HOLZHÜTTE AM SCHWEDENPLATZ: Nicht oft sieht man ein Plumpsklo mitten in Wien statt auf der Alm.

Wien: Das Geheimnis des Wärterhäuschens

Wien ist bereits die bestverwaltete und bald die bestdigitalisierte Stadt der Welt. Bis es so weit ist, werden Straßenbahn-Weichen aber noch händisch gestellt.

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Selten ist es einem Magazin vergönnt, die Welt besser zu machen - oder zumindest ein bisschen schöner. profil glückte dies ausgerechnet in der Karwoche. Und das kam so: Vor einigen Wochen wurde eine Holzhütte neben den Straßenbahn-Gleisen am Wiener Schwedenplatz aufgestellt. Wer das Grätzel am Donaukanal als Favela des 1. Bezirks bezeichnet, muss nicht mit einer medienrechtlichen Gegendarstellung rechnen. Deswegen dachten sich die Verantwortlichen vielleicht, eine weitere Schandhütte an diesem Ort würde niemandem auffallen. Tatsächlich fiel sie in der nahegelegenen profil-Redaktion auf und - wie Umfragen beweisen - auch vielen Passanten. Nicht oft sieht man ein Plumpsklo mitten in Wien statt auf der Alm.

Nach drei Wochen - Magazin-Journalisten benötigen einen Vorlauf - siegten Neugier und investigativer Instinkt über die vermeintliche Belanglosigkeit des Themas. Ein Anruf in der Presseabteilung der Wiener Linien brachte Klarheit. Das Häuschen steht im Eigentum der Wiener Linien und dient Mitarbeitern vor Ort als Schutz vor Wind und Wetter, wenn es nötig ist, Straßenbahn-Weichen und Ampeln am Schwedenplatz per Hand zu stellen.

So weit, so informativ. Doch kurz nach dem Telefonat ereignete sich seltsames. Man kennt das Phänomen aus der Quantenphysik: Die Beobachtung einer Gegebenheit kann diese beeinflussen. 1998 gelang israelischen Forschern am Weizmann-Institut dafür sogar der experimentelle Nachweis. Montag vergangener Woche wurde das Experiment am Schwedenplatz in Freiluft wiederholt. Wenige Stunden nach dem profil-Anruf war das hässliche Häuschen verschwunden. Eine quantenphysikalische, spukhafte Fernwirkung? Ein neuerlicher Anruf bei den Wiener Linien brachte wieder Klarheit. Das Häuschen war abtransportiert worden, allerdings, wie die Wiener Linien betonen, unbeeinflusst von der profil-Beobachtung. Weichen und Ampeln würden nicht mehr händisch, sondern wieder vollautomatisch geregelt.

Ludwigs Digitalisierungsoffensive

Die Quantenphysik entzieht sich bekanntlich der herkömmlichen Ratio. Das hat sie mit der Wiener SPÖ gemein. Von Bürgermeister Michael Häupl abwärts behaupten Sozialdemokraten gern, Wien sei die "bestverwaltete Stadt der Welt". Häupls baldiger Nachfolger an der Stadtspitze, Michael Ludwig, will noch höher hinaus. Wien werde, so Ludwig, in naher Zukunft die "Hauptstadt der Digitalisierung" sein.

Der Schwedenplatz würde sich als Ausgangspunkt für Ludwigs Digitalisierungsoffensive eignen. Wo sonst werden Straßenbahn-Weichen noch per Hand gestellt? Nicht nur von fallweise abkommandierten Weichenwärtern, sondern auch von den Zugführern selbst, wie jeder Fahrgast berichten kann, der regelmäßig die Linien 1 oder 2 benützt: Die Straßenbahn hält kurz vor der Einfahrt in die Station, der Straßenbahnfahrer schnappt sich eine mitgeführte Brechstange (die sogenannte Weichenkrücke), begibt sich vor seinen Zug, stellt die Weiche, kehrt zurück in den Zug, verstaut die Weichenkrücke, löst die Bremse und fährt in die Station ein. Ehrliche Handarbeit, wie es sie eigentlich nicht mehr geben dürfte, da laut Auskunft der Wiener Linien alle Weichen des Straßenbahnnetzes per Funk von den Zügen aus geregelt werden. Es sei denn, die automatische Weiche ist defekt, was selbst in der bestverwalteten Stadt der Welt öfter vorkommt; oder es handelt sich um eine nicht automatische, weil selten benutzte Weiche. Dann kommt die Weichenkrücke zum Einsatz.

Das aufwendige Prozedere schadet allerdings nicht nur den Bandscheiben der Fahrer, sondern auch der Pünktlichkeitsstatistik der Wiener Linien und behindert zudem den Individualverkehr. Die Stadtverwaltung sollte daher überlegen, bis zur endgültigen Digitalisierung Wiens durch Michael Ludwig die Planstelle eines fixen Weichenwärters am Schwedenplatz einzurichten. Auch das Schutzhäuschen wäre wieder aufzustellen, so wenig dekorativ es auch ist.

An diesem Ort stört es nicht weiter.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.