Blaue im Himmel

Starke FPÖ: Ist Heinz-Christian Strache noch zu stoppen?

FPÖ. Schwache Regierung, starke FPÖ: Ist Heinz-Christian Strache noch zu stoppen?

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Zumindest ein wenig ­Berichterstattung schätzt FPÖ-Chef Heinz-Chri­stian Strache auch im Privaturlaub. ­Fotos vom Remmidemmi in der Disco auf Ibiza stärken den Coolness-Appeal bei der jungen Wählerschaft. Ärgerlich nur, wenn der Boulevard Neidkomplexe bedient, noch dazu mit falschen Zahlen: 690 Euro pro Nacht – ohne Frühstück – koste das Zimmer im Ushuaia Hotel in Playa d’en Bossa, in dem der FPÖ-Chef vor zwei Wochen für seinen „Luxus-Party-Urlaub“ ­abgestiegen war, berichtete die ­Tageszeitung „Österreich“ mit bemühter Empörung. Stimmt nicht, sagt Strache, der ­Zimmerpreis in seiner Ibiza-Bleibe sei nicht einmal halb so hoch.

Kleinere und größere mediale Fouls kann der FPÖ-Chef derzeit leicht wegstecken. Seine Partei ­befindet sich im demoskopischen All-Time-High, unabhängig davon, was sie tut – oder auch nicht tut. In der Umfrage von Unique Research für profil kommt die FPÖ derzeit auf 28 Prozent, die SPÖ auf 24 Prozent, die ÖVP auf 21 Prozent. Das Market-Institut sieht die FPÖ bei 27 Prozent (SPÖ: 22, ÖVP: 18), Gallup bei ebenfalls ­27 Prozent (SPÖ: 26, ÖVP: 20).

Der FPÖ-Chef wirkt mittlerweile über seine Zielgruppe hinaus: 29 Prozent können sich Strache als Regierungschef vorstellen. Meinungsforscher Peter Hajek: „Die Ablehnung bröckelt. Zwar sind 43 Prozent strikt gegen einen Kanzler Strache, der Rest aber ist für ihn gewinnbar.“

Sollte die Große Koalition zerbrechen, wäre Bundespräsident Heinz Fischer nach allfälligen Neuwahlen in der unangenehmen Situation, womöglich Heinz-Christian Strache als Chef der stärksten Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Warum der Erfolgslauf der FPÖ derzeit kaum zu stoppen ist: eine profil-Analyse.

Weil die FPÖ das ­Rechts-Monopol besitzt
Mit Höhenflügen hat die FPÖ bereits Erfahrung, schon vor zwei Jahren kratzte sie in Umfragen an der 30-Prozent-Marke und lag auf dem ersten Platz. Heinz-Christian Strache inszenierte sich, unter tatkräftiger Unterstützung der Boulevardmedien, als Kanzler in spe. Doch er tanzte nur einen Sommer lang. Dann kam Wut-Opa Frank Stronach, der gegen das System anwetterte und die Protestwähler einsammelte. Bei der Landtagswahl in Niederösterreich im März 2013, als sich „Franks“ teils bizarre Ansichten noch nicht herumgesprochen hatten, konnte Stronach fast zehn Prozent abräumen und die FPÖ auf den vierten Platz verweisen. Ein halbes Jahr später, bei der Nationalratswahl im Herbst 2013, hatte sich der Stronach-Fanclub dann auf rund fünf Prozent halbiert.

Protestwähler bilden fast die Hälfte der blauen Wählerschaft. Finden sie ein anderes Ventil als die FPÖ, bietet sich ein neuer Schreihals an, wandern sie schnell ab. Das erhebliche Reservoir der Unzufriedenen konnte sich für Hans-Peter Martin genauso sprunghaft begeistern wie für Frank Stronach – bisher.

Mittlerweile ist das „Team Stronach“ in Turbulenzen, das BZÖ nur mehr in Rudimenten vorhanden. Damit könnte die FPÖ erstmals seit dem Jahr 2005, als Jörg Haider die Abspaltung BZÖ gründete, das Feld der Unzufriedenen allein beackern. Zum Vergleich: Bei der Nationalratswahl 2013 kamen FPÖ, BZÖ und Stronach gemeinsam auf 29,7 Prozent. (SPÖ: 26,8; ÖVP: 24). Grüne und NEOS, sprechen eine völlig andere Klientel an. Niemand macht der FPÖ derzeit beim Buhlen um die Systemverdrossenen Konkurrenz, sie hat das Monopol auf den Rechtspopulismus und steigt in den Umfragen stetig.
Zumindest, bis der nächste Stronach auftaucht.

Weil die FPÖ Volkspartei wird
Laut einer Analyse der Politologen Fritz Plasser und Franz Sommer identifizieren sich nur noch 44 Prozent der Wähler mit einer Partei. Plasser: „In 15 Jahren wird es nur mehr sehr wenige Stammwähler geben. Es wird dann keine berechenbare parteiloyale Stimmung mehr geben, auf die man in jedem Fall zählen kann.“ Da die FPÖ traditionell einen geringen Stammwähleranteil besitzt, zählt sie zu den Profiteuren dieser Entwicklung.

Die Partei der Protestwähler wird – im politologischen Sinn – auch zur Volkspartei, in der sich sämtliche gesellschaftlichen Gruppen finden. Bei der Wahl 2013 punktete die FPÖ laut Analyse des SORA-Instituts in allen Altersklassen gleichmäßig (bis 29 Jahre: 22 Prozent; 30 bis 59: 24 Prozent; ab 60: 18 Prozent). Unter den Arbeitern war die FPÖ mit 33 Prozent klare Nummer eins, doch auch bei den Angestellten (25 Prozent) liegt sie mittlerweile mit der SPÖ (26 Prozent) gleichauf und deutlich vor der ÖVP (19 Prozent). Und immerhin 18 Prozent der Selbstständigen gaben 2013 der FPÖ ihre Stimme. Strukturelle Schwächen zeigen die Blauen bei jungen Frauen und in der Bildungselite. Bei Wählerinnen bis 30 Jahren kam die FPÖ nur auf neun, bei Akademikern auf vier Prozent.

Weil Strache kein Haider ist
In seiner Jugend spielte Heinz-Christian Strache gern Schach, offenbar auch mit gewisser Könnerschaft. Einmal schaffte er es bis zum Wiener Vizemeister in einer Schülerklasse. Eine ungewöhnliche Vorstellung: der spätere Großmeister des Bierzeltauftritts, gedankenschwer über einer Nimzo-Indischen Verteidigungsstellung brütend. Fehleinschätzung und Unterschätzung durch seine Gegner erleichterten dem FPÖ-Obmann freilich von Beginn an den Aufstieg. Dass Strache zwar gefährlich, aber „kein Haider“ sei, greift mittlerweile zu kurz: Der reifere Strache will „kein Haider“ mehr sein, so sehr er auch in seiner politischen Adoleszenz das große Idol zu kopieren versuchte – bis zum Sprachduktus.

Im Gegensatz zu Haider kennt – und akzeptiert – Strache seine Schwächen. Er weiß, dass ihm Haiders intellektuelle Dimension komplett fehlt; dass dem Nichtakademiker und Burschenschaftspennäler immer noch skeptische Arroganz in den nationalliberalen Eliten entgegenschlägt. Er weiß aber auch, dass er allein Bierzelte füllt.

Haider war Unruhe, Sprunghaftigkeit, Zerstörungswut. Strache ist Plan, Berechenbarkeit, Aufbauwille. „Jörg Haider hat bei jeder Wahl seine Wählerschaft ausgetauscht, ich erweitere sie Schritt für Schritt “, sagte der FPÖ-Chef vergangene Woche gegenüber profil.

Haider war kein Teamplayer – der Egozentriker fürchtete Konkurrenz (Susanne Riess-Passer, Karl-Heinz Grasser) aus den eigenen Reihen. Strache denkt gruppendynamisch.

Strache – FPÖ-Obmann seit 2005 – ist der längstdienende unter allen aktuellen Parteichefs. Wer sich so konstant in einer politischen Spitzenposition hält, besitzt die notwendige Machtintelligenz. Er stellt Gegner kalt; er platziert die richtigen Leute an den richtigen Stellen, wie Generalsekretär Herbert Kickl; er sitzt Affären aus. Und notfalls bleibt er geduldig weitere fünf oder zehn Jahre in Opposition – mit dem Vorteil, dort nichts beweisen zu müssen. So gesehen ist Strache sogar besser als Haider.

Weil das Nazi-Gespenst nicht mehr schreckt
Diese Rolle ist für Strache neu, aber mit etwas Übung wächst er vielleicht hinein. Jüngst warnte der FPÖ-Chef vor „radikalem Antisemitismus und Israel-Hass“. Auslöser seiner Besorgnis waren der Übergriff türkischstämmiger Burschen auf Fußballspieler von Maccabi Haifa im Salzburger Bischofshofen sowie eine Demonstration gegen die israelische Offensive im Gaza-Streifen gewesen – organisiert von der Union Europäisch Türkischer Demokraten.

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hätte diesen Aufmarsch nicht genehmigen dürfen, findet Strache. „So etwas hat in Wien und in Österreich nichts verloren.“ Schließlich habe Österreich eine besondere geschichtliche Verantwortung.

Schöner hätte es Heinz Fischer auch nicht sagen können. Der Bundespräsident hätte allerdings darauf verzichtet, in der gleichen Stellungnahme alarmistisch die „Gefahren des radikalen Islamismus“ zu thematisieren, die für Heinz-Christian Strache hauptsächlich von zugewanderten Türken ausgehen. Auch als neuer Freund Israels hat die FPÖ eben ihre ganz speziellen Bedürfnisse.

Dennoch ist es Strache in den vergangenen Jahren gelungen, seine Partei ein wenig salonfähiger zu machen. Lange Zeit stand praktisch alles, was aus der blauen Ecke kam, unter Nazi-Verdacht, oft zu Recht.

Der frühere FPÖ-Obmann Jörg Haider hatte von Anfang an sehr ungeniert Signale nach ganz rechts geschickt. Veteranen der Waffen-SS bezeichnete er beispielsweise als „anständige Menschen, die einen Charakter haben und auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen“. Viele dieser Ausrutscher waren kalkulierte Provokationen, manche passierten ihm einfach. Bis zuletzt gelang es Haider nicht, sich überzeugend von braunem Gedankengut oder von Parteifreunden mit einschlägigen Sympathien zu distanzieren.

Es gab also durchaus Gründe, an der demokratischen Reife der FPÖ zu zweifeln. Doch in der Politik funktioniert dasselbe Argument nicht jahrzehntelang. Die Warnungen vor blauen Ausfransungen ins Rechtsextreme haben auch deswegen ihre Wucht verloren, weil der politischen Konkurrenz darüber hinaus nicht viel einfiel. Selbst in ihren düstersten Zeiten hatte die FPÖ gelegentlich gute Ideen. Sie wurden nicht diskutiert, weil sie von den Rechten kamen.

Heinz-Christian Strache hatte vor einigen Jahren noch erhöhten Erklärungsbedarf, als Jugendfotos von ihm auftauchten, die ihn bei Wehrsportübungen zeigten. Doch seither streift er an solchen Themen nicht mehr an. Die meisten problematischen Charaktere hat er mittlerweile aus der Partei entfernt; zuletzt musste Andreas Mölzer gehen. Strache geht lieber auf Partys als auf den Ulrichsberg.

Weil SPÖ und ÖVP ­einander bekriegen
Ein paar ganz normale Tage in der österreichischen Politik: Sonntag erklärt ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, er vermisse bei Bundeskanzler Werner Faymann Anzeichen von „Leadership“. Montag kritisiert ÖVP-Vizekanzler Michael Spindel-egger die Geldverschwendung bei den Österreichischen Bundesbahnen; man müsse „das Reformwerk ÖBB gehörig in Angriff nehmen“. Noch am selben Tag revanchiert sich Doris Bures, als SPÖ-Infrastrukturministerin für die Bahn zuständig, und unterstellt der ÖVP „entweder umfassende Sachunkenntnis oder Böswilligkeit“. Dienstag behauptet der Kanzler in aller Seelenruhe, die Stimmung in seiner Regierungsmannschaft sei gut: „Scharmützel werden wir auch in Zukunft nicht verhindern.“ Mittwoch findet Spindelegger heraus, dass er die ÖBB-Kosten um ein paar hundert Millionen zu hoch angesetzt hat. Egal. Zu teuer sei es trotzdem.

Wundert sich eigentlich noch jemand, dass die rot-schwarze Koalition in den vergangenen 30 Jahren mehr als ein Drittel ihrer Wähler verloren hat?
Es ist eine paradoxe Situation. Die Große Koalition gilt in Österreich seit jeher als Garantin für politische Stabilität und funktionierenden Interessensausgleich. Geboten wird stattdessen permanenter Kleinkrieg und gegenseitige Totalblockade. „Die Regierung erledigt damit die Arbeit der Opposition“, sagt der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer. Deshalb habe es sich die FPÖ auch locker leisten können, seit der EU-Wahl praktisch unterzutauchen. Statt sich mit der politischen Konkurrenz zu matchen, pflegen Rot und Schwarz ihre gegenseitige Abneigung.

In den 1950er-Jahren mag das eine brauchbare Strategie gewesen sein. Damals gab es im Wesentlichen nur zwei Parteien; gelang es der einen, die andere schlechtzumachen, profitierte sie davon. Heute profitieren hauptsächlich FPÖ, Grüne und NEOS. Nebenbei sorgte das ewige Sadomaso-Theater auf Regierungsebene auch noch für unterirdische Imagewerte der gesamten Politik.

Dauerzoff in einer Koalition ist übrigens nicht ganz so normal, wie das in Österreich gerne behauptet wird. Das Gegenbeispiel lässt sich derzeit in der Bundesrepublik Deutschland besichtigen. Dort regiert ebenfalls eine Große Koalition aus CDU und SPD, und zwar derart harmonisch, dass die Opposition kaum noch Angriffsflächen findet.

Weil blaue Ideen Regierungsprogramm wurden
Die Empörung war groß, damals im Jänner des Jahres 1993. Das Anti-Ausländer-Volksbegehren der FPÖ stand unmittelbar bevor, eine Viertelmillion Menschen protestierte gegen die Hetzkampagne, zog mit Fackeln und Kerzen über die Wiener Ringstraße und den Heldenplatz. Das „Lichtermeer“ bleibt bis heute die größte Demonstration der Zweiten Republik.

Formal geriet Jörg Haiders Volksbegehren zum Flop: Er sammelte dürftige 416.531 Unterschriften und verlor Heide Schmidt, das Aushängeschild des liberalen Flügels. Inhaltlich jedoch war es eines der erfolgreichsten Plebiszite – neun der zwölf blauen Forderungen, die damals für helle Aufregung sorgten, sind heute Gesetz, beschlossen großteils von SPÖ/ÖVP-Regierungen: „Deutsch vor Zuwanderung“ ist mittlerweile gültige Rechtslage, genauso wie die „Ausweispflicht am Arbeitsplatz“ und die „Ausweisung von Straftätern“.

Seit 20 Jahren wird das Fremdenrecht ständig novelliert. Die SPÖ mag sich verbal von der FPÖ abgrenzen, die inhaltlichen Unterschiede beim Thema Migration verschwimmen zusehends: Selbst in ihren Oppositionsjahren hielt es die SPÖ 2005 für opportun, der schwarz-blauen Verschärfung der Asylgesetze zuzustimmen.

Die FPÖ muss nicht in der Regierung sitzen, um ihre Inhalte durchzusetzen: Die sogenannte schwarz-blaue Integrationsvereinbarung, die Deutschkurse für Zuwanderer zur Pflicht machte, war einst eine Idee von FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler. 2009 wurden die ersten drei Migranten ausgewiesen, weil sie keine Deutschkurse absolviert hatten. Damals regierten wieder SPÖ und ÖVP, konkret Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll.

Viele der FPÖ-Ansichten sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 80 Prozent der Österreicher stimmen dem Satz zu, dass „Ausländer ihren Lebensstil besser an den der Inländer anpassen sollten“; 66 Prozent sehen Zuwanderer nicht als Nettozahler, sondern als Belastung für das Sozialsystem, 56 Prozent gar als Bedrohung für die Gesellschaft. Und ein guter Teil von ihnen wählt lieber den Schmied FPÖ als die Schmiedl und willigen Vollstrecker SPÖ und ÖVP.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.