Wie die SPÖ ausgerechnet unter Andreas Babler ihren Frieden findet
In Wien wurde Bürgermeister Michael Ludwig klar bestätigt, im Bund regiert Vizekanzler Andreas Babler solide mit. Der ewige Flügelkampf scheint Geschichte. Wie hat die Partei das geschafft?
Bis zum 1. Mai war Martin Winkler noch in Wien-Hernals gemeldet und damit bei der Wien-Wahl stimmberechtigt. So ging sich sogar noch ein Kreuzerl für Genossen Michael Ludwig aus, ehe Winkler am 2. Mai offiziell zum Linzer wurde.
Martin Winkler ist in Oberösterreich weder Landesrat noch SPÖ-Chef, und doch kam ihm vergangene Woche bereits eine der wichtigsten Aufgaben eines Landespolitikers zu: der Spatenstich. Weil der amtierende Landesrat und die Landtagsabgeordnete aus dem Bezirk verhindert waren, durfte der Mann ohne Funktion und Wohnsitz den Baubeginn für das neue Feuerwehrhaus in Vöcklabruck zelebrieren. Das Beweisfoto zeigt Martin Winkler hinter einem großen Erdhaufen und neben dem mächtigsten Politiker des Bundeslandes, Landeshauptmann Thomas Stelzer, ÖVP. Es war das erste Mal, dass die beiden aufeinandertrafen, in Zukunft wird es sich oft wiederholen. Denn Martin Winkler kandidiert für den Vorsitz der SPÖ Oberösterreich.
Von Gernot Bauer,
Iris Bonavida,
Daniela Breščaković,
Nina Brnada und
Max Miller
Wer den Namen „Winkler“ bereits kannte und zusätzlich weiß, wer in Tirol und Salzburg die SPÖ-Landesparteien regiert, dem gebührt die Viktor-Adler-Plakette. Denn fünf von neun Landesorganisationen waren und sind gerade dabei, sich personell und inhaltlich neu aufzustellen. Sogar in Kärnten sucht eine Fixgröße, Langzeit-Landeshauptmann Peter Kaiser, eine Nachfolge.
Doskozil-Lager hat sich pulverisiert
Im Vergleich dazu wirkt die Bundespartei neuerdings wie ein Hort der Stabilität: Vizekanzler Andreas Babler regiert mit seinem Team geräuschlos mit. Im roten Machtzentrum Wien wurde Bürgermeister Michael Ludwig bei der Wien-Wahl klar bestätigt. Die ewigen Störfeuer aus den restlichen Bundesländern, oft initiiert vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, bleiben aus. Die Kritiker der Parteilinie oder von Parteichef Babler sind ruhig geworden oder haben sich von der Partei verabschiedet – wie die früheren Doskozil-Mitstreiter David Egger-Kranzinger in Salzburg oder Georg Dornauer in Tirol. Auch der jüngst ausgeschiedene Chef der oberösterreichischen Landespartei, Michael Lindner, war eher im Team Doskozil. Übrig bleibt Max Lercher, der im Dezember die steirische Landespartei übernahm.
Haben die Flügelkämpfe in der SPÖ, die mit dem Ausbuhen von Bundeskanzler Werner Faymann am 1. Mai 2016 begannen, tatsächlich „ihr Ende gefunden“, wie es ein Funktionär einer großen Landesorganisation formuliert?
Vieles spricht dafür. Denn mit der Rückkehr der SPÖ in die Bundesregierung wurde die Frage obsolet, die eine Pamela Rendi-Wagner oder auch einen Andreas Babler von Amtsantritt an begleitete: Können sie die Partei wieder zurück zur Regierungsmacht führen? Babler fuhr bei der Nationalratswahl 2024 mit 21 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis ein, sitzt jetzt aber als Vizekanzler fest im Sattel.
„Wenn ich wetten müsste, dann darauf, dass Babler auch Spitzenkandidat bei der nächsten Wahl sein wird. Einen Vizekanzler bekommt man schwerer weg als einen Oppositionspolitiker. Und ich sehe niemanden, der die Kraft für eine Palastrevolution hätte“, sagt einer, der die roten Flügelkämpfe der vergangenen neun Jahre an vorderster Front miterlebt hat und Doskozil unterstützte.
Bablers Team ist seine wichtigste Stütze
Hört man in die Partei hinein, gibt es zwei Schachzüge von Babler, die sowohl seinen Fans als auch Gegnern Respekt abringen: Wie er gegen den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig Markus Marterbauer als Finanzminister duchboxte – Ludwig wollte seinen Finanzstadtrat Peter Hanke in dieser Schlüsselposition sehen. Und wie er seinen Widersacher aus dem Doskozil-Lager, den niederösterreichischen SPÖ-Chef Sven Hergovich, als Infrastrukturminister verhinderte – ihn wollte die einflussreichste SPÖ-Politikerin und Ludwig-Vertraute Doris Bures in dieses Amt hieven. Einen Machtpoker gegen Ludwig und Bures müsse man erst einmal gewinnen, wird Babler konzediert.
Als Zugeständnis an Niederösterreich und die Steiermark machte der SPÖ-Chef die frühere Landesrätin Königsberger-Ludwig und den früheren Verkehrsminister Jörg Leichtfried zu Staatssekretären. Die Wiener bekamen Hanke als Infrastrukturminister, die Gewerkschaft Korinna Schumann. Und im Schlüsselressort Finanz, auf das auch Wien angewiesen ist, sitzt Bablers Erfindung: Markus Marterbauer.
Aus Linz werden in Zukunft, sollte Winkler bei der Basisabstimmung gewählt werden, keine Querschüsse kommen. Mit Marterbauer ist er befreundet, aus Oberösterreich gebe es in der Regierung „super Talente“ wie Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner, so Winkler. Prinzipiell hat er sich vorgenommen, nicht „der Balkonmuppet aus Oberösterreich zu sein, der die ganze Bundespolitik kommentiert“, sondern sich auf sein Bundesland zu konzentrieren. Zwar regiert in Oberösterreich eine schwarz-blaue Koalition, aber dank des Proporzsystems ist auch die SPÖ in der Landesregierung vertreten.
Um den Wohlstand im Industrieland zu erhalten, will Landesrat Winkler auf günstige Energie durch Wind- und Wasserkraft, bessere Straßen- und Bahninfrastruktur und den Wissenschafts- und Forschungsstandort setzen. Das alles mit der sozialdemokratischen Erzählung, dass es allen im Land dadurch besser gehen wird. Den Kampf um frühere rote und jetzt blaue Stimmen gibt er nicht auf. „Wir haben uns in der Vergangenheit mit kulturellen Themen beschäftigt, die eher akademisch interessieren. Aber die Arbeiterinnen und Arbeiter brauchen Perspektiven, wie es mit ihren Kindern und Enkelkindern weitergeht.“
Gordischer Migrationsknoten gelöst?
Der fast zehn Jahre andauernde Flügelkampf in der Sozialdemokratie geschah thematisch nicht im luftleeren Raum, sondern wurde stark von der Gretchenfrage getragen: Wie hältst du’s mit der Zuwanderung? Die Anführer des rechten Lagers waren überzeugt, dass Mehrheiten außerhalb Wiens nur mit einer Law-and-Order-Politik zu holen sind. In Wien hingegen wollte man urbane Wählerschichten nicht vergraulen und an die Grünen verlieren, indem man klinge wie FPÖ und ÖVP.
PK SPÖ OBERÖSTERREICH "MARTIN WINKLER - MEHR ENERGIE FÜR OBERÖSTERREICH": WINKLER
Martin Winkler, 61,
bewirbt sich für den Vorsitz der oberösterreichischen SPÖ. In der Landespartei ist eine Urabstimmung vorgesehen, sie findet vom 28. Mai bis 16. Juni statt. Eine Kampfkandidatur zeichnet sich nicht ab.
Als Teil der Dreierkoalition schwenkte nun aber auch Andreas Babler – als Bürgermeister von Traiskirchen einst glühender Verfechter der Willkommenskultur – in Richtung Law and Order. Das zeigt ein Blick ins Regierungsprogramm: mehr Pflichten bei der Integration, Kopftuchverbot bis 14 Jahre, Stopp des Familiennachzugs. Dass die Babler-SPÖ auf diesem Kurs bleibt, darauf wird nicht zuletzt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig drängen. So forderte er im profil-Interview eine Residenzpflicht im ersten Bundesland, damit nicht alle Asylwerber nach Wien gehen. Und er ist bereit, die Sozialhilfe zu „harmonisieren“, sprich: auch in Wien zu kürzen.
„In der Vergangenheit haben wir bei dem Thema herummäandert“, sagt Martin Winkler. „Aber wir waren ja nie dafür, alle zu uns hereinzulassen. Wir werden auch das Kopftuch in Oberösterreich nicht verteidigen. Was uns aber von der FPÖ bei dem Thema unterscheidet, ist, dass wir die Menschen, die da sind, anständig behandeln wollen.“
BURGENLAND: HINTERGRUNDGESPRÄCH MIT LH DOSKOZIL (SPÖ)
Sind Babler, Ludwig oder auch Winkler nach rechts gerückt? Haben sie sich an die nach rechts gerückte öffentliche Meinung angepasst? Für Bablers Gegner, die ihm gerne Naivität in Migrationsfragen vorwarfen, hat sich die Angriffsfläche durch dessen neuen Pragmatismus jedenfalls deutlich verkleinert. Und das wird so bleiben.
Auch Max Lercher, der wohl engste Mitstreiter Doskozils, findet es positiv, dass im Regierungsprogramm einige „restriktive Punkte“ im Migrationsbereich zu finden sind. Mehr will er zum Bund nicht kommentieren. „Ich habe alles gesagt, was zu sagen ist, ich richte anderen Ebenen nichts mehr aus.“ In der Steiermark gebe es für die Sozialdemokratie genug zu tun. Seine Strategie ähnelt jener von Winkler in Oberösterreich: „Wir werden stark auf Standortpolitik setzen und den Begriff Leistung wieder besetzen.“ Natürlich anders, als es die ÖVP gerade tut. „Wir müssen über die sogenannte Mittelschicht reden, über Kinderbetreuung oder Wartezeiten bei Ambulanzen.“
Salzburg sucht noch
Eine Linie zu Wohnen, Gesundheit, Pflege, während die Republik in Budgetnöten ist, sucht auch die derzeit führungslose SPÖ Salzburg. Peter Eder hat mit den Genossinnen Bettina Brandauer und Barbara Thöny die Geschäfte interimistisch übernommen. „Wir dürfen nicht erklärend wirken. Das Bauchgefühl, die gefühlte Unsicherheit, die kann man nämlich nicht wegdiskutieren“, sagt er. Wichtig wird dabei auch sein, welche Bevölkerungsgruppen die Sparmaßnahmen der Regierung schultern werden müssen. Wenn es ein ausgewogenes Konzept ist, „hat die Sozialdemokratie für die Zukunft wieder große Chancen“.
Datum und Ort für die nächste planmäßige Wahl der Landesparteispitze stehen schon fest: 13. Juni 2026, Ferry Porsche Congress Center in Zell am See. Wer sich der Wahl stellt, ist dagegen noch völlig unklar. Übergangs-Co-Parteichef Eder verspürt weder Stress noch Zeitdruck. Im Gegenteil. Die nächste Landtagswahl findet 2028 statt, bis dahin ist die SPÖ in Opposition. Ganz bewusst hat sich das Trio entschieden, zuerst in Ruhe ein neues Programm auszuarbeiten. „Wir suchen nicht einen Vorsitzenden, der sagt: So soll es gehen. Wir erarbeiten, wie sich die Partei ausrichten soll. Und dann schauen wir, wer dazu passt.“
Es könnte ein ähnlich unbeschriebenes Blatt wie der neue Chef der SPÖ Tirol werden. Oder haben Sie schon vom 38-jährigen Philip Wohlgemuth gehört? Vom Typ ist der Gewerkschafter das Gegenteil des ausgeschiedenen Rebellen Georg Dornauer. Mit dem Aufmarsch von Tiroler Heckenschützen muss Babler in absehbarer Zeit nicht rechnen.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.