Was bedeutet die Kürzung der Entwicklungshilfe?

Dietmar Schreiner, Vorstandsvorsitzender der AG Globale Verantwortung, im Interview

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profil: Sie haben den Rückgang der österreichischen Entwicklungshilfe auf 0,3% des Bruttonationaleinkommens (BNE) kürzlich als "tragisch" bezeichnet. Was meinen Sie damit? Dietmar Schreiner: Der Absturz von den beschämend geringen 0,42% des BNE im Jahr 2016 auf 0,3% des BNE 2017 bedeutet eine tragische Entwicklung bei der Bekämpfung von Armut, Hunger und den Folgen der Klimakatastrophe. Wenn man bedenkt, dass die österreichische Bundesregierung von diesem niedrigen Niveau aus weitere Kürzungen im Doppelbudget 2018/2019 vorsieht, ist das nicht mehr zu erklären. Das ist auch das genaue Gegenteil der oftmals beschworenen Stärkung der Hilfe vor Ort. Wer eine gute Zukunft für Österreich will, muss die Welt im Blick haben. Wir haben daher einen Zukunftspakt mit Afrika vorgeschlagen, der durch eine Entwicklungsmilliarde ausgestattet sein muss und eine neue Handelspolitik fordert.

profil: Österreich ist seit Jahren vom UNO-Ziel (0,7% des BNE) entfernt. Wie bewerten Sie die Entwicklungspolitik der schwarz-blauen Regierung im Vergleich zu früheren Regierungen? Schreiner: Ich möchte vorausschicken, dass auch Vorgängerregierungen ihren selbst auferlegten Ansprüchen nicht gerecht wurden. Hier gab es auch stets das Bekenntnis zur Erreichung des 0,7%-Ziels, ein Plan zur Erreichung dieses Ziels fehlt aber bis heute. In Anbetracht der Vehemenz, mit der aber der jetzige Bundeskanzler Kurz im Wahlkampf für eine Erhöhung der Hilfe vor Ort aufgetreten ist und dem Bekenntnis zu einer stärkeren Hilfe vor Ort im Regierungsprogramm, ist die aktuelle Entwicklung eine Enttäuschung. Statt der Erhöhungen kommt es 2018 und 2019 zu Kürzungen, insbesondere beim Auslandskatastrophenfonds. Es reicht auch nicht, diese Kürzungen mit einer restriktiven Budgetpolitik zu rechtfertigen. Die Regierung will ja beim System und nicht bei den Menschen sparen. Wie zynisch ist es dann, genau bei den Ärmsten zu sparen? Ein Bekenntnis zu den 0,7% reicht also alleine nicht aus. Es braucht jetzt einen verbindlichen Stufenplan zur Erreichung dieses Ziels. Derzeit bewegen wir uns nämlich von diesem Ziel immer weiter weg. 2022 wird von der Bundesregierung ein Anteil von 0,24 % des Bruttonationaleinkommens prognostiziert. Wir müssen endlich die oft angekündigte Trendwende schaffen.

Dietmar Schreiner: "Österreich ist somit selbst das größte Empfängerland seiner eigenen Entwicklungshilfe."

profil: Wie stark müsste der Auslandskatastrophenfonds erhöht werden, damit Österreich einen angemessenen Anteil an Hilfe vor Ort (Syrien und Umgebung) leistet? Schreiner: Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Erhöhung auf die von der ÖVP im Wahlkampf versprochenen 60 Millionen Euro jährlich. Dies müsste angesichts des enormen Bedarfs sofort geschehen. 130 Millionen Menschen sind derzeit laut UNO auf Humanitäre Hilfe angewiesen. Syrien und dessen Nachbarländer sind dabei nur ein Schauplatz unter vielen. Der Auslandskatastrophenfonds ist zudem nur ein Teil der Humanitären Hilfe, bei der Österreich enormen Aufholbedarf hat. Dänemark gab 2017 beispielsweise pro Kopf fast das Zehnfache von Österreich aus, Schweden fast das Siebenfache.

profil: Welche Hilfe hilft wirklich, damit Flüchtlinge in der Region eine Bleibeperspektive haben und welche Mittel kommen nicht an? Haben Sie Beispiele? Schreiner: Eine Bleibeperspektive wird in erster Linie durch politische Lösungen geschaffen. Wo Krieg herrscht oder wo schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden, werden Menschen fliehen. Um Fluchtursachen zu bekämpfen, braucht es vor allem politische Lösungen. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) kann hier einen Beitrag leisten. Denn dort, wo ein menschenwürdiges Leben, soziale und politische Sicherheit gewährleistet sind, müssen sich weniger Menschen auf den Weg machen und Migration wird zu einer Möglichkeit unter vielen und nicht zu einer Notwendigkeit.

Es geht um ein Zusammenspiel von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Aspekten.

profil: Können Sie uns ein konkretes Projekt einer gelungenen Entwicklungspolitik skizzieren? Schreiner: Ein Projekt einer österreichischen entwicklungspolitischen NGO zur Frauenförderung wurde vor einiger Zeit wissenschaftlich untersucht. Es kam zu dem Ergebnis, dass pro investierten Euro ein gesamtgesellschaftlicher Wert von über 26 Euro erzielt werden konnte (die im Projekt investierten 126.000 Euro erzeugten eine Wirkung von 3,4 Mio. Euro). Somit wurden die kleinräumige Landwirtschaft sowie sanitäre Verbesserungen in Äthiopien bestmöglich und effektiv unterstützt. Diese Projekte zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sie mit lokalen Projektpartnern zusammenarbeiten und die Bevölkerung vor Ort von der Planung bis zur Durchführung einbinden. Eine Einhaltung und Stärkung der Menschenrechte, ein Fokus auf benachteiligte Personen und Gruppen, die Stärkung von Frauen- und Kinderrechten aber auch der Geschlechtergerechtigkeit sind weitere Kennzeichen eines gelungenen Projekts.

profil: In welche Richtung müsste sich die EZA Ihrer Ansicht nach entwickeln? Schreiner: Es geht um ein Zusammenspiel von sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Aspekten. Dieser ganzheitliche Ansatz ist neben der Universalität der zentrale Paradigmenwechsel, der mit der von der UNO beschlossenen Agenda 2030 inklusive der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung zum Ausdruck kommt. Sie sind der Schlüssel zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt, der ein gutes Leben für alle möglich macht. Zur Erreichung dieser Ziele braucht es aber eine konkrete Strategie und eine ausreichende Finanzierung. Beides fehlt leider in Österreich.

Die eine Hand nimmt, die andere gibt.

profil: Laut dem Concord AidWatch Report 2017 ist Österreich im Jahr 2016 mit 45% hinter Spanien EU-Spitzenreiter bei "Phantomhilfe", jenen Geldern, die tatsächlich vor Ort ankommen. Warum? Und was bedeutet das? Schreiner: Um die Vergleichbarkeit über mehrere Jahre zwischen verschiedenen Ländern zu gewährleisten, erstellen wir gemeinsam mit CONCORD jährlich den AidWatch Report. Als Phantomhilfe bezeichnen wir jene Mittel, die zwar laut OECD offiziell als Entwicklungszusammenarbeit ausgewiesen werden dürfen, aus unserer Sicht aber keinen entwicklungspolitischen Mehrwert haben. Der größte Teil dieser Phantomhilfe entfällt in Österreich im Jahr 2016 auf die Einberechnung der Kosten für die Betreuung von Flüchtlingen im Inland, damals machten sie 540 Millionen aus. Rechnet man weitere Beiträge wie beispielsweise indirekte Studienplatzkosten oder Entschuldungsmaßnahmen hinzu, kommt man 2016 auf 45 % der gesamten geleisteten Entwicklungsgelder, die als Phantomhilfe bezeichnet werden können. Geld, das in Entwicklungsländern nie ankommt. Österreich ist somit selbst das größte Empfängerland seiner eigenen Entwicklungshilfe.

profil: Was sind die größten Herausforderungen der Entwicklungshilfe in naher Zukunft? Schreiner: Ich sehe in der nahen Zukunft zwei zentrale Herausforderungen: Zum einen die bereits angesprochene budgetäre Absicherung, damit die Projekte in den Partnerländern auch weiterhin erfolgreich abgewickelt werden können und noch weiter ausgebaut werden können. Auf der anderen Seite sollten wir die Entwicklungszusammenarbeit nicht länger isoliert betrachten, ohne die Auswirkungen anderer Politikfelder mit einzubeziehen. Damit wir noch bessere Ergebnisse erzielen, braucht es auch Anstrengungen in anderen Politikbereichen. Ich denke hier etwa an die Agrarpolitik, die Handelspolitik, die Steuerpolitik oder die Rohstoffpolitik. Wir müssen hier Rahmenbedingungen schaffen, die die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit unterstützen oder zumindest diese nicht behindern. Solange beispielsweise die EU durch die subventionierte Landwirtschaft billiges Milchpulver in Entwicklungsländer exportiert und den Aufbau lokaler Märkte vor Ort behindert, konterkariert dies die Unterstützung dieser lokalen Märkte durch die Entwicklungszusammenarbeit. Vereinfacht gesagt: Die eine Hand nimmt, die andere gibt.

Zur Person: Dietmar Schreiner ist seit Februar 2018 Vorstandsvorsitzender der AG Globale Verantwortung, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Organisationen mit derzeit 35 Mitgliedsorganisationen. Seit 1984 ist er Geschäftsführer von Welthauses Graz, der entwicklungspolitischen Einrichtung der Diözese Graz-Seckau.