Herbert Kickl und Alice Weidel

Weidel-Besuch bei Kickl: Wie FPÖ und AfD an die Macht wollen

Die FPÖ kämpft mit der AfD gegen die Eliten, obwohl sie selbst dazugehört. So lief der Besuch der AfD-Chefin in Wien ab.

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Die FPÖ ist längst im Wahlkampfmodus. So beginnt die gemeinsame Pressekonferenz von Herbert Kickl und Alice Weidel von der deutschen Schwesterpartei AfD mit Attacken gegen den Verfassungsschutz und einer Warnung vor dem so genannten deep state (einem “tiefen Staat”, wie Kickl das nennt). Denn in Österreich, so Kickls Analyse, hätten die regierenden Parteien längst ein System entwickelt, das nicht die Bürgerinnen und Bürger schütze, sondern die etablierten Parteien und ihre “Systeme”. Die zwei echten Verfassungsschützer, so Kickl weiters, “sitzen hier auf diesem Pult”, die ausrücken, um die Bürger vor „totalitären Übergriffen“ zu schützen. Den deutschen Verfassungsschutz, der die AfD beobachtet, kritisieren Kickl und Weidel als demokratiefeindlich. Der österreichische Partnerdienst, der ein vielkritisiertes Video der FPÖ-Jugend prüfen will, kam nicht viel besser weg.

Was Kickl nicht erwähnte: Als Innenminister der Jahre 2017 bis 2019 hatten er und sein engeres Umfeld maßgeblichen Anteil an der Schwächung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Die Razzia und das anschließende Ermittlungsverfahren brachten zwar nichts ein, sorgten aber für einen nachhaltigen Reputationsverlust des Dienstes, der inzwischen zur Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) umgebaut wurde.

 

Dass aus Kickls Zeit als Innenminister hauptsächlich Symbolpolitik wie die Idee einer Reiterstaffel für die Polizei übriggeblieben ist, stört den “Volkskanzler” in spe derweil nicht – ebenso wenig wie seine Fans. Hinzu kommt, dass die FPÖ in Österreich nach dem Ibiza-Skandal und dem Ende von Türkis-Blau unter Kanzler Sebastian Kurz bereits wieder in drei Bundesländern (Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg) mit der ÖVP mitregiert. Einige Topjobs der Republik sind noch aus Zeiten der letzten Regierungsbeteiligung mit blauen Vertrauensleuten besetzt, etwa die Spitze der Österreichischen Nationalbank (ÖNB). Damit gehören die Freiheitlichen technisch gesehen selbst zur Elite. Auch das wurde bei der Pressekonferenz nicht erwähnt.

Geladen hat zum gemeinsamen “Schulterschluss” ein sichtlich in sich ruhender FPÖ-Bundesparteiobmann (er hatte die Bundestagsfraktion der AfD bereits 2020 besucht). Immerhin kann die FPÖ, ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen, auf ein seit Monaten anhaltendes Umfragehoch blicken. Laut der aktuellen Sonntagsfrage, die von profil vergangenen Samstag publiziert wurde, kommen die Freiheitlichen aktuell auf 32 Prozent (ein Plus von zwei Prozentpunkten im Vergleich zum Juni) und liegen klar vor der Kanzlerpartei ÖVP von Karl Nehammer (24 Prozent) auf Platz eins. Jetzt gilt es, sich Unterstützung von den Parteifreunden aus Deutschland zu holen und die Gemeinsamkeiten zu unterstreichen.

Große Inszenierung kann die FPÖ – auch wenn es sich nur um eine Pressekonferenz in den Räumlichkeiten ihres Wiener Medienzentrums handelt. Denn Alice Weidel, AfD-Fraktionsvorsitzende und Bundessprecherin, hatte ihren Besuch angekündigt (für Kickl “die einzige Alternative für Deutschland”). Übertragen wurde die gemeinsame Pressekonferenz (Titel: „Gemeinsamer Kampf für Freiheit, Heimat und Demokratie – Gegen die gesellschaftszersetzende Elitenpolitik”) auch über den offiziellen YouTube-Kanal der Partei. 196.000 Abonnentinnen und Abonnenten hat “FPÖ TV”; und schon vor dem Start tummelten sich im Chat gleichermaßen Weidel- und Kickl-Fans (“ein Traumpaar Alice und Herbert”) aus Österreich und Deutschland, die nicht mit blauen Herzchen-Emojis geizen. Zu Spitzenzeiten waren um die 5000 Zuschauer bei der einstündigen Übertragung live dabei. Gegenwind kam dabei herzlich wenig. Gerade ein vereinzeltes “SPÖ Forever” eines Users verirrte sich in den öffentlichen Chatverlauf. 

 

Auch Alice Weidel genießt die Aufmerksamkeit, die ihr in Österreich zuteilwird. Immerhin, so die AfD-Bundessprecherin, sei ihre Partei der FPÖ in großer Freundschaft verbunden. Und sie bringt drei große Themen für Deutschland, aber auch für die Europäische Union aufs Tapet: Asylzahlen, Klima und Genderpolitik. Denn in der Asylpolitik führe die Ampel-Koalition, so Weidel, die Ära von Angela Merkel nach ihrem “Willkommens-Putsch” weiter, während in Deutschland ein Heizungsgesetz verabschiedet wurde, das die Bürgerinnen und Bürger enteigne, während man die sicheren Atomkraftwerke abschalte (Weidel nennt es “Heizungs-Massaker-Gesetz”) und den “Exportschlager Verbrennungsmotor” gegen eine Elektroauto-Industrie austauschen möchte. Die AfD, so Weidel, gehöre in die Regierung. 

Szenenwechsel in das Wiener Hotel Intercontinental beim Stadtpark. Weidel hielt auf Einladung des Freiheitlichen Parlamentsklubs einen Vortrag zum Thema “Die deutsche ‘Ampel’” als abschreckendes Beispiel für Österreich". Journalisten waren bei dem Abendtermin nicht zugelassen – immerhin gäbe es auch hier einen Live-Stream des FPÖ-Fernsehens, ließ der Parlamentsklub auf Anfrage wissen. Herbert Kickl hatte Weidel für ihr Referat den Ball bereits bei der gemeinsamen Pressekonferenz aufgelegt. Denn für Kickl sei neben allen Problemen (Neutralität, Asyl, “Normal”-Debatte, “Öko-Kommunismus”) der große Unterschied, dass in Österreich noch keine Ampel-Regierung an der Macht sei – und er werde alles tun, so sein Versprechen, um das zu verhindern. 

Kurz nach 19 Uhr, mit leichter Verspätung (“Verdammt, Pünktlichkeit war auch mal eine Tugend”, schrieb ein User im Chat), begann dann Weidels Vortrag “Live aus Wien”. Während die AfD-Bundessprecherin noch mit lang anhaltendem Applaus vom geladenen Publikum begrüßt wurde, hielt sich das Interesse im YouTube-Stream zurück. Gerade mal rund 3000 Interessierte schalteten am Beginn zu, gegen Ende 5000 Interessierte, während FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst den Abend mit einem geschichtlichen Abriss der gemeinsamen Berührungspunkte in der Geschichte einleitete. Das gemeinsame Motto, mit Blick auf die Wahlen 2024: “Zukunft braucht Herkunft.” Denn, so Fürst, über Deutschland, “das ehemalige Wirtschaftswunderland”, wundere sich mittlerweile die ganze Welt – und lasse sie immer wieder schlecht schlafen.

 

“Ich bin hier, um unsere Freundschaft zu stärken”, sagte Weidel zu Beginn ihres Vortrags und um für die Wahlen im nächsten Jahr “ganz fest die Daumen zu drücken”. Denn immerhin erhoffe sich die AfD, dass am Ende des nächsten Jahres ein Kanzler Kickl in Österreich regiert. Und auch Norbert Hofer, der in der ersten Reihe neben Volksanwalt Walter Rosenkranz saß, wünschte die 44-Jährige bereits alles Gute für die nächste Bundespräsidentenwahl (und outete sich als Fan seiner rhetorischen Fähigkeiten).

Eigentlich, so Weidel, würde sie an diesem Wiener Abend lieber über erfreulichere Dinge reden, aber sie müsse über die “multiplen Krisen” in Deutschland sprechen, wetterte, wie bereits in der Pressekonferenz, über die Asylpolitik der Regierung, das neue Einbürgerungsgesetz, über das Erbe der “ersten grünen Bundeskanzlerin” Angela Merkel (Szenenapplaus und Lachen aus dem Publikum) – und spricht von einem Austausch der Bevölkerung, mit der die Ampel künftige Wahlen beeinflussen möchte. Weitere Themen: Genderwahnsinn (“Fühle ich mich heute als Hund?”), Enteignung der Bevölkerung, Habeck-Gesetze, Kiffer-Koalition – und wiederholte teilweise Wort für Wort ihre Kalauer vom Vormittag. Zusammengefasst: “Deutschland ist keine Lokomotive mehr” – und Österreich dürfe nicht dasselbe Schicksal ereilen. 

Die Frage, wie sich die europäische Rechte (neben FPÖ und AfD u.a. auch Fidesz, Lega und PiS) auf die Europawahlen im Juni 2024 vorbereiten und vernetzen würden, blieb Weidel (und auch Kickl) derweil schuldig. Man wolle sich im November mit den europäischen Partnerparteien informell treffen, ließ Weidel noch wissen. 

Ein zentrales Thema der österreichischen Innenpolitik wurde derweil schon gegen Ende der Pressekonferenz geklärt. Auf die Frage, ob beim Wien-Besuch von Weidel auch der Verzehr eines Wiener Schnitzels auf dem Programm stünde, bejahte Kickl. Er sei froh, so der Parteichef launig in Richtung der Medienvertreter, dass sie noch ein Schnitzel essen dürfen, ohne in die Illegalität zu rutschen. 

 

 

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.