilen aber auch etwas von Zoo. Knapp vor Beginn der Sitzung am Mittwoch rotieren Dutzende Medienleute und Kameras um den ovalen Sitzungstisch, wo die 13 neuen Ministerinnen und Minister und die sieben Staatssekretärinnen und Staatssekretäre Platz genommen haben. Manchen schmeichelt die Aufmerksamkeit so sehr, dass sie aus dem Grinsen kaum noch herauskommen, etwa Wolfgang Hattmannsdorfer, dem neuen ÖVP-Wirtschaftsminister. Zu seiner Linken sitzt die Gewerkschafterin Korinna Schumann, seit vergangenen Montag Sozialministerin. Sie gehört nicht zu denen, die sich vom Medientrubel aus der Reserve locken lassen. Ihr Mona-Lisa-Lächeln scheint sie mühelos halten zu können.
Bis vergangenen Montag war ihr Name der breiten Öffentlichkeit kaum ein Begriff. Dabei ist sie seit Jahren eine der führenden Politikerinnen des Landes. In den vergangenen sechs Jahren agierte Korinna Schumann als Vorsitzende der SPÖ-Fraktion im Bundesrat; unter ihren Abgeordneten war auch ein gewisser Andreas Bab-ler, ihr Parteichef und nunmehriger Vizekanzler. Die unbekannte Schumann ist zudem eine der ranghöchsten Gewerkschafterinnen, in mehreren Funktionen folgte sie auf Renate Anderl: Als diese im Jahr 2018 Rudolf Kaske als Präsidentin der Arbeiterkammer (AK) beerbte, rückte Schumann an Anderls Stelle als Bundesfrauenvorsitzende des Gewerkschaftsbunds (ÖGB) und Vizepräsidentin des ÖGB.
Gewerkschaftspathos
Nun übernimmt sie eines der Schlüsselministerien. Sozialhilfe für Flüchtlinge, Pensionen, Krankenversicherungen und Pflege – in ihrem Ressort kristallisieren sich gleich mehrere Reizthemen. „Man hat offenbar alle Bereiche, die reformbedürftig sind, in ein gigantisches Ministerium gepackt – es ist schlicht absurd“, sagt Gesundheitsexperte Ernest Pichlbauer.
Dass Schumann „keine Emanze“ sei, wie kürzlich Genosse und Gewerkschafter Josef Muchitsch der „Krone“ gegenüber sagte, kann Renate Anderl gegenüber profil nicht bestätigen, im Gegenteil. „Sie ist eine Kämpferin für die Gleichstellung der Geschlechter, und jede Frau, die sich dafür einsetzt, ist eine Emanze. Korinna ist eine Emanze, und ich bin es auch.“ Es sei auch Schumanns Hartnäckigkeit geschuldet, dass sich die Sozialpartner, bestehend aus ÖGB, AK, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer, gemeinsam mit der Industriellenvereinigung für einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung einsetzen, sagt Anderl.
Kolleginnen und Kollegen beschreiben Schumann als zuweilen etwas spröde. Sie sei „ihren Ämtern sehr ergeben“, heißt es; ruhig in der Art, aber mit einem Hang, bei ihren Hauptthemen Frauen und Armut in einen gewissen „Gewerkschaftspathos“ zu verfallen. „Wenn man ihr zuhört, könnte man manchmal meinen, in Österreich nagt die Mehrheit der Kinder am Hungertuch“, sagt einer ihrer Mitstreiter, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Im Bundesrat jedenfalls hat sie bei der politischen Konkurrenz eine gute Nachrede, etwa bei Marco Schreuder, einst grüner Bundesrat. Schreuder erinnert sich an Schumann als sehr wachsame Sozialdemokratin, die mit ihm hellhörig wurde, als Freiheitliche im Bundesrat zum ersten Mal das Wort „Remigration“ erwähnten. Gemeinsam mit Schreuder verlangte sie nach einer Unterbrechung der Sitzung, Remigration sei nichts anderes als ein anderes Wort für Deportation, waren sich Schumann und Schreuder einig. Schumann hatte sich auch sehr für die Grünen eingesetzt, erzählt Schreuder, nachdem sie vergangenes Jahr nach der Steiermarkwahl einen Sitz im Bundesrat verloren hatten und damit ihr Fraktionsstatus wackelte. Um diesen auch mit vier Mandataren halten zu können, hätte es die Zustimmung der anderen Parteien benötigt – „Korinna Schumann hat uns Grüne sehr unterstützt.“ Es nützte nichts, ÖVP und FPÖ waren dagegen.
Gelernte Sozialpartnerin
Schumann kommt in Wien im Jahr 1966 auf die Welt, sie wächst im Wiener Bezirk Brigittenau auf und maturiert in der AHS in der Sperlgasse in der Wiener Leopoldstadt. Es ist einer Freundschaft mit einem Mädchen aus dem Gemeindebau geschuldet, dass es Schumann zur Sozialdemokratie zog, heißt es aus ihrem Büro. Mit dem Nachbarsmädchen soll sie zu Maiaufmärschen mitgegangen sein. Nach der Matura beginnt sie eine Ausbildung in der Bundesverwaltung, eben im Sozialministerium. In der Privatwirtschaft war sie bisher nie beschäftigt.
Im Sozialministerium wird Schumann Personalvertreterin und rote Funktionärin innerhalb der schwarz dominierten Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) – auch dort sitzt sie im Vorstand. Eckehard Quin, Vorsitzender der GÖD, nennt Schumann „energisch, eine Frau mit Überzeugungen, und auf der anderen Seite eine gelernte Sozialpartnerin, die konsensfähig ist und pragmatisch genug, zu wissen, dass man bei Kompromissen nie alles kriegt, was man will“.
Schumanns Bestellung war bald gesetzt, sagt Wolfgang Katzian, Präsident des ÖGB. Seit Alois Stöger, dem roten Sozialminister, der bis 2017 dem Haus vorstand, ist Schumann die erste Sozialdemokratin und Gewerkschafterin, die diese Funktion bekleidet. Stöger lernte sie als Personalvertreterin kennen.
Als eine von Schumanns wichtigsten Missionen sehen einige Rote, die Sozialversicherungen „wieder sozialpartnerschaftlich zu organisieren“. Das sind sie heute zwar auch, seit der Reform unter der ersten türkis-blauen Regierung aber deutlich zuungunsten der Arbeitnehmer, die in den Gremien weniger Vertreter haben als davor. Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian drückt es diplomatisch aus: „Auch diesen Bereich werden wir uns anschauen und ihn sozialpartnerschaftlich evaluieren.“

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.