Werner Vogt, 1938 bis 2023
Nachruf

Werner Vogt: Arzt, Intellektueller, Aufdecker von NS-Verbrechen

Der Jurist und Autor Oliver Scheiber erinnert an den Unfallchirurgen und unbeugsamen Streiter für Gerechtigkeit und Menschlichkeit, Werner Vogt, 1938 bis 2023.

Drucken

Schriftgröße

Manche Menschen hinterlassen eine Lücke, die sich nicht schließen lässt. Werner Vogt zählt zu ihnen. Der Wiener Arzt, der viel Lebenslust in sich trug, fand gleichzeitig, dass es in dieser Welt sehr viel zu verbessern gibt. Zu diesen Verbesserungen hat er mehr beigetragen, als in einem Leben normalerweise zu schaffen ist. 

Als seine bedeutendste Leistung wird der Nachwelt, wohl zu Recht, die Enttarnung des NS-Arztes Heinrich Gross in den 1970er-Jahren in Erinnerung bleiben. Gross hatte als Arzt an den massenhaften Morden an Kindern und psychisch Kranken in der NS-Zeit in Wien mitgewirkt, war nichtsdestotrotz nach 1945 zum Primararzt und zum meistbeschäftigten Gerichtssachverständigen Österreichs aufgestiegen. 

Vogt thematisierte diese ungeheuerliche Tatsache 1979 öffentlichkeitswirksam, als er bei einem Kongress in Salzburg Gross aufgeforderte, nicht über die „Tötungsdelikte psychisch Kranker“, sondern besser über „Tötungsdelikten an psychisch Kranken“ zu referieren. Der darob entstandene Skandal mündete Jahre später in die überfällige Mordanklage gegen Heinrich Gross und führte dazu, dass Friedrich Zawrel, eines seiner Opfer – viel zu spät - aus dem Gefängnis entlassen wurde. 

Überfällige Mordanklage 

Unsere gemeinsame Bekanntschaft zu Friedrich Zawrel führte mich vor rund zwanzig Jahren mit Werner Vogt zusammen. Ich habe unserer ersten Begegnung mit Ehrfurcht entgegengesehen – und einen der im persönlichen Umgang liebenswertesten und umsichtigsten, ja zärtlichsten Menschen kennengelernt, die mir begegnet sind. Besonders intensiv wurde unser Kontakt, Friedrich Zawrel 2014 schwer erkrankte. Ich werde das Bild nie vergessen: Zawrel rief mich zu sich. Vogt saß am Krankenbett, hielt die Hand unseres gemeinsames Freundes und streichelte sie. 

Einige Wochen später bereiteten wir das Begräbnis Zawrels vor. Werner Vogt und ich verbrachten Stunden mit dem Auswählen eines angemessenen Grabsteins und der Inschrift. Am 3. März 2015 hatten wir einen Termin in der Feuerhalle Simmering, außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Wir betraten die Halle durch einen Hintereingang, stießen dort auf Särge, in denen die Wiener Spitäler amputierte Gliedmaßen sammeln, die dann verbrannt werden. In der Minute mutierte Vogt zum Arzt, erzählte zu den Gliedmaßen passende Arztgeschichten, von seiner Kompetenz und seinem Humor getragen. 

 

Seine Stimme, einmal gehört, bleibt in Erinnerung.

Oliver Scheiber, Richter und Publizist

Vogt war über mehrere Jahrzehnte hinweg eine laute Stimme im öffentlichen Diskurs Österreichs. Maßgeblich war sein Anteil daran, dass in den 1970er- und 1980er-Jahren das Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus gebrochen wurde und die Aufarbeitung der Rolle Österreichs in der dunklen Zeit spät, aber doch beginnen konnte. Vergangenen Samstag, am 11. November, ist Vogt im Alter von 85 Jahren verstorben.

„Mein Arztroman. Ein Lebensbericht“ heißt seine lesenswerte Autobiographie. Zu seiner ärztlichen Berufung fand Vogt über Umwege. 1938 in Tirol geboren absolvierte er zunächst die Lehrerausbildung und unterrichtete 1957 und 1958 in Vorarlberg. Von 1959 bis 1969 studierte er schließlich Medizin in Wien und begann 1969 als Facharzt für Unfallchirurgie am Lorenz Böhler Krankenhaus der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Wien. 

Ein Mann mit vielen Begabungen

Er war lange Ärztesprecher des Spitals, dem er bis zu seiner Pensionierung treu blieb, und kämpfte mehrfach um seinen Erhalt und seine Unabhängigkeit, Seite an Seite mit seinem Freund und Spitalschef Primarius Johannes Poigenfürst. Denn Vogt war zwar als Persönlichkeit stark, doch arbeitete er stets im Team, was vielleicht auch seiner Geselligkeit und seiner Lust am Gespräch und seiner Neugierde geschuldet war. Obwohl die Themen, derer er sich widmete, meist ernst waren, sprühte die Zusammenarbeit mit ihm vor Lebensfreude, Optimismus und Humor. Seine Stimme, einmal gehört, bleibt in Erinnerung.

Sein Lächeln war oft schelmisch. Und doch, in Konflikten wollte man ihn nicht zum Gegner haben. 

Oliver Scheiber, Richter und Publizist

Werner Vogt war ein Mann mit vielen Begabungen. Seine größte war wohl seine Sprachgewalt. Seine schriftlichen Formulierungen gerieten präzise und messerscharf, seine Argumentationen war von größter Schlüssigkeit, in der mündlichen Diskussion verfügte Vogt über ein eseltene Verbindung von Intellekt, Schlagfertigkeit und Humor. Sein Lächeln war oft schelmisch. Und doch, in Konflikten wollte man ihn nicht zum Gegner haben. 

Davon gab es wahrlich genug. Konflikte sind nötig, um die Dinge weiterzuentwickeln und die Welt besser zu machen, formulierte es Vogt sinngemäß in einem Interview. Der Zorn über Missstände und die schlechten Lebensverhältnisse vieler Menschen trieb ihn an. Schon früh trat Vogt im gesellschaftspolitischen Diskurs in Erscheinung. 1975 gründete er gemeinsam mit Kolleginnen und Kollgen die Arbeitsgemeinschaft „Kritische Medizin“, die nicht nur unermüdlich Missstände aufzeigte, sondern auch Lösungen vorschlug. Das vor allem zeichnete Vogt aus: Er wies immer Wege, es besser zu machen, und bot dabei seine Unterstützung an. 

Der Zorn trieb ihn an

Werner Vogt war im besten Sinn des Wortes querköpfig. Wo er Unrecht erkannte, meldete er sich zu Wort. Er dockte zwar öfter an Organisationen, am CV (Cartellverband) in seiner Jugend, später an die SPÖ und die Grünen. Die Zusammenarbeit zerbrach auf jedes Mal, wenn man ihn in faule Kompromisse zwingen oder seine Unabhängigkeit unterlaufen wollte. Nicht selten rief man ihn in der Not zu Hilfe; etwa nach dem großen Wiener Pflegeskandal im Altenheim Lainz. 2003 bestellte ihn die Wiener Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann in einem geschickten Schachzug zum Wiener Pflegeobmann. 

Werner Vogt war im besten Sinn des Wortes querköpfig. Wo er Unrecht erkannte, meldete er sich zu Wort. 

Oliver Scheiber, Richter und Publizist

 

Werner Vogts Schwerpunkt lag in Österreich, doch engagierte er sich auch in internationalen Hilfsprojekten: ab 1981 in der medizinischen Unterstützung Nicaraguas, nach den politischen Umbrüchen 1989 im rumänischen Temesvar, anschließend im kriegsgebeutelten Kosovo.

Werner Vogt war ein starker Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens und gleichzeitig eine Stimme der Zivilgesellschaft. Eng verbunden bleibt sein Name mit dem Sozialstaat-Volksbegehren, das er mitinitiierte und im Jahr 2000 von mehr als 700.000 Menschen unterzeichnet wurde. Wie kraftvoll die Rolle Vogts im Diskurs der 1970er- und 1980er-Jahre war, ist heute kaum noch vorstellbar. Die Republik würdigte Vogts vielfache Verdienste. Im Juli 2015 regte ein Personenkreis die Würdigung Vogts an; am 17. November desselben Jahres überreichte der damalige ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter ihm das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. 

Werner Vogt war ein Gigant, eine Naturgewalt im Dienste der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, etwas, das es heute vielleicht noch dringender bräuchte als damals.

 

Zum Nachlesen:

Einatmen – Ausatmen: Der Mißstand als Norm, Europaverlag Wien 1991.

Reise in die Welt der Altenpflege: Ein kritisches Tagebuch, Edition Steinbauer, Wien 2005.

Mein Arztroman. Ein Lebensbericht, Edition Steinbauer, Wien 2013.

Österreichische Mediathek: Werner Vogt – der Fall Gross und andere Aufarbeitungen

https://www.mediathek.at/oesterreich-am-wort/suche/treffer/?pool=BWEB&uid=15859EEC-26C-000B8-00001300-1584DEB6&cHash=85ed1237a08fa72671d8355e2d1e3de5

 

Oliver Scheiber

Oliver Scheiber

ist Richter und Publizist