Causa Ischgl vom Ministerium und Tiroler Behörden "ernst genommen"

Warnungen aus Island verschleppt: Ischgler Hotels in Erklärungsnot

Neue Mails: Infizierte Gäste alarmierten Hotels bereits zwei Tage vor den offiziellen Meldungen aus Island – doch nichts passierte. Ein Protokoll des Tiroler Krisenstabes zeigt zudem: Coronafälle wurden heruntergespielt, Informationen über Infizierte zurückgehalten.

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Von Jakob Winter und Thomas Hoisl

Die Aufarbeitung der Causa Ischgl beschäftigt inzwischen Staatsanwälte, eine Untersuchungskommission und Oppositionspolitiker in Bund und Land. Sie alle fragen sich: Wann waren die ersten positiven Corona-Fälle in Ischgl bekannt? Dafür gibt es vom Land Tirol und vom lokalen Tourismusverband eine gleichlautende Version: Seit einer Warnung der isländischen Behörden am 5. März. Gemeinsame Recherchen von profil und ZIB2 belegen jedoch, dass bereits deutlich früher – nämlich am 3. März – Warnungen bei einem Hotel in Ischgl eingingen. Eine Reiseleiterin informierte den Betrieb über mehrere Personen, die in Island positiv auf Corona getestet worden waren und zuvor in dem Hotel genächtigt hatten: „I will just Iet you know that the two in room no 6 J. and H. (Namen abgekürzt) is now confirmed with a corona virus after returning home. This was confirmed by an epidemielogist here in lceland today“, heißt es in einer Mail, die profil und ZIB2 vorliegt. Außerdem sei auch ein weiterer Isländer – „he was not in our group“ – in einem anderen Apartment positiv getestet worden, schrieb die Reiseleiterin. Auf Nachfrage erklärte die Isländerin noch: „We were notified by the airline on Sunday that there was an infected person on the plane (he was not in our group and we do not know him). This man came from a ski resort in ltaly.“

Die Reaktion des Hotels war – nach allen profil und ZIB2 vorliegenden Informationen – fatal: Eine Mitarbeiterin des Betriebs erkundigte sich bei der Isländerin, wann denn die Symptome bei den Betroffenen begonnen hätten und fragte: „Do we have to take any actions, do you know?“ Die Isländerin konnte das österreichische Epidemiegesetz wohl kaum kennen – demnach hätte das Hotel die Behörden binnen 24 Stunden informieren müssen. Tatsächlich wurde die Mail der Isländerin erst zwei Tage später, am Nachmittag des 5. März, an den Tourismusverband weitergeschickt, von wo es eine Stunde später seinen Weg ins Landhaus fand. Warum alarmierte das Hotel die Behörden nicht schneller? Darauf gab es auf Anfrage von profil und ZIB2 keine Antwort.

Durch die Mails der Reiseleiterin waren dem Land Tirol am 5. März mindestens fünf Namen der infizierten Isländer und deren Zimmernummern bekannt. Dennoch nahmen die Behörden die Warnungen nicht besonders ernst – schlimmer noch: Sie nutzten sie sogar für eine öffentliche Beschwichtigung. Weil die Reiseleiterin in ihrer Mail erwähnte, dass eine infizierte Person aus Italien in dem Flieger war, schickte der Landespressedienst am Abend des 5. März die Info aus: „Isländische Gäste dürften sich bei Heimflug im Flugzeug angesteckt haben.“ Die trügerische Entwarnung ging auch an alle Hotels in Ischgl. Dabei war das Land Tirol zu diesem Zeitpunkt bereits von den isländischen Behörden informiert worden, dass die 14 infizierten Isländer an unterschiedlichen Tagen heimgereist waren, sich also nicht alle im selben Flieger angesteckt haben konnten – und dass mehrere Isländer bereits während ihres Aufenthalts in Ischgl Symptome gezeigt hatten. Der Erste am 26. Februar.

 

Es wirkt fast so, als hätten die Tiroler Behörden damals einfach nicht wahrhaben wollen, dass es in Ischgl zu Ansteckungen gekommen sein könnte. Denn auch den offiziellen Warnungen aus Island wurde kaum Bedeutung beigemessen, wie ein Protokoll des Tiroler Krisenstabs vom Vormittag des 5. März zeigt – es liegt profil und ZIB2 ebenfalls vor.

In der Nacht auf den 5. März landete bekanntlich die erste Warnung aus Island im Gesundheitsministerium, die unverzüglich nach Tirol weitergeschickt wurde. Ein paar Stunden später, um 10 Uhr, traf der Tiroler Krisenstab zusammen. Doch obwohl die isländischen Behörden explizit vor einem „COVID-19 Cluster“ in Ischgl mit mindestens acht positiv getesteten Urlaubsheimkehrern gewarnt hatten, war der Tiroler Krisenstab nicht besonders alarmiert. Im Gegenteil: Der Leiter der Landessanitätsdirektion höchstpersönlich, Franz Katzgraber, beschwichtigte: Die Isländer „wären angeblich positiv getestet worden“, gab er zu Protokoll. Und weiter: „Ob sie wirklich positiv getestet wurden, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.“ Man „wartet noch auf Informationen aus dem Ministerium“.

Im Protokoll ist auch erstmals von einem Corona-positiven Belgier in Seefeld (Bezirk Innsbruck-Land) die Rede. Der Pressesprecher des Landes regte laut Protokoll vom 5. März zu den Warnungen aus Island und zum Belgier an: Es „sollte eher angedacht werden, derzeit nichts zu kommunizieren, sondern erst, wenn man konkrete Anhaltspunkte und Fakten hat“ – der damals bereits evidente Fall des infizierten Belgiers in Seefeld wurde aber in der Folge nie öffentlich kommuniziert. Die Pressestelle des Landes Tirol erklärt auf Anfrage von profil und ZIB2, dass sie „allen voran jene Fälle, die in Tirol positiv getestet werden/wurden“ kommunizierte – was bei dem Belgier offensichtlich nicht der Fall war.

Folgt man dem Protokoll des Krisenstabes, dürften die Kontaktpersonen des Belgiers nicht unbedingt mit Verve verfolgt worden sein: Lediglich das Reinigungspersonal oder die Rezeptionisten kämen als Kontaktpersonen in Frage, andere Hotelgäste nicht. Laut Land Tirol wären für das Contact tracing nicht alle „erforderlichen Informationen vorgelegen.“

Ähnlich hatte sich das Land zuvor beim nicht erfolgten Contact tracing der Isländer gerechtfertigt. Mit den, von profil und ZIB2 vorgelegten Aktenstücken (Mails und Protokolle) konfrontiert, erklärte das Land Tirol abermals, dass allen Hinweisen nachgegangen worden sei.