Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und die Frage nach ihrer Nachfolge

Nach Vassilakous Rücktritt: Die Grünen suchen den Superstar

Die Wiener Ökos rüsten nach dem angekündigten Rücktritt von Maria Vassilakou zum Showdown um die neue Nummer eins in der Partei – ein riskantes Unterfangen mit einer langen Vorgeschichte von Konflikten, Pannen und Eigentoren.

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(Anmerkung: Dieser Artikel ist am 27.August in der profil-Ausgabe 35/18 erschienen. Am 2. September erklärte Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, dass sie sich Mitte 2019 aus der Wiener Stadtpolitik zurückziehen werde.)

Es ist verdammt lange her, dass die Wiener Grünen Grund hatten, über ein Wahlergebnis zu jubeln. Damals, am 23. Oktober 2005, legten sie bei der Landtagswahl um 2,18 Prozentpunkte auf 14,6 Prozent zu. Es ist bis heute ihr bestes Resultat geblieben; seitdem stand regelmäßig ein Minus vor dem Wahlergebnis.

Maria Vassilakou war als Spitzenkandidatin für das 14-Prozent-Highlight verantwortlich – und für alle Schlappen danach. 13 Jahre lang führte sie die Wiener Grünen an, ein Rekordwert für den einst legendär chaotischen Haufen, bei dem traditionell Linksbewegte gegen liberale Bürgerliche, Aktionisten gegen Pragmatiker, Detailverliebte gegen Welterklärer und Frauen gegen Männer um die Oberhoheit über Partei und Kurs rangen.

Der riskante Modus, mit dem die Grünen ihre neue Nummer eins küren, ist nicht dazu angetan, Gräben zuzuschütten.

Diese Konflikte führten zu Machtkämpfen und Vendetta-Aktionen auf offener Bühne, etwa der Demontage von Peter Pilz als Klubchef Mitte der 1990er-Jahre. Pilz verabschiedete sich ins Parlament, hinterließ den Wiener Grünen aber eine junge Mitarbeiterin im Rathausklub, die er angeworben hatte: Vassilakou. Sie schaffte das Kunststück, als Spitzenkandidatin und später als Vizebürgermeisterin und Stadträtin viele der brodelnden Widersprüche zuzudecken. Nun, da es um ihre Nachfolge geht, brechen alte Zwistigkeiten wieder offen auf.

Peter Kraus  hat sich bereits früh um die Nachfolge von Maria Vassilakou in Stellung gebracht

Der riskante Modus, mit dem die Grünen ihre neue Nummer eins küren, ist nicht dazu angetan, Gräben zuzuschütten – im Gegenteil: Geboten wird eine Show frei nach dem Motto „Grüne suchen den Superstar“. Wer sich für geeignet hält, kann sich bis 4. September bewerben, gewählt wird im November – nicht wie bisher von 1400 Parteimitgliedern, der berüchtigten Basis, voten können alle, die sich registrieren und 15 Euro zahlen. Sie können die nächste Spitze mitbestimmen, auch per Briefwahl. Partei und Basis werden umso deutlicher entmachtet, je mehr Novizen sich melden. Schon in den ersten Tagen haben das 325 Menschen getan; man rechnet mit insgesamt Tausenden.

Farce oder Streit?

Die bisherigen Bewerber befolgen das Prinzip Spektakel. „Wir sind die, auf die wir gewartet haben“: Mit dem selbstbewussten Slogan bewirbt sich Peter Kraus, der bei keiner Gelegenheit zu betonen vergaß, wie jung er mit seinen 31 Jahren ist. Sein Konkurrent, Klubobmann David Ellensohn, 55, garnierte die Bekanntgabe seiner Kandidatur mit einer Anzeige von Mitgliedern der burgenländischen Landesregierung bei der Staatsanwaltschaft wegen des Verkaufs von Sozialwohnungen. Man darf gespannt sein, welche originellen Gimmicks sich weitere Kandidaten einfallen lassen, um im Aufmerksamkeitswettbewerb Meter zu machen.

David Ellensohn will ebenfalls an die Spitze der Wiener Grünen

Ob und wie weit die öffentliche Kür zur Farce oder zum beinharten Streit eskaliert, weiß niemand vorauszusagen. Christoph Chorherr, Urgestein der Wiener Grünen, lobt das Experiment jedenfalls überschwänglich und glaubt an eine Auffrischung der Partei: „Wir wagen die Öffnung. Wir wählen die Kandidaten nicht aus dem engen Kreis, der sich ewig kennt und wo ich mich mit 57 im besten Durchschnittsalter befinde, sondern lassen viel mehr Leute mitreden.“ Chorherr ist aber Realist genug, um zuzugeben: „Ja, das ist riskant. Aber wir sind auch nicht in der komfortablen Situation, eine 4:0 Führung über die letzten 15 Minuten zu bringen.“

Wenn die einstige Grünen-Hochburg Wien wackelt oder gar fällt, wird ein Comeback der Grünen auf Bundesebene unmöglich.

Eine launige Untertreibung für den Schock, den die Wiener Grünen bei der Nationalratswahl im Herbst 2017 erlitten. Zweistellige Verluste quer durch Wien, minus 20 Prozentpunkte gar im 7. Bezirk, noch hinter die Liste Pilz zurückgefallen. Seither grassiert blanke Panik: Droht eine ähnlich krachende Niederlage bei der Wiener Landtagswahl, die planmäßig im Jahr 2020 stattfindet? Ist die Zeit der Grünen abgelaufen? Fest steht jedenfalls: Wenn die einstige Grünen-Hochburg Wien wackelt oder gar fällt, wird ein Comeback der Grünen auf Bundesebene unmöglich – und die außerparlamentarische Opposition zum Dauerzustand.

Politologe Fritz Plasser sieht eine Chance und ein Risiko für die Wiener Grünen zugleich: „Viele Ex-Wähler haben bei der Nationalratswahl aus koalitionstaktischen Gründen SPÖ gewählt. Für diese Wähler war es ein Trauma, dass die Grünen bundespolitisch von der Bildfläche verschwinden – das wollten sie auch wieder nicht.“ Daher seien Es-tut-mir-leid-Stimmen für die Grünen zu holen.

Seit der desaströsen Debatte über das Bauprojekt Heumarkt schwillt der Unmut an, nun droht er zu eskalieren.

So weit die gute Nachricht – die schlechte: „Die Wiener Grünwähler sind eher links, für diese Gruppe ist ein Machtwechsel weg von der SPÖ ein Alptraum.“ Wenn die Wiener SPÖ die Wahl zu einem Kampf mit der FPÖ um den Bürgermeistersessel ausruft, hält Plasser den „Super-GAU“ für möglich: „Das kann im ungünstigsten Fall zu einem Déjà-vu der Nationalratswahl führen.“ Und zum Abdriften von Ex-Grün-Stimmen in Richtung SPÖ. Chorherr glaubt das nicht: „Unser Problem war, dass Christian Kern in unserem Milieu viel attraktiver war als Grün-Kandidaten. Michael Ludwig ist allerdings vom Habitus her das Gegenteil von Kern.“

Ob das als Prinzip Hoffnung reicht?

Im Grunde bestanden die Wiener Grünen stets aus drei Flügeln: den Bürgerinitiativen, den Linken und den pragmatischen Linksliberalen. Riechen konnten sie einander nie, aber alle hielten halbwegs still – solange es Erfolge gab und der Fortbestand der rot-grünen Rathauskoalition jedem Flügel etwas gab: mehr Radwege, mehr Mindestsicherung und mehr Mitgestaltungsmöglichkeit. Die letzten großen Pluspunkte von Rot-Grün, etwa die 365-Euro-Jahresnetzkarte, sind allerdings auch schon ein paar Jahre her. Seit der desaströsen Debatte über das Bauprojekt Heumarkt schwillt der Unmut an, nun droht er zu eskalieren. Nicht ohne Grund urgiert Peter Kraus „mehr Mut“, David Ellensohn „selbstsicheres Auftreten“ in der Stadtkoalition. Mit Vassilakous Abgang steht auch Rot-Grün auf der Kippe.

Ob in dieser heiklen Gemengelage ein erbittertes Match um die Nummer eins die Flügel einen kann, erscheint mehr als fraglich. Dem Grünen Wirtschaftssprecher Hans Arsenovic ist das bewusst. Er appelliert: „Viel wichtiger als Namen und Personen ist der Prozess der Entscheidung – auf dass wir am Tag nach der Spitzenkandidatenwahl eine geschlossene Partei sind.“ Es klingt fast flehentlich.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin