Digitalisierung

Tursky: Aus für Gebühren bei digitalen Amtswegen bis 2024

ÖVP-Staatssekretär Florian Tursky will Online-Auszüge aus Strafregister und Co. künftig kostenfrei anbieten. Im Interview spricht er über die Dankbarkeit seiner Partei für Sebastian Kurz, über Hürden bei der Digitalisierung der Verwaltung und über die Gerüchte zu seiner Rückkehr nach Tirol.

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Vor 16 Monaten trat Florian Tursky das Erbe seiner glücklosen Tiroler Landsfrau Margarete Schramböck an, die sich mit dem Mega-Flop Kaufhaus Österreich ihren Platz in den Geschichtsbüchern sicherte. Mit seinen weißen On-Sneakers, seiner Apple-Watch und dem navy-blauen Anzug, den er natürlich ohne Krawatte trägt, könnte man Tursky für einen Start-Up-Investor halten. Sein Büro verrät allerdings, dass er Politiker ist.

Im Regal des ÖVP-Digitalisierungsstaatssekretärs liegen überraschend viele analoge Requisiten: Eine Schaufel mit "Strabag"-Aufdruck von seinem erstem Spatenstich anlässlich der Verlegung einer Glasfaserleitung. Daneben parkt ein knallig gelber Miniatur-LKW mit dem Logo der Post, für die er ebenfalls zuständig ist. Anders als in vielen Büros steht bei Tursky keine Nespresso-Maschine, sondern ein Edelstahl-Siebträger. Vor dem Interview lässt sich der 35-jährige Tiroler noch einen Espresso herunter. Das Barista-Gen liegt in der Familie, Turskys Onkel ist Kaffeeröster, erzählt er.

Sie waren vergangene Woche nicht bei der Premiere des Kurz-Films.
Tursky
Ich habe gewusst, dass das die erste Frage sein wird. Ich war nicht bei der Premiere. Ich war danach, genauso wie der Kanzler, kurz auf der Premierenfeier.
Warum gibt es so einen Rummel um einen Altkanzler?
Tursky
Sebastian Kurz war ein hoch erfolgreicher Politiker. Er war einerseits eine politische Ausnahmeerscheinung für sein Alter, andererseits gab es natürlich auch das Auf und Ab seiner politischen Karriere und jetzt den anstehenden Prozess. Das macht ihn zu einer Erscheinung, die von besonderem Interesse ist.
Abseits der strafrechtlichen Relevanz, die noch zu klären ist, liegen viele Fakten über die Amtszeit von Kurz auf dem Tisch, die kein allzu positives Bild zeichnen. Wenn man sich an die Sideletter zu Postenbesetzungen erinnert oder die großzügigen Inseratenschaltungen. Warum erweist ihm die ÖVP trotzdem die Ehre?
Tursky
Sebastian Kurz hat für die ÖVP sehr erfolgreiche Wahlen geschlagen. Wenn man sich die Ergebnisse in Umfragen anschaut, kann man daraus schließen, dass das letzte Ergebnis der Nationalratswahl ohne Sebastian Kurz nicht möglich gewesen wäre.
Ist da noch immer Dankbarkeit und Respekt?
Tursky
Es ist auf jeden Fall noch ein Bewusstsein da, dass er für den Erfolg der ÖVP in den vergangenen fünf Jahren einen entscheidenden Beitrag geleistet hat.

Ich habe Herbert Kickl als Innenminister erlebt, als ich in der zweiten politischen Reihe war. Diese Erlebnisse waren so, dass ich mit so jemanden in der Regierung nicht zusammenarbeiten will.

Florian Tursky

Für Empörung hat zuletzt ein Video der Freiheitlichen Jugend mit rechtsextremen Botschaften gesorgt. Haben Sie es gesehen?
Tursky
Ich habe mir das Video angeschaut, nachdem es die Berichterstattung gegeben hat. Es sind Bilder, die ich so eigentlich von österreichischen Parteien nicht sehen möchte. Ob jetzt was strafrechtlich Relevantes dabei ist, kann ich zu wenig beurteilen. Aber ich finde es jedenfalls verstörend.
Die ÖVP hat das Video zum Anlass genommen, um eine Koalition mit der Kickl-FPÖ auszuschließen. Allerdings kommt Udo Landbauer auch in dem Video vor und verteidigt es in Interviews. Mit ihm führt die ÖVP eine Koalition. Ist da aus Ihrer Sicht kein Widerspruch?
Tursky
Die Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer Richtung Herbert Kickl waren sehr klar und ich unterstütze das voll. Ich habe Herbert Kickl als Innenminister erlebt, als ich in der zweiten politischen Reihe war. Diese Erlebnisse waren so, dass ich mit so jemanden in der Regierung nicht zusammenarbeiten will. Und alles andere ist Landespolitik.
Kommen wir zu einem Ihrer Lieblingsthemen: E-Government. Sie haben in einem Interview einmal von 200 Behördenwegen gesprochen, die man bereits digital erledigen kann. Vieles geht aber weiterhin nur analog. Wer einen neuen Reisepass braucht, muss dafür ein Passfoto ausdrucken lassen und damit aufs Amt gehen. Dort wird es eingescannt und noch einmal in den Reisepass gedruckt. Gibt es keine Möglichkeit, das zu digitalisieren?
Tursky
Das ausgedruckte Passfoto sorgt in Zeiten der Digitalisierung vollkommen zurecht für Kopfschütteln. Allein schon der Qualitätsverlust durchs Einscannen ist ein Unsinn. Das wird behoben. Wir arbeiten am digitalen Passbild gemeinsam mit den österreichischen Fotografen. Hier gibt es schon Pilotprojekte in Oberösterreich. Das heißt, da wird man zukünftig einen Code beim Fotografen bekommen. Mit diesem Code geht man zukünftig auf die Bezirkshauptmannschaft und dort wird das Foto digital abgerufen.
Dann muss man aber immer noch aufs Amt.
Tursky
Auf dem Chip des Passes befinden sich biometrische Daten und Fingerabdrücke. Es gibt in Österreich keine zentrale Datenbank, wo diese Daten gespeichert sind, das hat mit unserem Datenschutz zu tun. Daher haben wir derzeit weder rechtlich noch technisch die Möglichkeit, das zu digitalisieren. Das ist auch der Grund, warum ich nicht versprechen kann, dass in nächster Zukunft der Weg aufs Amt wegfällt, wenn man einen Pass braucht. Ich arbeite aber an Terminals, bei denen Bürger sich ihren Pass ausstellen lassen können.
Ganz ohne Beamte?
Tursky
Genau. Da gibt es aber noch Sicherheitsthemen, die wir klären müssen, damit Betrug ausgeschlossen wird.

Tursky: Große Pläne, wenig Zeit

Der Digitalisierungsstaatssekretär will Österreichs Verwaltung digitalisieren und legte dafür einen durchaus ambitionierten Plan vor, den Digital Austria Act. Doch die Legislaturperiode endet in einem Jahr und Tursky feilt bereits an seiner Rückkehr nach Tirol. Dort wird er als möglicher Bürgermeisterkandidat der ÖVP Innsbruck gehandelt.

Wer digital Auszüge aus dem Melderegister oder dem Strafregister abruft, muss dafür trotzdem Gebühren zahlen, obwohl am Amt keine Arbeitszeit anfällt. Warum?
Tursky
Das Aus für diese Gebühren ist Teil meines Digital Austria Acts.
Aber ohne Zeitplan.
Tursky
Auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode. Das Ziel wäre aber, dass wir diese Auszüge kaum mehr brauchen.
Wie das?
Tursky
Wir müssen in Anwendungsfällen denken. Wenn Eltern für die Geburtsurkunde ihres Kindes einen Staatsbürgerschaftsnachweis vorweisen müssen, soll das Amt darauf Zugriff haben. Derzeit haben wir Daten-Silos in den einzelnen Ministerien…
die nicht miteinander vernetzt sind.
Tursky
Das hat auch gute Gründe, weil dadurch kein digitales Profil von einer Person erstellt werden kann, weil verschiedene Daten bei unterschiedlichen Behörden gespeichert sind. Das bringt aber natürlich das Problem, dass der Österreicher, der zur Passausstellung geht, einen Staatsbürgerschaftsnachweis mitnehmen muss. Das macht für die Leute keinen Sinn. In Zukunft soll der Beamte für diesen Anwendungsfall Zugriff bekommen.
Das kann bei den zersplitterten Kompetenzen und neun Bundesländern lange dauern. Wo stoßen Sie an Ihre Grenzen?
Tursky
Wir haben bei der Einführung des digitalen Führerscheins drei verschiedene Ministerien gebraucht. Selbst wenn es dort ein gemeinsames Ziel gibt, ist die Umsetzung mit vielen Playern natürlich sehr kompliziert. Manchmal brauchen die Dinge also länger, es hat aber bis jetzt nichts gegeben, wo wir am Ende gescheitert wären.
Bräuchten Sie eine Art Richtlinienkompetenz für alles Digitale? 
Tursky
Es hat einmal von Wolfgang Schüssel die Überlegung gegeben, eine Art Amt der österreichischen Bundesregierung zu schaffen, wo Querschnittsthemen wie die Digitalisierung zentral gesteuert werden. Das halte ich derzeit für unrealistisch.
Estland gilt als Digitalisierungs-Europameister. Was kann sich Österreich abschauen?

Wenn die Freundin vom Florian ein Kind bekommt, verknüpfe ich das Kind digital mit dem Florian und seiner Freundin. Und dann kann ich als Staat anfangen, Angebote zu machen.

Florian Tursky

Tursky
Unser Ziel ist ein sogenanntes Smart Government zu schaffen. Wenn die Freundin vom Florian ein Kind bekommt, verknüpfe ich das Kind digital mit dem Florian und seiner Freundin. Und dann kann ich als Staat anfangen, Angebote zu machen. Zum Beispiel kann ich dem Florian eine Väterkarenz anbieten, möglicherweise mit einer Berechnung, was das finanziell bedeutet. Und gleichzeitig kann ich die Wohnsitzgemeinde darüber informieren: Achtung, bald wird Kinderbetreuungsplätze notwendig. Das ermöglicht bessere Planung. Da will ich hin.
In Estland kann man beispielsweise digital standesamtlich heiraten.
Tursky
Das ist jetzt vielleicht nicht romantisch, aber am Ende des Tages sind es Verwaltungsakte. Warum soll ich das nicht digital machen?
Wer in Estland ein gebrauchtes KFZ kaufen will, kann in einem Register die komplette Service-Historie dieses Autos überprüfen, auch allfällige Unfälle sind vermerkt.
Tursky
Das ist interessant, das sehen wir uns an.
Eines Ihrer großen Versprechen lautet, dass jede Karte im Geldbörserl bald digital in der Wallet sein wird. Den Führerschein gibt es schon. Wann kommt der Rest?
Tursky
Wir haben gestern den digitalen Altersnachweis präsentiert und den halte ich für extrem cool, weil er so schön zeigt, wohin die Reise geht: Vor dem Club kann man künftig mit der eAusweise-App einen Code herzeigen, den der Türsteher mit derselben App scannen kann. Der sieht dann, ob der Bursche über 18 ist oder nicht. Er sieht aber nicht den Namen, das Geburtsdatum oder sonstige Daten. Das bringt den Clubs Sicherheit und den Besuchern mehr Datenschutz.
Welche Anwendungen sind noch geplant in dieser Periode?
Tursky
Dieses Jahr kommt noch der digitale Zulassungsschein und zu Beginn nächsten Jahres der Personalausweis.
Wie weit sind Sie mit der angekündigten KI-Behörde?
Tursky
Die berechtigte Sorge der Bevölkerung ist ja, dass sie mit Bildern und Videos konfrontiert ist, ohne zu wissen, ob sie mit künstlicher Intelligenz generiert wurden. Ich bin überzeugt, dass künstliche Intelligenz reguliert werden muss und dass wir zukünftig festlegen sollten, welche Dinge erlaubt sind und was nicht – wir denken da an einen KI-Ethikrat. Mein Ziel ist, die ganze Tech-Community zusammenzubringen und ein Gütesiegel zu entwickeln.
Wird die Behörde bei Ihnen angesiedelt oder im Finanzministerium?
Tursky
Dazu sind wir gerade in Gesprächen. Wir werden diese Stelle auf jeden Fall heuer einrichten.
Sie haben jetzt die Gefahren von KI angesprochen. Das ist aber auch ein sehr zukunftsträchtiges Feld. Sowohl die USA als auch China sind bei digitalen Innovationen schneller als Europa. Wo hapert es da aus Ihrer Sicht?
Tursky
Das große Problem ist nach wie vor das fehlende Risikokapital in Europa. Wir haben hervorragende Grundlagenforschung, wir haben gute Start-Up-Förderungen. Aber an irgendeinem Punkt geht uns das Geld aus. Denn wir haben nicht diese großen Fonds, die bereit sind, hunderte Millionen Euro in ein Projekt zu stecken. Und deshalb wandern uns oft Talente und Firmen in die Vereinigten Staaten ab. Das ist ein europaweites Problem.
Der KI-Forscher Sepp Hochreiter hat, wie Sie wissen, ein Sprachmodell entwickelt, das mitunter besser ist als ChatGPT. Allerdings bekommt er zu wenig Förderungen – und schaut sich jetzt nach privaten Investoren um. Er hat ein Angebot aus Saudi Arabien.
Tursky
Ich war neulich bei ihm in Linz, wir sind im guten Austausch. Ein Problem haben wir sicher noch in der Art und Weise, wie es uns ermöglicht wird, KI-Grundlagenforschung zu unterstützen. Der Großteil der Kosten sind Millionen Euro an Rechenleistung. Wie schaffen wir es, diese Summen zur Verfügung zu stellen, die ja Risikokapital sind? Denn am Ende funktioniert das Ding oder eben nicht. Daher gibt es die Idee der europäischen Supercomputer, wo wir als Österreich an einigen beteiligt sind. In Wahrheit brauchen wir eine Förderung über Rechenleistung, das wäre sinnvoll.
Sie haben viele Pläne. Wie lange bleiben Sie noch als Staatssekretär?
Tursky
Die Legislaturperiode läuft bis nächstes Jahr im September.
Und so lange bleiben Sie auch? Sie sollen sich auch für das Bürgermeisteramt in Innsbruck interessieren.
Tursky 
Es gibt derzeit einen Prozess in Innsbruck, den ich sehr aufmerksam verfolge, wo es darum geht, nach 30 Jahren wieder eine Einigung des bürgerlichen Lagers zustande zu bringen. Und das finde ich sehr gut.
Würden Sie zur Verfügung stehen, wenn das gelingt?
Tursky
Ich beobachte das interessiert. Und alle anderen Entscheidungen treffe ich immer dann, wenn es so weit ist.
Es wundert nur, dass Sie das Silicon Valley und Tallinn gegen Innsbruck eintauschen wollen.
Tursky
Das wundert viele.
Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.