Ausbeuteschema

Wie Zuwanderer ohne Papiere als Arbeitskräfte ausgebeutet werden

Arbeitsmarkt. Wie Zuwanderer ohne Papiere als Arbeitskräfte ausgebeutet werden

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Zoheir S. war der Fall Nummer eins. Von früh bis spät hatte er auf der Baustelle gestanden, hatte Dämmplatten für die Fassade geschnitten und Kleber angerührt. Für die 60 Stunden, die in der ersten Woche zusammengekommen waren, drückte ihm ein Vertrauter seines Chefs in einer Pizzeria 200 Euro in die Hand und feixte: "Du hast Glück, die anderen kriegen nur 100.“

Der Elektrotechniker war aus dem Iran geflüchtet und hatte in seinem Leben eher selten "Glück gehabt“. Um den Lohn geprellt zu werden, fand er "nur ungerecht“. Sein Chef hatte ausgenützt, dass er als Asylwerber nicht arbeiten durfte. Wie sollte er sich wehren? Ein Freund erzählte dem 34-Jährigen von "Undok“, einer eben erst gegründeten Anlaufstelle für Zuwanderer, die ohne gesicherten Aufenthalt über die Runden kommen müssen, keinen oder nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und deshalb die "3D-Jobs“ auf Baustellen, im Gastgewerbe oder in der Landwirtschaft erledigen: dirty, difficult, dangerous.

S. war der Erste, der bei Undok vorstellig wurde. Inzwischen können sich die Mitarbeiterinnen, die vor einem halben Jahr ihr Büro im ÖGB-Hauptquartier in Wien-Donaumarina bezogen, vor Causen kaum noch retten, sagt Sprecherin Sandra Stern: "80 Menschen haben sich an uns gewandt. Mit diesem Ansturm haben wir nicht gerechnet. Denn viele Betroffene trauen sich nicht in eine Beratungsstelle, geschweige denn, ihre Rechte einzufordern, aus Angst vor Abschiebung oder anderen gravierenden Nachteilen.“ Das weite Feld der Ausbeutung liegt zum großen Teil im Dunkeln.

Ganze sieben Jahre brauchte Csilla S.*, 65, um Hilfe zu holen. Die Ungarin hatte auf einem Bahnhof eine Niederösterreicherin kennengelernt, die sie zunächst für einen rettenden Engel hielt. Sie durfte in ihrem Haus wohnen und bekam zu essen. Dafür räumte sie jeden Tag zusammen, kochte, putzte, und als ihre Arbeitgeberin ein Kind auf die Welt brachte, kümmerte sie sich auch darum. Zur Belohnung gab es am Monatsende ein Packerl Zigaretten, manchmal durfte Csilla S. sich im Supermarkt ein Haarshampoo aussuchen. Geld sah sie in all den Jahren nie. Als die Ungarin aufbegehrte, stellte die Chefin 100 Euro monatlich in Aussicht. Selbst daran hielt sie sich nicht. Stattdessen ging der Ehemann der Frau auf Csilla S. los und drohte ihr.

Eine Undok-Betreuerin nahm sich der Ungarin an, die vor Angst fast gelähmt und unfähig war, für ihre Rechte zu kämpfen. Eine Erfahrung, die sie mit vielen teilt, die sich als Scheinselbstständige oder mit Schwarzarbeit verdingen, für 20 Stunden angemeldet werden, obwohl sie 40 und mehr arbeiten, unbezahlte Überstunden und Sonntagsdienste verrichten. Doch oft ist rasches Handeln nötig: Nach drei Jahren verfallen arbeitsrechtliche Ansprüche, nach fünf und sieben Jahren erübrigen sich sozialrechtliche und steuerrechtliche Belange.

Goran R.*, 38, stammt aus Serbien. Mit seinem Visum durfte er für drei Monate nach Österreich einreisen. Ein Autohändler gab ihm Arbeit und versprach, sich um seine Papiere zu kümmern. Dass der Mann sein Wort nicht gehalten hatte, bemerkte Goran R. viel zu spät, als er sich in der Werkstatt schwer verletzte. Im Spital stellte sich heraus, dass er nicht versichert war. Die Ärzte nahmen ihm eineinhalb Zehen ab. 43.000 Euro sollte er dafür begleichen. In einem Kaffeehaus klagte Goran R. sein Leid einem Freund und hatte Glück im Unglück: Am Nebentisch hörte jemand mit, der bereits Bekanntschaft mit der Anlaufstelle für Papierlose gemacht hatte. Er schickte R. zu Undok, wo man dem Serben rückwirkend zu einer Versicherung verhalf. Um den Lohn, den sein Chef seit dem Unfall nicht mehr ausbezahlt, kämpft er noch. Eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht ist in Vorbereitung.

Keine Papiere zu haben, heißt nicht automatisch, aller Rechte beraubt zu sein. Diese Botschaft versucht Undok mit mehrsprachigen Broschüren, Flyern und Mundpropaganda auch unter jenen zu verbreiten, die es im Land offiziell gar nicht gibt, weil sie keinen Aufenthaltstitel haben oder deren sonstige Zwangslagen genützt werden, um sie als Arbeitskräfte möglichst billig auszubeuten. Stundenlöhne von wenigen Euro sind keine Seltenheit.

Jasna B.* hat es lange hingenommen, für 5,50 Euro die Zimmer in einem Pflegeheim zu putzen, drei Euro unter dem branchenüblichen Stundenlohn. Seit Jahren pendelt die 36-Jährige zwischen Österreich, wo ihr Mann Arbeit hat, und Serbien, wo ihre Tochter in die Schule geht, hin und her. Eines Tages hielt ihr Mann ihr einen Undok-Flyer unter die Nase und drängte Jasna B., sich zu wehren. Sie fürchtet, das wenige, das sie verdient, aufs Spiel zu setzen. Ihre Tochter in Serbien braucht davon jeden Euro.

Gefährliche und prekäre Arbeitsbedingungen fliegen oft erst auf, wenn die Betroffenen sie anprangern. Im Oktober des Vorjahres streikten in Tirol 50 Rumänen und Serben, die bei einem Gemüsebauern für fünf Euro netto in der Stunde bei Wind und Wetter auf dem Feld gearbeitet hatten, ohne einen Euro für Überstunden oder Sonntage zu erhalten. Ihr verzweifelter Protest trug Früchte. Der Landwirt aus Thaur musste nicht nur saftige Nachzahlungen leisten, die Gebietskrankenkasse verlangte darüber hinaus 1,4 Millionen Strafe nach dem 2011 in Kraft getretenen Gesetz gegen Sozial- und Lohndumping.

Laut Berichten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden weltweit 21 Millionen Menschen zu einer Arbeit gezwungen, bei der sie ihre Gesundheit riskieren und die kaum zum Überleben reicht - nicht nur in Textilfabriken in Bangladesh oder auf Stadion-Baustellen für die Fußball-WM in Katar 2022, sondern mitten in Europa. 880.000 Menschen werden laut ILO in EU-Staaten ausgebeutet. Viele von ihnen stammen aus armen EU-Ländern wie Bulgarien, Rumänien und zunehmend Ungarn, schlagen sich auf dem sogenannten Arbeiterstrich durch, fallen auf zwielichtige Jobvermittler herein oder werden in informellen Netzwerken herumgereicht. Im Undok-Büro weiß man von zahlreichen Fällen, in denen Arbeiter gebeten wurden, Freunde und Bekannte anzuheuern.

Adriana D., 24, kam vor drei Jahren nach Wien, um internationale Entwicklung zu studieren. Zehn Stunden darf die gebürtige Serbin mit Dauervisum für Deutschland nebenbei arbeiten. Die junge Frau fand einen Job bei einem Catering-Anbieter. Mehrmals erinnerte sie ihn daran, sich beim AMS um eine Beschäftigungsbewilligung zu kümmern. Doch er sparte sich die Mühe und ließ sie ohne Papiere für sich arbeiten. Das rächte sich für die Studentin bei ihrem nächsten Job. Als sie in einem Lokal zu kellnern anfangen wollte, erfuhr sie, dass das AMS sie für ein Jahr gesperrt hatte. "Ich büße für einen Fehler, den mein Ex-Chef ohne mein Wissen gemacht hat. Das ist unfair.“ Sollte D. sich dem Arbeitsverbot widersetzen, droht ein Aufenthaltsverbot in Österreich. Der ehemalige Arbeitgeber handelt sich schlimmstenfalls eine Verwaltungsstrafe ein.

Der iranische Elektroinstallateur Zoheir S. - Undok-Causa Nummer eins - hatte am Ende doch noch ein bisschen "Glück“. Eine Richterin des Arbeitsgerichtes hatte sich in seine Notizen zu den geleisteten Stunden vertieft und ihm eine Lohnnachzahlung zugesprochen. Die Fassadenfirma, für die er für etwas mehr als drei Euro in der Stunde schuften hatte müssen, war zwar mittlerweile im Konkurs. Doch S. bekam sein Geld aus dem Insolvenzausgleichsfonds. Ein positiver Asylbescheid machte nach Jahren des quälenden Wartens das Glück fast perfekt. Jetzt fehlt nur noch, dass seine Ausbildung zum Elektroinstallateur in Österreich anerkannt wird. "Man muss für seine Rechte kämpfen“, sagt Zoheir S. Hat er Angst? "Ich habe im Iran so viel durchgemacht. Was soll mir noch passieren?“

*) Name von der Redaktion geändert

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges