Wie politisch sind Abschiebungen nach Afghanistan?

Georg Bürstmayr, Anwalt für Fremden- und Asylrecht im Interview zu Abschiebungen nach Afghanistan.

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Seit Anfang 2015 wurden um die 1,8 Millionen Afghanen (vor allem aus dem Iran und Pakistan, aber auch aus Europa) in ihr Heimatland abgeschoben. Afghanen wird in Europa kaum noch Schutz gewährt. Und das, obwohl viele von ihnen eigentlich einen Schutzstatus erhalten müssten, wie aktuelle Ländergutachten vom Max-Planck-Institut und der UNO belegen. profil hat Georg Bürstmayr, Anwalt für Fremden- und Asylrecht, zu aktuellen Gutachten und Entscheidungen in der Asylpolitik befragt.

profil: Wie erleben Sie momentan die Entscheidungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts bei afghanischen Asylwerbenden? Georg Bürstmayr: Momentan scheint es eine Tendenz in der Rechtssprechung zu geben, dass junge alleinstehende afghanische Männer auf jeden Fall nach Kabul und teilweise auch nach Mazar-e Sharif und Herat abgeschoben werden können. Kabul geht quasi immer.

profil: Was hat sich an der Situation in Afghanistan geändert? Bürstmayr: Vor zwei Jahren war laut dem Bundesverwaltungsgericht die Lage im ganzen Land zu unsicher, um jemanden abzuschieben. Was sich seitdem verändert hat, ist nicht die Situation in Afghanistan, die ist nämlich nach vorliegenden Berichten unverändert, wenn nicht sogar schlechter. Was sich geändert hat, ist, dass Afghanistan aufgrund erheblicher finanzieller Anreize der EU seine Politik der Rücknahme geändert hat und abgelehnte Asylwerbende jetzt wieder zurücknimmt. Parallel zu der wieder entstandenen Möglichkeit der Abschiebung ist nun zu beobachten, dass es in Deutschland und Österreich einen Judikaturwechsel gegeben hat. Dabei sprechen viele renommierte Stellen von einer nach wie vor bestehenden, hohen Gefahr für Rückkehrende und sogar von einer Verschlechterung der Situation. Selbst der UN Sicherheitsrat meint, man könne in Afghanistan nicht mehr von einer Nachkonfliktszeit sprechen, sondern von einem Land, das sich wieder mitten im Konflikt befindet.

profil: Warum sind Rückkehrende in Gefahr? Bürstmayr: Rückkehrenden fehlt meist das nötige Grundwissen, um das Risiko zu minimieren, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden. Wenn mir die Ortskenntnisse fehlen, um zu wissen, wo Minen gelegt wurden, hilft es mir nicht wenn einzelne Straßen nicht vermint sind. Wenn ich nicht weiß, welcher Stadtteil gerade Ort von paramilitärischen Auseinandersetzungen ist, kann ich diesen nicht meiden. Das ist das große Problem von rückkehrenden Afghanen, insbesondere von jenen, die vor ihrer Flucht nach Europa im Iran gelebt haben und vielleicht nie zuvor in ihrer Heimat waren.

profil: Ein Gutachten vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte argumentiert, dass Asylwerbende in Mangellehrberufen, einen Aufenthaltstitel erhalten sollen. Um was geht es in diesem Gutachten? Bürstmayr: Darin geht es um einen anderen Aspekt am Ende jedes Asylverfahrens. Nach Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz muss nämlich, bevor eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, geprüft werden, ob die Voraussetzungen für ein Bleiberecht bestehen. Hier kommt es nach einer Gesamtbetrachtung von Faktoren, wie das Bestehen eines Familienlebens, eines Arbeitsverhältnis und besondere Integration etc., zu einer Interessensabwägung. In dem Gutachten wird argumentiert, dass eine Abschiebung von Asylwerbenden in Mangellehrberufen nicht nur die privaten Interessen des Betroffenen, sondern auch öffentliche Interessen negativ berühren könnte. Mit anderen Worten: womöglich sprechen für den Verbleib von Asylwerbern in Mangelberufen auch wirtschaftliche Interessen Österreichs. „Mangelberuf“ heißt ja, dass bestimmte Jobs zum Nachteil der Wirtschaft nicht besetzt werden können. Wir haben derzeit die paradoxe Situation, dass wir eine Bundesregierung haben, die Wirtschaftsinteressen in die Verfassung schreiben möchte, gleichzeitig aber Asylwerbende, die in Mangelberufen arbeiten oder ausgebildet werden, abschieben will. Das ist völlig inkonsistent.

Was momentan die europäische Asyldebatte prägt, sind Tabubrüche.

profil: Welches Gutachten ist momentan das aktuellste zu Afghanistan? Bürstmayr: Der Text des GutachtersKarl Mahringer, an dem es viel Kritik gegeben hat, wird kaum noch verwendet. Das aktuellste Gutachten stammt von der deutschen Wissenschaftlerin Friederike Stahlmann, das vom Verwaltungsgericht in Wiesbaden in Auftrag gegeben wurde. Das geht wirklich in die Tiefe und ist, im Gegensatz zum Text von Mahringer, mit seriösen Quellen fundiert. Eine Abschiebung nach Afghanistan ist laut Stahlmann in vielen Fällen nicht zumutbar. Das Gutachten sollte inzwischen allen Richter_innen am Bundesverwaltungsgericht bekannt sein. Jetzt bleibt abzuwarten, ob es auch in einer Entscheidung verwendet wird. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass eine Entscheidung auf Grundlage dieses Gutachtens einer Anfechtung standhält.

profil: Warum glauben Sie, ist das noch nicht passiert? Bürstmayr: Man kann nicht ausschließen, dass manche Richter_innen am Bundesverwaltungsgericht regelrecht Angst davor haben, welches Signal das senden würde. Entscheidungen in Asylfragen sind immer auch Botschaften nach außen. Einerseits werden innenpolitische Signale von der FPÖ an ihre Wähler_innen gesendet, um diese angesichts anderer politischer Entscheidungen bei Laune zu halten. Andererseits werden Signale außerhalb Europas gesendet, damit Menschen sich gar nicht erst auf den Weg nach Europa und Österreich machen. Das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich. Aber das Schlimme ist, dass diese Signale derzeit auf dem Rücken von Einzelschicksalen gesendet werden. Anfang 2015 gab es eine vergleichbare Situation mit steigenden Flüchtlingszahlen aus dem Kosovo. Es gab damals das Gerücht, dass die Grenzen offen seien und man in Österreich Asyl und einen Job bekommen würde. Damals hat das Innenministerium eine Plakataktion im Kosovo gestartet, dass dieses Gerücht falsch ist und es keine Perspektive in Österreich gibt. Das ist eine ganz andere Art der Kommunikation. Wenn diese Signale aber wie derzeit auf Kosten von schutzsuchenden Menschen gesendet werden, dann ist das zynisch.

profil: Die Asyldebatte ist gerade sehr polarisierend. Was befürchten Sie? Bürstmayr: Was die aktuelle europäische Asyldebatte prägt, sind Tabubrüche. Wir reden darüber, das Retten von ertrinkenden Menschen zu kriminalisieren und über eine Abschaffung der Genfer Flüchtlingskonvention für Europa. Eine Abschaffung der Genfer Flüchtlingskonvention würde aber gleichzeitig einen Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist der Kern der europäischen Grundrechte. Diese Werte, die ich für unverrückbar gehalten habe, werden von politischen Akteur_innen immer rascher in Frage gestellt. Und das nicht nur vom extrem rechten Rand, sondern zum Beispiel vom liberalen Journalistenflaggschiff „ Die Zeit“, von der CSU oder von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Da werden reihenweise Tabus gebrochen. Wenn diese Tabus von politischen Akteur_innen der sogenannten Mitte in Frage gestellt werden, sind sie keine Tabus mehr. Das ist überhaupt ein spannender Aspekt der ganzen Debatte über Asyl und Migration: Wir reden in Wahrheit nicht über „die anderen“. Wir reden darüber, was uns selbst ausmacht.

Zur Person: Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in Wien, spezialisiert auf Fremden- und Asylrecht, Strafrecht, Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Menschenrechts- und Grundrechtsschutz. Er war Leiter der Kommission OLG Wien 1 des Menschenrechtsbeirates im Innenministerium und war Projektanwalt im „Netzwerk Asylanwalt“.