FPÖ-Spitzenkandidat Mario Kunasek bei der FPÖ-Wahlparty
Steiermark: Lokalaugenschein in ehemals roten und schwarzen Kerngebieten

Steiermark: Wie sieht es in ehemals roten und schwarzen Kerngebieten aus?

Steiermark: Lokalaugenschein in ehemals roten und schwarzen Kerngebieten

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Die Asylanten kriegen alles in den Arsch geschoben“, findet David. Er sitzt mit drei weiteren Berufsschülern auf den Steinstiegen vor einer Bankfiliale am Voitsberger Hauptplatz. Sie haben Mittagspause, essen Kebab und schlürfen Cola. Bei den jüngsten Landtagswahlen in der Steiermark waren sie alle wählen. Alle vier votierten für die FPÖ, erzählen sie stolz.

Der Informationsstand der Burschen beschränkt sich auf einige einschlägige Anekdoten. Asylwerber hätten allesamt Designerhemden und Handys. Denen könne es gar nicht so schlecht gehen, meint einer der angehenden Elektrotechniker. Ein anderer ärgert sich über die Flüchtlinge in den Zeltstädten, die Polizisten mit Essen bewarfen: „Die sollen lieber dankbar sein und uns mit Respekt behandeln.“ David, er ist der Wortführer, ergänzt: „Wenn wir das bei denen daheim machen, werden wir in einer Holzkiste zurückgeschickt.“ Seine Freunde lachen.

Wer kennt den blauen Spitzenkandidaten?

Während sich die Berufsschüler eine Zigarette anzünden, gestehen sie kleinlaut ein, den blauen Spitzenkandidaten für die Steiermark, Mario Kunasek, nicht zu kennen. „Das ist jetzt ein bisschen peinlich“, sagt David. Haben bei ihrer Wahlentscheidung auch andere Themen - etwa Mietpreise oder Arbeitsplätze - eine Rolle gespielt? Die Burschen blicken sich erst fragend an und schütteln dann den Kopf.

Der Bezirk Voitsberg ist nun eine blaue Hochburg. Die FPÖ wurde dort bei den Landtagswahlen stimmenstärkste Partei – wie auch in den angrenzenden Bezirken Deutschlandsberg und Graz Umgebung. Im Vergleich zum Wahlgang vor fünf Jahren legten die Freiheitlichen in Voitsberg um 22,1 Prozentpunkte auf 32,6 Prozent zu. Das ist das stärkste Bezirksergebnis für die Blauen und liegt deutlich über dem landesweiten Schnitt von 26,8 Prozent.

Dabei war die Industrieregion über Jahrzehnte traditionelles Kerngebiet der Sozialdemokraten. Der mächtige Schlot des Kohlekraftwerks, der über die Dächer der Stadt ragt, zeugt davon. Bis vor zehn Jahren wurde in der Umgebung noch Braunkohle abgebaut. Mit dem Ende des Bergbaus gab es für das vom Verbund betriebene Kraftwerk keinen Bedarf mehr. Einige tausend Arbeitsplätze gingen damals verloren. Derzeit wird das Werk schrittweise abgerissen.

Wenn ich einen Hydranten blau lackiere, wählen sie ihn wahrscheinlich auch (Kurt Christof, SPÖ-Vizebürgermeister)

Die Verbitterung ist Kurt Christof anzumerken. Der rote Vizebürgermeister von Voitsberg war einst Betriebsrat im Kraftwerk. Diesen Arbeitsplätzen trauert er bis heute nach. Trotz Abwanderung und Kaufkraftverlust konnte die SPÖ bei den Gemeinderatswahlen im März dieses Jahres die absolute Mehrheit einfahren. Doch bei den Landtagswahlen setzte es nun eine herbe Niederlage – und das, obwohl Voitsberg nicht von Gemeindezusammenlegungen betroffen war. Christof sitzt im Rathaus und studiert das Wahlergebnis eingehend, das für ihn „überraschend deutlich“ ausgefallen ist. Er klagt, die Wähler hätten sich fast ausschließlich für bundespolitische Themen wie Asyl interessiert. Die „blaue Partei“ brauche keinerlei Ideen für die Region, sie sammle einfach den Protest ein. Der SPÖ-Politiker versucht es mit Zynismus: „Wenn ich einen Hydranten blau lackiere, wählen sie ihn wahrscheinlich auch.“

Unweit des Rathauses lehnt Christopher Birnstingl lässig an seinem weißen Pritschenwagen und genießt die Sonnenstrahlen, bevor es zum nächsten Auftrag geht. „Die SPÖ kann sich schon lange nicht mehr als Arbeiterpartei bezeichnen“, sagt der Dachdecker, der früher sozialdemokratisch wählte. Das Feindbild „Asylant“ kommt auch hier alsbald zur Sprache. Für die Flüchtlinge sei Geld da, während die Österreicher kaum etwas verdienten.

61 Prozent der Arbeiter stimmten für die FPÖ, wie aus der Nachwahlbefragung des Institutes Sora für den ORF hervorgeht. Die SPÖ kommt in dieser Berufsgruppe nur mehr auf 18 Prozent. Das ist keine neue Entwicklung. Doch in der Steiermark endet der freiheitliche Erfolgslauf längst nicht bei der sozialdemokratischen Kernklientel.

„Von Haider könnten die Reformpartner noch was lernen"

Auf der roten Marlboro-Packung liegt ein blaues FPÖ-Feuerzeug. Daneben steht ein Glas Spritzwein. Wolfgang Mrezar sitzt auf einem Hocker an der Bar seines Lokals. Aus seiner politischen Überzeugung macht er keinen Hehl. „Die letzten beiden, die so zusammengehalten haben und mir gefallen haben, waren Bud Spencer und Terrence Hill“, witzelt er im Hinblick auf die rot-schwarze Koalition. „Sesselkleberei“ nennt Mrezar die Ankündigung von Voves und Schützenhöfer, trotz Wahlniederlage weitermachen zu wollen.

Im hinteren Teil der Bar stehen neben Billardtischen und Dartscheiben auch zwei alte Flipperautomaten. Überhaupt scheint der Unternehmer, der neben seinem Lokal auch einen Malereibetrieb führt, eine Schwäche für den Retro-Stil zu haben. Er wünscht sich für die Politik wieder Persönlichkeiten wie Jörg Haider. „Von dem könnten die Reformpartner noch was lernen.“ Der sei eben viel draußen gewesen, bei den Leuten, und habe sich nicht versteckt.

Die Kärntner Landesgrenze ist von Voitsberg nicht weit entfernt. Dennoch scheint das Finanzdebakel rund um die Hypo keine große Rolle gespielt zu haben. Ganze 52 Prozent der FPÖ-Wähler diskutierten laut Sora im Wahlkampf „sehr häufig“ über Zuwanderung und Integration. Kein anderes Thema war unter den blauen Anhängern derart präsent. Das gilt auch für Barbetreiber Mrezar: „Wir müssen heute darum kämpfen, dass die Österreicher die gleichen Rechte haben wie die Ausländer.“

Es gibt auch Regionen in der Steiermark, die es in der Vergangenheit nicht so hart getroffen hat. Schladming zum Beispiel. 1,5 Millionen Nächtigungen verzeichnet die Tourismusgemeinde pro Jahr – mehr als jede andere Gemeinde in der Steiermark, sogar mehr als Graz. Sorgt der Wohlstand nicht für ein gewisses Maß an Zufriedenheit?

Das Skidorf Rohrmoos bietet einen malerischen Blick hinunter auf das tiefer gelegene Schladming. Dahinter baut sich die Felswand des Dachsteins auf. Den lauen Abend lassen einige einheimische Kleinunternehmer im Gastgarten der Pension „Platzl“ ausklingen. Am Stammtisch freut sich einer der Gäste über den „Erdrutsch“. Sein Gegenüber widerspricht. Ihm ging das Wahlergebnis nicht weit genug: „Wenn die Tür zugeschüttet wird, die aber noch über den Balkon Luft bekommen, dann ist das kein Erdrutsch. Da gehört einmal das ganze Haus zugeschüttet.“

Mit ihrer Stimmabgabe wollte sie bewusst einen „Nachdenkprozess“ unter den Politikern anregen

Manuela Hettegger betreibt gemeinsam mit ihrem Mann die Gaststätte. „Bei uns ist einfach drübergefahren worden“, sagt sie. Im Zuge der Gemeindestrukturreform (die Zahl der steirischen Gemeinden wurde von 542 auf 287 reduziert) wurden Rohrmoos und eine weitere Gemeinde mit Schladming fusioniert. Der Widerstand war groß, die Kleingemeinden schalteten den Verfassungsgerichtshof ein. Und blitzten ab. Ihren Frust ließen die Bewohner nun bei der Landtagswahl ab. Die ÖVP musste in Schladming herbe Verluste einstecken und Platz eins an die FPÖ abgeben. Im Wahlsprengel Rohrmoos kamen die Freiheitlichen sogar auf eine absolute Mehrheit. Auch in anderen Tourismusgemeinden, etwa in der Thermenregion rund um Loipersdorf, waren die Blauen überraschend stark.

„Es stimmt schon, dass wir eine reiche Gegend sind. Aber wir werden trotzdem gepiesackt, wo es geht“, erklärt Hettegger. Sie nennt die Allergenverordnung, das Rauchverbot und die Registrierkassen. Dass der Ärger auf bundespolitischen Entscheidungen beruht, kümmert die Gastronomin nicht. Mit ihrer Stimmabgabe wollte sie bewusst einen „Nachdenkprozess“ unter den Politikern anregen.

Einen blauen Landeshauptmann kann sich Hettegger trotzdem „absolut nicht vorstellen“. Sie wünscht sich lediglich, dass „die in Wien jetzt langsam nervös werden“. Das dürfte gelungen sein.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.