Frust oder Keule

Wahl 2013: Ein Fünftel der Österreicher will nicht wählen

Frustbürger. Ein Fünftel der Österreicher will nicht wählen, viele werden am Wahltag Rache üben

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Es ist immer wieder lustig mit Frank Stronach. Aber zum Lachen ist es eigentlich nicht mehr. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Karmasin wollen acht Prozent der Österreicher am 29. September diesen Mann wählen – ein Prozentpunkt mehr als noch vor einer Woche. Das wird zwar nicht reichen, um die Republik aus den Angeln zu heben. Stronach selbst hatte ursprünglich deutlich ambitioniertere Pläne. Aber acht Prozent der Wahlberechtigten entsprechen immerhin der Einwohnerzahl von Linz, Salzburg, Innsbruck, Bregenz und Eisenstadt. So viele Menschen werden, sollte die Prognose stimmen, am letzten Septembersonntag ins Wahllokal gehen und ihr Kreuz bei einer Partei machen, deren Chef seinen jüngsten Geistesblitz wie folgt formulierte: „Ein geplanter Berufsmord: Todesstrafe! Geplant. Mafia-Type. Berufsmord … Hast du mitg’hört, Kathrin? Das muss ins Programm.“
Hoffentlich interessiert sich der Rest der Welt nicht zu sehr für den österreichischen Wahlkampf. Es wäre schwierig zu erklären, warum im Jahr 2013 mitten in Europa plötzlich über die Hinrichtung von Auftragsmördern diskutiert wird.

Frank Stronach ist als Person eine singuläre Erscheinung – doch seine Truppe ist es nicht. Das Team Stronach entspricht dem klassischen Muster einer Protestpartei. Zielgruppe sind jene Wähler, denen das politische Establishment aus welchem Grund auch immer auf die Nerven geht. Oder die mit ihrem Leben unzufrieden sind und sich benachteiligt fühlen. Wird dieser nagende Frust bedient, ist der Rest des Programms weitgehend egal – ebenso wie ein paar Fremdschäm-Erlebnisse bei Auftritten des Parteigründers.

Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren
Immerhin haben Stronach-Fans vor, zur Wahl zu gehen. Laut einer aktuellen Umfrage des OGM-Instituts im Auftrag der Tageszeitung „Kurier“ hat fast ein Fünftel der Österreicher bereits beschlossen, sich den diesjährigen Wahlsonntag nicht durch die Ausübung ihrer Bürgerpflicht stören zu lassen. „19 Prozent erklärten, dass sie am 29. September nicht oder weiß wählen werden“, sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer: „Für eine Befragung ist das ein ungewöhnlich hoher Wert.“ Viele Menschen geben diese Art der Verweigerung nämlich nicht gern zu. Die Dunkelziffer dürfte also deutlich höher liegen.

Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren; bei den Nationalratswahlen 2006 fiel sie erstmals unter 80 Prozent. Geht es um weniger Bedeutsames als das Parlament, fällt sie noch deutlich niedriger aus. An den Landtagswahlen in Tirol etwa nahmen heuer nur 60 Prozent der Wahlberechtigten teil.
Was ist los mit dem demokratischen System, wenn so viele Menschen der Politik entweder ganz den Rücken kehren oder Brachialpopulisten in die Arme fallen? Kann das Leben in einem reichen Sozialstaat wie Österreich derartig missglücken, dass man Frank Stronach ernsthaft für die Rettung hält?

„Die Menschen sind mittlerweile so angefressen auf das politische System, dass sie jede Vogelscheuche wählen würden, nur um es denen da oben zu zeigen“, erklärte der einstige FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer vor ein paar Monaten in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“. Weil die FPÖ ebenfalls bevorzugt nach den Zornigen und Enttäuschten fischt, weiß Mölzer genau, wovon er redet. Stronach wurde zum unerwarteten Mitbewerber. Schon bei den Landtagswahlen in Salzburg, Kärnten und Niederösterreich erbeutete die neue Konkurrenz viele einstmals blaue Stimmen. Bei der Nationalratswahl wird das wohl auch so sein. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache redet jedenfalls schon länger nicht mehr über seinen Kanzleranspruch.

Gemeinsam werden FPÖ und Team Stronach voraussichtlich mehr als ein Viertel der Stimmen bekommen. Dass so viele Blauwähler bedenkenlos zur neuen Partei überlaufen, widerlegt immerhin das Klischee, wonach alle FPÖ-Sympathisanten grimmige Ausländerfeinde seien. Stronach hat nichts gegen Zuwanderer. Er hat überhaupt keine nachvollziehbare Ideologie. Er ist nur gegen „das System“ und schimpft nach Kräften über die anderen Parteien. Das reicht als Attraktion.

Der gelangweilte Wähler sucht nach Alternativen
Auf eine Besserung der Lage muss man nicht hoffen. Frustriert sind nämlich in erster Linie die Jungen. Laut einer Studie des GfK-Instituts im Auftrag der Industriellenvereinigung fühlt sich mehr als die Hälfte der Zwölf- bis 24-Jährigen von der Politik vernachlässigt. 38 Prozent konnten die Frage nicht beantworten, welche Partei am stärksten auf die Jugend zugehe. Weitere 13 Prozent sagten: „keine“. Ein Viertel der unter 30-Jährigen will folglich nicht wählen, erhob das OGM-Institut. Unter denen, die es doch tun, hält die FPÖ derzeit die Mehrheit. Erst auf Platz zwei folgen die Grünen. Der typische Nicht-Wähler ist, das ergeben alle Umfragen, jung und urban. In vielen Fällen dürfte es sich dabei um eine Lebensentscheidung handeln. „Mit wenigen Ausnahmen kommen Nichtwähler nicht zurück“, sagt der Politikforscher Peter Ulram, der sich als einer der wenigen Experten mit den Verweigerern befasst hat. Bei den von ihm untersuchten – besonders schlecht frequentierten – Europawahlen 2009 gaben 19 Prozent an, sie hätten als Ausdruck ihres Protestes gegenüber der Politik insgesamt nicht gewählt. 28 Prozent erklärten, die EU interessiere sie nicht. 19 Prozent hielten die Wahl als solche für sinnlos.
Sven Gächter macht ausschließlich die handelnden Personen in der Politik für die Verdrossenheit der Massen verantwortlich. Aber es gibt auch ein paar Gründe, für die Werner Faymann, Michael Spindelegger und die übrigen Hauptdarsteller nichts können: Es ist lange her, seit Menschen in Europa für ein freies Wahlrecht kämpften. Das Projekt Demokratie ist zur Selbstverständlichkeit geworden, für die es kein besonderes Engagement mehr braucht. Parallel dazu lösten sich die früher so starken Parteibindungen auf. Die klassischen Stammwähler werden weniger, weil sich auch die einschlägigen Milieus immer schwerer abgrenzen lassen. Ein Arbeiter braucht zur Durchsetzung seiner Interessen heute nicht mehr unbedingt die SPÖ, ein Landwirt kommt auch ohne schwarzen Landwirtschaftsminister zu seinen Fördergeldern aus Brüssel. Also sucht der gelangweilte Wähler nach Alternativen, die mitunter nicht schrill genug sein können. An seinen Rändern hat der Parteienmarkt bereits Ähnlichkeit mit der Modebranche; was gestern der letzte Schrei war, sieht heute schon wie Opas alte Fetzen aus. Im Sommer 2012 galten etwa die Piraten als kommende Kraft. 16 Prozent der jungen Österreicher gaben in einer Umfrage an, die neue Partei wählen zu wollen. Etwas mehr als ein Jahr später ist von dieser Euphorie nichts mehr übrig.

Den Frust der Wähler erheblich befördert hat auch der österreichische Spezialfall einer fast schicksalhaft einzementierten Großen Koalition. Wer sich nie zwischen links und rechts entscheiden darf, kann leicht auf die Idee kommen, ins populistische Extrem abzuwandern. „Große Koalitionen sind ein Nährboden für Protestwähler. Das zeigt sich immer wieder“, sagt Peter Ulram. Aber das Kalkül der Zornigen wird wohl auch dieses Mal nicht aufgehen. Am 29. September treten bundesweit neun Parteien an, darunter völlig chancenlose wie die Piraten. Jeder Wahlwerber, der die Vier-Prozent-Hürde nicht schafft, macht die Mandate der großen Parteien billiger. SPÖ und ÖVP dürfen heuer darauf hoffen, auch mit deutlich weniger als 50 Prozent Wählerzuspruch ihre Mehrheit im Nationalrat zu behalten.

Um einmal zu schauen, wie viel konstruktive Energie hinter all dem Zorn und der Frustration steckt, hatte die Journalistin Anneliese Rohrer im Frühling 2011 einen „Stammtisch für Wutbürger, die der eigenen Apathie überdrüssig sind“ gegründet. Ein paar Dutzend Leute kamen regelmäßig zu den Treffen und diskutierten engagiert über die Politik im Land, den Stillstand und die verkrusteten Strukturen. Als Rohrer die Teilnehmer aber einmal einlud, sie zu einer Expertendebatte über den Österreich-Konvent zu begleiten, erschienen nur drei Interessierte. „Nach einer gewissen Zeit war der Dampf draußen“, bilanziert Rohrer heute.

Immerhin entstand am Stammtisch die Idee zur „Mutbürgerpartei“, die eigentlich bei der Nationalratswahl antreten wollte. Ihr Gründer Manfred Schärfinger muss potenzielle Anhänger allerdings auf 2018 vertrösten. „Wir waren zu wenig breit aufgestellt. Um bei der Nationalratswahl eine Chance zu haben, braucht man eine Basismannschaft in jedem Bundesland.“ Schärfinger selbst ist in der Politik aber schon angekommen. Für die Bürgerliste IAO wirkt er seit 2010 als Vizebürgermeister von Oberwaltersdorf. Ein paar Monate lang saß er auch im Landesvorstand der niederösterreichischen Piraten. Es ist eben nicht so einfach, aus diffusem Unbehagen ein stimmiges Projekt zu machen.

Frank Stronach präsentierte am Freitag übrigens das Umweltprogramm seiner Partei. Zusammengestellt worden war es von einem bekannten Event-­Organisator. Das ist, immerhin, konsequent.

Rosemarie Schwaiger