DUSIKA-STADION: Aus einem Provisorium wurde eine Dauerlösung.

Flüchtlinge: Unzumutbare Zustände im Ferry-Dusika-Stadion

Die Stadt Wien sieht sich als Vorbild in der Flüchtlingsbetreuung. Doch Anspruch und Realität klaffen mitunter weit auseinander. Das Massenquartier im Ferry-Dusika-Stadion ist eine Zumutung.

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Michael Häupl ist nicht der Typ, der Ärger oder andere negative Emotionen in sich hineinfrisst. Wenn den Wiener Bürgermeister etwas stört, dann sagt er es laut und deutlich. "Traiskirchen ist ein humanitärer Skandal“, erklärte Häupl Ende Juni. Mehrere ähnliche Wortmeldungen folgten. Einmal sprach das Stadtoberhaupt vom "Chaos in Traiskirchen“, bei einer anderen Gelegenheit von einer "desolaten Organisation“.

Im Gemeinderatswahlkampf wiesen Vertreter der SPÖ bei jeder Gelegenheit darauf hin, wie professionell der Flüchtlingsandrang in Wien gemanagt werde - und wie schlecht überall anders. Man leiste hier Hilfe in "organisierter und ruhiger Form“, fasste Michael Häupl zusammen. In fast jedem Zeitungskommentar zur Asylkrise wurde die Stadt Wien für ihre Umsicht und den freundlichen Umgang mit den Flüchtlingen gelobt.

Wahrscheinlich stimmte das alles sogar eine Zeitlang. Mittlerweile sind der Stadt aber die Zügel entglitten. Wien hat nun ebenfalls ein Quartier, für das sich ein reiches, hochentwickeltes Land nur genieren kann. Es handelt sich um das Ferry-Dusika-Radstadion im Prater. Rund 800 Menschen aus 21 Nationen hausen hier unter indiskutablen Bedingungen. Aufrechterhalten wird der Betrieb nahezu ausschließlich von freiwilligen Helfern, die mit ihren Kräften jedoch am Ende sind. In den vergangenen Tagen funkten einige von ihnen über soziale Medien SOS. "Die Umstände haben schon längst jede Grenze des Ertragbaren überschritten. Unter normalen Bedingungen wären wir schon lange gegangen. Aber wir können nicht, weil man uns emotional erpresst“, schrieb etwa der irakisch-stämmige Architekt Zaid Al Khafaji, der seit fast drei Monaten hier freiwillig Dienst tut. Wenn die Freiwilligen aufgeben, so seine Befürchtung, wird sich niemand mehr um die Flüchtlinge kümmern.

Miserable hygienische Bedingungen

Am Mittwoch Nachmittag der Vorwoche sitzen Al Khafaji und sein Kollege Sebastian Frese, im Brotberuf Musiker, an einem wackligen Tisch in einem Gang des Dusika-Stadions und erzählen ihre Version des Wiener Flüchtlingsmärchens. Die Geschichte handelt von Menschen, die seit zwei Monaten auf dem Boden schlafen müssen, weil aus irgendwelchen Gründen keine Betten aufzutreiben waren. Sie handelt von etwa 80 Kindern, die nicht zur Schule gehen können, und von Krankheiten aufgrund der miserablen hygienischen Bedingungen. Anfang Oktober waren einige Fälle von Ruhr unter Flüchtlingen bekannt geworden. Es ist wohl kein Zufall, dass einige Patienten in der Dusika-Halle wohnten.

"Gestern Nacht musste wieder einmal die Polizeieinheit WEGA kommen“, erzählt Zaid Al Khafaji. Eine Gruppe Iraner hatte schon seit Tagen gegen die schlechte Unterbringung protestiert. Die Situation sei eskaliert, als sich einer der Männer den Mund zunähte und ein anderer mit Selbstmord drohte. "Die allermeisten hier sind erstaunlich ruhig und geduldig“, sagt Frese: "Aber wie überall gibt es ein paar, die sich nicht an die Regeln halten.“ Immer wieder komme es zu Konflikten zwischen Syrern und Afghanen; einige Flüchtlinge wurden beim Drogenhandel erwischt, andere klauen.

Dass bisher nicht mehr passiert ist, grenzt an ein Wunder. Viele der Bewohner hatten seit Monaten keinen Augenblick Privatsphäre mehr. In der Männerhalle leben derzeit fast 400 großteils jüngere Männer mit ungeklärtem Asylstatus. Dicht nebeneinander liegen die Schaumstoffmatten auf dem Boden. An den Kopfenden stapeln sich Decken, Jacken und Taschen. Nur ein paar wenigen Bewohnern ist es gelungen, mit Holzpaletten oder anderen Fundstücken aus der Umgebung provisorische Abgrenzungen zu errichten. Das frostige Neonlicht an der Decke lässt sich nicht ausschalten, es brennt auch in der Nacht.

"Das hier ist kein guter Platz"

Ein paar Ecken weiter, in der "Sport- und Fun-Halle“, sind die Familien untergebracht, ebenfalls rund 400 Menschen, darunter viele kleine Kinder. Hier fühlt man sich wie inmitten einer TV-Reportage aus einem Krisengebiet. Aus Decken, Planen, Baustellengittern und anderen Hilfsmitteln haben Bewohner eine Art Zeltlager errichtet. Kinder wuseln herum, in der Mitte der Halle spielen ein paar junge Männer Basketball. So habe er sich Österreich nicht vorgestellt, sagt der 21-jährige Ibrahim aus Afghanistan. "Das hier ist kein guter Platz. Hier ist es nicht sauber, manche haben keine warme Kleidung, keinen richtigen Schlafplatz.“ Und niemand könne ihm sagen, wie lange er noch bleiben muss.

Frühstück und Abendessen werden vom Bundesheer geliefert - in schwankender Qualität, wie erzählt wird. Für das Mittagessen sorgt seit Kurzem die Wiener Sikh-Gemeinde, die schon am Hauptbahnhof aufgekocht hatte. Das ist natürlich sehr nett von den Sikhs, aber es zeigt auch die Überforderung des heimischen Apparats. Wenn in Österreich lebende Inder in Österreich gestrandete Syrer, Afghanen und Iraker verköstigen müssen, läuft etwas falsch.

Eigentlich war das Dusika-Stadion als kurzfristiges Transitquartier gedacht. Flüchtlinge sollten hier höchstens ein, zwei Tage bleiben und dann weiterreisen. Aber Deutschland nimmt nicht mehr jeden, und auch in Österreich sind die Unterkünfte voll. Also wurde aus dem Provisorium ein Dauerzustand.

Matthias Karrer ist Allgemeinmediziner und Anästhesist in Wien. Er half hier anfangs aus, gab aber bald wieder auf. Seine Empörung hält bis heute an: "Unter solchen hygienischen Bedingungen kann man nicht arbeiten. Ich habe der Gemeinde Wien gesagt, dass wenigstens die Kinder durchuntersucht und geimpft werden müssten. Aber das war nicht möglich. Der Arbeiter Samariter Bund ist mit der Organisation vollkommen überfordert.“

"Schnittstelle zwischen Stadt und freiwilligen Helfern"

Oliver Löhlein, Geschäftsführer des Samariterbundes Wien, will das so nicht stehen lassen. "Der Fonds Soziales Wien hat uns gebeten, hier die Einsatzleitung zu machen. Vor allem sollten wir eine Schnittstelle zwischen der Stadt und den freiwilligen Helfern bilden.“ Die vielen Ehrenamtlichen hätten durchaus den Anspruch gehabt, die Sache selbst zu organisieren. "Erst jetzt gehen den Leuten langsam die Ressourcen aus. Deshalb haben wir in einem ersten Schritt die Nachtdienste übernommen“, erzählt Löhlein. Die Stadt habe zugesagt, die Belegung im Dusika-Stadion nach und nach zu reduzieren. Betten seien bestellt, alles werde bald besser sein.

Als der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl jüngst anregte, Österreichs Asylpolitik zu überdenken und nicht mehr jeden über die Grenze zu lassen, hagelte es Kritik aus den eigenen Reihen. Besonders empört reagierte die Wiener SPÖ: "Zurufe, die relativ inhaltsleer sind, helfen uns nicht weiter“, sagte Michael Häupl.

Aber beweist das Dusika-Stadion nicht, dass Niessl Recht hat? Überhaupt nicht, meint die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely. "Die Situation dort ist nicht gut, keine Frage. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Änderung.“ Im Unterschied zu anderen Bundesländern erfülle Wien die Quote für die Flüchtlingsunterbringung zu 120 Prozent. "Würde in Österreich jeder das machen, wofür er zuständig ist, hätten wir die Dusika-Halle längst zusperren können. Wenn mir jemand ein Alternativquartier zur Verfügung stellt, werde ich es sofort nehmen.“ Seit August seien in Wien 26 Notquartiere eröffnet worden, acht weitere befänden sich in Planung, zählt Wehsely auf. Zu den bestehenden 17 Grundversorgungseinrichtungen sollen demnächst 20 neue hinzukommen. Dass es im Stadion über Monate nicht möglich war, Betten zu organisieren, liege indes nicht an Versäumnissen der Stadt, behauptet die Stadträtin: "Ich will jetzt nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Aber ich hoffe, dass wir das österreichische Bundesheer nie wirklich brauchen.“

Am Donnerstag gab es, wohl auch wegen des wachsenden öffentlichen Drucks, ein ausführliches Gespräch zwischen Oliver Löhlein vom Samariterbund und zwei Mitgliedern des Freiwilligennetzwerks im Dusika-Stadion. Man habe vereinbart, dass der Alltagsbetrieb nun Zug um Zug an den Samariterbund übergeben werde, sagt Sebastian Frese, der in Zukunft als Sprecher der Ehrenamtlichen fungieren soll.

Einen ersten Erfolg konnte er gleich vermelden: Noch am gleichen Tag wurden mehrere Waschmaschinen geliefert und installiert.

Rosemarie Schwaiger