Hans Peter Doskozil im Flüchtlingslager im Libanon: "Natürlich bewegen einen diese Bilder. Das sind sehr starke persönliche Eindrücke. Man darf sich davon aber nicht beeinflussen lassen."

Vom "Bullen mit Herz" zum Obergrenzwächter: Hans Peter Doskozil

Erst schuf Hans Peter Doskozil die Willkommenskultur, jetzt schafft er sie ab. Der Polizist aus dem Burgenland verkörpert den neuerdings scharfen Flüchtlingskurs der SPÖ - und die Zerrissenheit der Sozialdemokratie.

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Später im Hotel im noblen Bezirk Minet El Hosn in Beirut wird Hans Peter Doskozil die entscheidenden Sätze seiner zweitägigen Libanon-Reise sagen: "Natürlich bewegen einen diese Bilder. Das sind sehr starke persönliche Eindrücke. Man darf sich davon aber nicht beeinflussen lassen.“ Die "Bilder“ und "Eindrücke“ von syrischen Flüchtlingen in einem Lager in der Bekaa-Ebene, eineinhalb Autostunden von der Hauptstadt entfernt: 30 Zelte, Verschläge, ein kleiner Campingplatz der Verzweiflung;Kinder ohne Schuhe im Morast; die Jüngsten unter ihnen sind schon hier geboren. Eine junge Frau im Rollstuhl bittet Doskozil um Geld für ihre Therapie. Eine andere zeigt einen Zettel mit ihrem Wunschziel: Stuttgart. Ein Mann erzählt vom Tod seiner Tochter. Die meisten hier träumen davon, nach Europa zu kommen. Was sie nicht wissen: Der freundliche hohe Gast, den sie zur Begrüßung mit Reis beworfen haben, will genau das verhindern.

Gäbe es keine Flüchtlingskrise, wäre Hans Peter Doskozil heute nicht Minister. Seit knapp zwei Monaten führt der 45-jährige Burgenländer den Oberbefehl im Verteidigungsressort und setzt dort den neuerdings scharfen SPÖ-Kurs in der Flüchtlingsfrage durch. Im Sommer und Herbst 2015 half der damalige Landespolizeidirektor mit, eine Willkommenskultur für Flüchtlinge zu schaffen. Jetzt ließ er sich von seinem Bundeskanzler dazu vergattern, sie abzuschaffen.

Den Ansturm von 300.000 Flüchtlingen auf Nickelsdorf wickelte er organisatorisch und rhetorisch gekonnt ab.

Im Zeltlager im Libanon beweist Doskozil Mitgefühl. Er hört sich die Sorgen der Flüchtlinge länger an, als er müsste. Er beratschlagt mit einem Caritas-Helfer. Er ist sichtlich bewegt. Aber er gibt auch unmittelbar nach seinem Besuch Interviews, in denen er erklärt, warum den Menschen vor Ort besser zu helfen sei als in Österreich.

Der Sinn von Doskozils Reise besteht darin, aus einem globalen Problem einen nationalen Schluss zu ziehen. Da mag die Repräsentantin der UNO in Beirut noch so viel appellieren, Europa müsse nun mutig ("think big“) eine gemeinsame Lösung finden, Doskozil denkt darüber nach, verstärkt Grundwehrdiener an die Grenze in Spielfeld zu schicken. Auch am nächsten Tag spricht der Minister vor den 180 Bundesheer-Blauhelmsoldaten der UNIFIL-Mission nur von der Grenzsicherung in der Heimat - obwohl diese Soldaten hier die Grenze zwischen Syrien und Israel überwachen. Die Erlebnisse im Libanon scheinen Doskozil die Sicherheit zu geben, dass das, was er daheim in Österreich tut, das richtige ist. Auch wenn es das Gegenteil davon ist, was manche von ihm erwarteten.

Im September vergangenen Jahres hatte Doskozil einbekannt, er wäre "wohl selbst ein Wirtschaftsflüchtling“. Über Nacht war der Landespolizeidirektor des Burgenlands österreichweit bekannt geworden. Nach der Tragödie in Parndorf mit 71 erstickten Menschen fand er die richtigen Worte. Den Ansturm von 300.000 Flüchtlingen auf Nickelsdorf wickelte er organisatorisch und rhetorisch gekonnt ab. Gerade in linken Milieus galt Doskozil fortan als "Bulle mit Herz“.

Ich habe einen humanistischen Ansatz, aber auf Basis der Gesetze. (Doskozil)

Ein halbes Jahr später ist alles anders. Nach seinem Amtsantritt bot Doskozil dem Innenministerium die Hercules-Transportmaschinen des Bundesheeres für mögliche Abschiebungen an. Er warf der EU-Kommission vor, "säumig“ zu sein. Den Tschechen drohte er die Kürzung von EU-Förderungen an. Und Angela Merkel empfahl er, "Flüchtlinge direkt aus Griechenland nach Deutschland zu holen“, wenn man selbst keine Obergrenze wolle.

Aus dem Bullen mit Herz ist ein Obergrenzwächter geworden.

Er selbst sieht darin keinen Bruch, sondern einen Prozess. Fragt man den Verteidigungsminister nach seinen Werten, sagt er: "Ich habe einen humanistischen Ansatz, aber auf Basis der Gesetze.“

Seit Werner Faymanns Wende endet Humanismus auch für die SPÖ da, wo der illegale Grenzübertritt beginnt. Hans Peter Doskozil wäre Sozialarbeiter und nicht Polizist geworden, wenn er nicht an das Prinzip "Recht und Ordnung“ glauben würde. Auf die Gesetze der Republik und deren Einhaltung ist er als Polizist und als Minister vereidigt. Der Unterschied: Der Polizist muss die Gesetze exekutieren, der Politiker könnte sie auch ändern. Doch dafür hat Werner Faymann den Burgenländer nicht in sein Kabinett geholt. Doskozil soll den neuen Kurs administrieren und durch sein erwiesenes PR-Geschick nach außen verkörpern. Bisher waren es allein die ÖVP-Minister Johanna Mikl-Leitner und Sebastian Kurz, die der harten Linie ein Gesicht gaben und damit ausgerechnet in Faymanns Leibblatt, der "Kronen Zeitung“, punkteten.

Die Innenministerin ist voll des Lobs für ihren neuen Regierungskollegen: "Doskozil ist ein Profi mit Handschlagqualität.“

Man dürfe bei der Hilfe für Flüchtlinge nicht auf die eigene Bevölkerung vergessen.

Lob von Johanna Mikl-Leitner kann in manchen Teilen der SPÖ schaden, etwa bei Tanja Wehsely. Die Wiener Gemeinderätin nützte die Tagung des roten Rathausklubs in Floridsdorf vergangene Woche für eine Generalabrechnung mit der Flüchtlingspolitik ihres Parteivorsitzenden: "Ich war beeindruckt vom Faymann/Merkel-Kurs. Die Übernahme des Mikl-Leitner/Kurz-Kurses ist mir unverständlich. Sozialdemokratie bedeutet Hilfe für Arme, Internationalität und Empathie. Wenn wir Empathie verlieren, ist das nicht mehr Sozialdemokratie.“

Man kann davon ausgehen, dass nicht nur Tanja Wehsely, sondern auch höherrangige SPÖ-Vertreter so denken: Etwa deren Schwester Sonja Wehsely, Sozialstadträtin in Wien, oder Finanzstadträtin Renate Brauner. Offene Kritik am Kanzler bleibt freilich aus, weil gerade linke SPÖ-Politiker die überholteste aller bürgerlichen Tugenden hochhalten: Gehorsam. Attacken auf den Parteivorsitzenden würden nur dem politischen Gegner nützen.

Auch den Exekutor der neuen SPÖ-Flüchtlingspolitik, Hans Peter Doskozil, wollen weder Sonja Wehsely noch Renate Brauner auf profil-Anfrage bewerten. Umso lieber tut das ein Vertreter des rechten Flügels der Wiener SPÖ, Wohnbaustadtrat Michael Ludwig: "Verteidigungsminister Doskozil handelt pragmatisch und umsichtig.“ Er selbst, so Ludwig, habe dieselbe Haltung wie bereits vor Monaten: Man dürfe bei der Hilfe für Flüchtlinge nicht auf die eigene Bevölkerung vergessen.

So ähnlich hört man es aus Eisenstadt. Dort regiert SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl seit der Wahl im Mai 2015 mit einem FPÖ-Koalitionspartner. Doskozil diente Niessl von 2010 bis 2012 als Büroleiter. Muss er das umstrittene rot-blaue Bündnis in Eisenstadt rechtfertigen, argumentiert Doskozil wie sein Landeshauptmann: Die burgenländische SPÖ habe gar keine andere Wahl gehabt, da auch die ÖVP zeitgleich eine Koalition mit der FPÖ anstrebte.

Der Burgenländer ist der entspannteste Verteidigungsminister, den die SPÖ in der jüngeren Vergangenheit gestellt hat.

Der Verlust seines Status als Flüchtlingshelfer dürfte Doskozil nicht irritieren. Der Verteidigungsminister ist vor allem Praktiker ohne Überbau. Was zu tun ist, ist zu tun. Gern verwendet Doskozil den Begriff "realistisch“, wenn er die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung erläutern muss. Realitätsfremd sind dagegen die deutsche Bundesregierung und Brüssel. Und wahrscheinlich hält er auch Tanja Wehsely & Co. für realitätsfremd. Wenn sogar die Stadt Wien gegen ihren erklärten Willen Großquartiere und reine Flüchtlingsklassen einrichten muss, hilft Empathie allein tatsächlich nicht mehr weiter. Sozialdemokratie, wie sie Ludwig, Niessl und nun auch Faymann und Doskozil verstehen, bedeutet in erster Linie, den gewohnten sozialen Zusammenhalt nicht durch übertriebene Solidarität zur riskieren.

Die steile Karriere ist Doskozil nicht einfach passiert. Seit vergangenem Sommer durfte er mit der Beförderung rechnen. Selbstsicher nahm er schon vor seiner Angelobung im Jänner am Flüchtlingsgipfel der Regierung teil und gab Serieninterviews. Als ehemaliger Büroleiter eines Landeshauptmanns war er auf seinen neuen Job gut vorbereitet. In Grafenschachen im Bezirk Oberwart saß er für die SPÖ im Gemeinderat.

Der Burgenländer ist der entspannteste Verteidigungsminister, den die SPÖ in der jüngeren Vergangenheit gestellt hat. Der Zivildiener Norbert Darabos scheiterte am Amt, der Selbstvermarkter Gerald Klug an sich selbst. Doskozil machte gleich alles richtig. Im Gegensatz zu Darabos bekennt er sich uneingeschränkt zum Militär. Und anders als Klug fordert er forsch mehr Mittel für das Bundesheer. In der Vorwoche präsentierte Doskozil Reformpläne, die eine Verschlankung des Ministeriums und einen Ausbau der schnell verfügbaren Einsatzkräfte von derzeit 2200 auf 6000 Soldaten bringen soll.

Noch nie war ein Verteidigungsminister für die SPÖ so wichtig wie heute.

Hört man genau hin, erkennt man freilich keinen kompletten Verteidigungsminister, sondern erst den Chef einer robusteren Grenzschutzeinheit in grünen Uniformen. Noch hat Doskozil nicht bewiesen, dass er Panzer, Abfangjäger und Artillerie-Haubitzen ebenso zur Landesverteidigung zählt wie Tretschutzgitter, Schlagstöcke und Pfefferspray. Das Zackige ist dem neuen Verteidigungsminister ohnehin fremd. Dass Offiziere vor ihm salutieren, scheint den unprätentiösen Doskozil immer wieder zu überraschen. Offenbar ging es bei der burgenländischen Polizei gemütlicher zu. An Ehrenkompanien wird er sich noch gewöhnen; und daran, dass man "Kollegen“ im Bundesheer "Kameraden“ nennt, ebenso.

Doskozils gelungener Einstand nährt innerparteiliche Spekulationen. Schon wird der Burgenländer als möglicher Nachfolger von Landeshauptmann Hans Niessl gehandelt. Im Vertrauensranking der APA und des Meinungsforschungsinstituts OGM ist er das beliebteste SPÖ-Regierungsmitglied. Noch nie war ein Verteidigungsminister für die SPÖ so wichtig wie heute. Nicht nur wegen der Flüchtlingskrise, sondern auch bei scheinbaren Nebensächlichkeiten. Wo immer er hinkomme, erzählt Doskozil, werde er auf die Kürzungen bei der Militärmusik angesprochen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.