KPÖ-Stadträtin Kahr

Wahl in Graz: Die Unberechenbare

Seit knapp zwei Jahrzehnten wird Graz, eine Hochburg der Kommunisten, von einer starken ÖVP regiert. Bleibt das so, mit Klimawandel und Corona?

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Die zweitgrößte Stadt Österreichs wächst. Es wird gebaut und gebohrt, aufgerissen und zubetoniert. Als müsse alles noch schnell vor der Gemeinderatswahl am 26. September fertig werden. Straßenbahnen biegen mit Gekreisch in die Kurve. Der Verkehr daneben steht still, staut sich. Am Ufer der Mur planschen kleine Kinder. Das amtliche Schild – Achtung Gesundheitsgefährdung! – ist verschwunden. Im Augarten springen Spaziergänger zur Seite, Fahrradfahrer preschen durch.

Die Stadt ist in Aufruhr.

Am Wahl-Infostand der Freiheitlichen in der Grazer Herrengasse schimpft ein Bürger mit Maske unter der Nase. Die Ausländer abschaffen, die Pendler gleich mit und die Lkw. Da wirkt selbst der stramme Jungmann leicht überfordert. Eigentlich wollte man mit der Abschaffung der Hundesteuer auftrumpfen, mit dem neuen Gesetz, das es Ausländern erheblich erschwert, in Graz eine Gemeindewohnung zu bekommen. Laut Bericht des Grazer Menschenrechtsbeirats hat diese Regelung die Not durch Corona noch einmal verschlimmert.

Das Wohnressort war lange Zeit in Händen der Kommunisten gewesen. Darauf gründe ihr Erfolg, so dachte man. Nach der letzten Wahl 2017, als ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl eine schwarz-blaue Koalition einging, bekam FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio dieses Ressort zugeschanzt. Der KPÖ wurde das Verkehrschaos überantwortet. Doch ihr Erfolg ist ungebrochen.

Seit knapp zwei Jahrzehnten liegt die KPÖ in Gemeinderatswahlen bei etwa 20 Prozent, in besseren Vierteln und dort, wo Studenten wohnten, sogar noch besser. Man redet leicht abfällig von „Herz-Jesu-Kommunismus“ oder Augenblicksverwirrung. Aktuelle Umfragen geben ihr diesmal 20 Prozent und mehr.

Die Ärmeren suchen noch immer Trost und Rat im Volkshaus in der Lagergasse. KPÖ-Stadträtin Elke Kahr, die „für alle, die es schwer haben“, da sein will, ist tatsächlich in der Lage, zu helfen, weil jeder Mandatar der KPÖ einen Gutteil seines Abgeordnetengehalts in einen Sozialfonds einzahlt. Vergangenen Dienstag kam eine Mindestpensionistin glücklich aus Kahrs Büro. Ihre Lesebrille war kaputtgegangen. Ein Student afghanischer Herkunft, der seine Deutsch-Diplome aus dem Vorstudienlehrgang vorlegte, kann nun mit einer kleinen Unterstützung für die Fachhochschule rechnen. Er wird nebenher weniger arbeiten müssen. Kahr bewundert, wie sich manche Unterprivilegierte „durchbeißen“. Ob die, denen hier geholfen wird, der KPÖ ihre Stimme geben, steht in den Sternen. An diesem Tag sieht es nicht danach aus: Der Student darf nicht wählen, die Dame mit der Brille sagt, sie sei politisch „neutral“, aber Kahr ein Engel.

In der Grazer Innenstadt trifft man in diesen Tagen alle 20 Meter auf einen Stand einer Partei. Grüne, blaue und pinkfarbene Luftballons steigen in den Himmel, Werbefolder landen im Rinnstein. Das Zelt der ÖVP glänzt in elegantem Schwarz, nicht in kaltem Türkis.

Bei den Grünen ist nicht viel los. Mittagsruhe. So mancher Grüner scheut das Gespräch, fürchtet aggressive Kritik an der Politik der Grünen in der Bundesregierung. Was im Flüchtlingsbereich, speziell im Fall von Afghanistan geschehe, sei zum „Fremdschämen“, sagt ein Bezirkspolitiker der Grünen.

Es schwelt die Diskussion, ob man monothematisch, also mit Klimapolitik allein, die Wähler bei der Stange halten könne. Der langjährige Nationalratsabgeordnete, einstiges Gründungsmitglied der Grünen, Andreas Wabl, spricht im profil-history-Podcast über die Anfänge der Bewegung und das Versagen von Vizekanzler Werner Kogler, „der es besser könnte“.

Judith Schwentner, Stadträtin und Spitzenkandidatin der Grünen, stellt dennoch den Anspruch, die erste  Grazer Bürgermeisterin zu werden. Realistisch ist das nicht. Die Grünen werden dazugewinnen, nach Umfragen kommen sie auf 13 bis 15 Prozent.

Schwentner, die früher im Integrations-und Flüchtlingsbereich gearbeitet hat, ist selbst zerrissen zwischen Gesinnung und Pragmatik. Klimapolitik, Kampf gegen Immobilienspekulation, Baustopp und Projektevaluierung, Entsiegelung, Radpolitik, Begrünung, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, das geht ihr leicht über die Lippen.

Tut der Machtanspruch der grünen Bewegung gut? „Eine Klimaschutz-Koalition wäre mir am liebsten“, sagt Schwentner diplomatisch.

Mit leicht bewölkter Miene ist dieser Tage auch Bürgermeister Siegfried Nagl anzutreffen. In seinem 18. Jahr als Grazer Bürgermeister wird er das vergangene Wahlergebnis von nahezu 38 Prozent nicht mehr erreichen. Hochfliegende und hypertrophe Pläne, wie die Olympischen Winterspiele 2026 nach Graz zu holen, eine Mur-Gondel, die ins Grazer Umfeld schaukelt, Boote und Schwäne in der Mur, wurden sang- und klanglos ad acta gelegt. Von zwei U-Bahn-Linien, großspurig Metro genannt, ist nicht einmal mehr Nagls Koalitionspartner, die FPÖ, überzeugt. Die Grazer Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen.

Die türkise Politik am Ballhausplatz – Härte in Flüchtlingsfragen, Verhöhnung der Kirche, Kritik an der Justiz – gibt ihm nicht gerade Rückenwind. „Wenn das Christlich-Soziale wegfällt, wird die ÖVP beliebig“, sagt Nagl. Den schwarzen Werbeauftritt habe er bewusst gewählt und Sebastian Kurz zur besseren Einsicht zu seinem 35. Geburtstag entsprechende Lektüre geschenkt.

Fröhlicher als gewohnt sind die Grazer Sozialdemokraten unterwegs. Sie haben ein dickes Programm für drei Perioden erarbeitet, machen Hausbesuche und fahren mit einem knallroten Lastenrad durch die Gegend. Sie wittern einen Aufwärtstrend. Europaweit. Ihren einzigen Regierungssitz haben sie 2017 verloren. Es kann also nur besser werden. „In unseren Genen steckt Gestaltungswille“, sagt Spitzenkandidat Michael Ehmann.

„Unbeschwert von Altlasten“ gibt sich NEOS-Spitzenkandidat Philipp Pointner, von Beruf Dirigent, neu in der Politik. Er träumt von „Alleen durch die Stadt“, spricht davon, „Potenziale zu heben“, und von Bildung, Bildung, Bildung. Die NEOS rechnen mit dem Wiedereinzug in den Gemeinderat. Zusammenarbeiten will Pointner mit allen Parteien. Ausgenommen die FPÖ, die rechte Hetze betreibe, und die KPÖ, die sich nicht genügend von den historischen Verbrechen kommunistischer Regime abgrenze. Auf die Frage, was ihn aktuell an der Politik der KPÖ störe, nennt Pointner ihre EU-feindliche Haltung. Außerdem habe er die Landeschefin der KPÖ in einem teuren Grazer Feinschmecker-Restaurant bei Sekt und Brötchen gesehen.

Graz war immer ein Seismograf für Stimmungen und Brüche, die anderswo erst später sichtbar wurden. Der Kern der Grünen hatte sich schon Ende der 1970er-Jahre in Graz formiert. Graz ist die Stadt der Protestwähler.
Ex-KPÖ-Stadtrat Ernest Kaltenegger, der 2003 die KPÖ auf 21 Prozent pushte, ist noch immer ein bekanntes Gesicht. In einem Café in der Herrengasse wird er von einem rabiaten Impfgegner anagitiert. Kaltenegger hält ruhig dagegen. Überzeugen kann er ihn nicht. „Aber es könnt’ schon sein, dass der uns wählt.“

Nagl hat mit allen Parteien schon einmal koaliert. Die Grazer FPÖ macht es ihm schwer. Sie affichiert hetzerische Plakate gegen Flüchtlinge, kämpft gegen das Schächten (die rituelle Tiertötung bei Juden und Muslimen) und gegen die Corona-Maßnahmen. Eine Mehrheit links der Mitte ist freilich Nagls größte Sorge. Graz ist eben unberechenbar.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling