Der Klubobmann der Grünen David Ellensohn und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou anlässlich eines Pressetermins zum Thema "Bye, bye Miethai - Das Grüne Anti-Spekulationspaket" am Dienstag, 22. September 2015, in Wien.

Wien-Wahl: Die Grünen als politische Leichtgewichte

Die Flüchtlingskrise hat die Wiener Grünen eiskalt erwischt. Im Duell zwischen SPÖ und FPÖ stehen sie wie Leichtgewichte da.

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Vor einem Jahr noch war die Welt der Wiener Grünen in Ordnung. Bei der Europawahl 2014 waren sie mit 21 Prozent der Stimmen die zweitstärkste Partei in Wien geworden, vor den Freiheitlichen. Auf Österreichs längster Shopping-Meile, der Mariahilfer Straße, wagten sich die ersten Flaneure in die Straßenmitte der neu entstehenden Fußgänger- und Begegnungszone. Überall sprossen Verkehrsschilder aus dem Boden, die das Radfahren gegen die Einbahn erlaubten. Die verbilligte Jahresnetzkarte der Wiener Linien war ein überwältigender Erfolg, und sogar die Erhöhung der Mindestsicherung für Kinder konnten sich die Grünen auf ihre Fahnen heften.

Doch dann geschah etwas, das heute wie ein Menetekel wirkt: Der Grünen-Integrationssprecher Senol Akkilic wechselte zur SPÖ, weil er nicht mehr für den Gemeinderat aufgestellt worden war, und verhinderte so den Beschluss eines faireren Wahlrechts. Akkilic begründete seinen Schritt damit, dass er sich in der Integrationspolitik von den Grünen schon seit Längerem im Stich gelassen fühlte. Parteiintern wuchs auch der Unmut darüber, dass die grüne Rathausfraktion den unverschämt hohen Werbe-Etat der Stadt Wien sowie Inseraten-Millionen für Wiener Boulevard-Zeitungen anstandslos durchgewunken hatte.

In den Zeiten von Flüchtlingstrecks und der Herausforderung des Zusammenlebens von Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, babylonischem Sprachengewirr und steigender Arbeitslosigkeit ist nun klar geworden, dass grüne Radwege und autofreie Begegnungszonen, gemeinsames Garteln und die Rettung alter Obstsorten wenig gesellschaftliche Relevanz haben. Den Grünen laufen die Wähler davon - jedenfalls jene Wähler, die strategische Überlegungen anstellen und die eine leidenschaftliche Ablehnung der FPÖ verbindet.

Am vergangenen Montag kochte die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Neunerhaus auf. Das Neunerhaus ist eine Einrichtung für Obdachlose, die es sonst wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt gibt: ein ästhetisch schönes und klug durchdachtes Wohnhaus, das für den Sprung in die Welt draußen konzipiert ist. Über Facebook konnten sich Interessenten anmelden, um mit Vassilakou einen Abend zu verbringen, sie aus der Nähe kennenzulernen. Ein Dutzend wurde ausgewählt.

Das grüne Dilemma

Vassilakou, schon recht erschöpft von den Anforderungen des Wahlkampfs, rührte mithilfe zweier Bewohner des Neunerhauses in den Töpfen, schmeckte ab und hielt eine kurze Begrüßungsrede. Sie sagte, sie weine nicht oft, doch am Westbahnhof habe sie geheult. Die Männer, die ihre Kinder auf dem Arm tragen, die vielen Helfer: Dass seien die schönsten Momente gewesen, die sie jemals erlebt habe. Sie sprach ihren Gästen zweifellos aus der Seele. Doch nicht jede hier - es sind vor allem junge Frauen - wird am 11. Oktober Grün wählen. Vor einem Jahr wäre das keine Frage gewesen. Heute schwanken selbst Edelsympathisanten zwischen Grün und SPÖ. Man will nicht, dass Heinz-Christian Strache Erster wird.

Ein altbekanntes grünes Dilemma. "Das ist schon der dritte Wahlkampf, in dem das Duell Häupl gegen Strache aufgeführt wird, und die SPÖ ist immer noch stärkste Partei geworden. Die SPÖ lizitiert sich selbst nach unten. Ich kenne auch andere Umfragen“, sagt Vassilakou.

Diesmal ist es besonders bitter. Die Grünen haben jede Verschärfung des Asylrechts oder Schikanen für Zuwanderer bekämpft, und nun traut man eher der Wiener SPÖ zu, eine Strache-Welt zu verhindern. Aberdutzende Grüne halfen bis zum Umfallen auf den Bahnhöfen mit. Und nun sehen sie Caritas-Präsident Michael Landau und Kardinal Christoph Schönborn an der Seite von Wiens Bürgermeister Michael Häupl.

Vassilakou musste sich in sozialen Netzwerken dagegen Kritik gefallen lassen, als sie sich am Westbahnhof beim Verteilen von Wasserflaschen ablichten ließ und diese Fotos auf Facebook stellte. Gar nicht gut kam ein Interview von Vassilakou in der "Kronen Zeitung“ an: "Die SPÖ kriegt die Watschn, die sie auch verdient.“ Ausgerechnet an jenem Wochenende, an dem SPÖ-Stadträte alle Hebel in Bewegung setzten, für die überraschend große Anzahl an Flüchtlingen Notquartiere schafften und Ärzte aus den Wiener Spitälern freistellten, hatte sie das gesagt.

"Verweilen ohne Konsumzwang"

Sieht man sich den Internet-Auftritt der Grünen in den Bezirken an, so poppt eine Wohlfühlpartei auf, die zwangsläufig an die Wand gedrückt wird, wenn es keine Wohlfühlstimmung mehr gibt. Sie kämpfen für Parkbänke, Verkehrsberuhigung, Bäume und Alleen. "Verweilen ohne Konsumzwang“ heißt das Motto. Sie veranstalten Aktionen unter dem Titel "Konsumfrei sitzen auf einer recycelten Baumulde in der Parkspur.“ Sie fordern: "Mehr Obstbäume für die Leopoldstadt.“ Sie wollen "Lastenfahrräder“ für Geschäftsinhaber fördern und "gemeinschaftlich garteln“.

Bei einer Pressekonferenz grüner Bezirkspolitiker aus den Stadtteilen innerhalb des Gürtels, die sich als "Swing-Bezirke“ definieren, wurde Mittwoch vergangener Woche die Hoffnung laut, auf Ebene der Bezirksvertretung könnten die Grünen sogar stärkste Kraft werden. Das ist nicht ganz unrealistisch, doch ihre Forderungen sind es sehr wohl: So gut wie alle Bezirksgrünen wollen, dass ihre "Durchfahrtsstraßen gekappt“ und in einen "Ort der Begegnung“ verwandelt werden.

Wie schwer es die Grünen dabei noch haben, zeigt ein Lokalaugenschein im traditionellen Arbeiter- und Zuwandererbezirk Simmering. Bei der Bezirksvertretungssitzung am vergangenen Mittwoch argumentierte ÖVP-Bezirksrat Robert Pichler gegen eine 30-km/h-Zone mit den Worten: "Wenn man langsam mit dem Auto durchfährt, hat man den Lärm wesentlich länger.“ Der Grünen-Antrag fand keine Mehrheit.

Werben für gerechteres Bildungssystem

Andere Anliegen der Grünen gehen unter: Daniel Landau, Bildungsexperte, Bruder des Caritas-Präsidenten Michael Landau, wirbt derzeit in Wiener Parks für seine Vorstellungen von einem gerechteren Bildungssystems, für die Gesamtschule der Zehn- bis 14-Jährigen, für mehr Geld für Schulen, die sich in schwierigem Umfeld bewähren müssen. Landau glaubt, dass sich "die Stimmung dreht“ zugunsten der Grünen. So freundlich begegne man ihm. Doch vielleicht liegt das nur an seinem gewinnenden Wesen. Die Grünen haben ihn mit diesem wichtigen Thema auf ein Kampfmandat gesetzt.

Andere Grüne machen tapfer Hausbesuche. Sogar der angesagte Wiener Künstler Thomas Draschan beteiligt sich neuerdings an der hyperaktiven Basisarbeit. Treppauf, treppab. Anläuten. Sich artig vorstellen. Draschan und Jennifer Kickert, die stellvertretende Klubobfrau, erweisen sich dabei geradezu als Charmebolzen. Wenn jemand öffnet, wählt er ohnehin meist grün - und sei es als "kleinstes Übel“.

Ihre Aktion "Bye, bye Miethai“ haben die Grünen vergangene Woche spektakulär inszeniert. Ein aufgeblasener Plastikhai mit einer Ausbuchtung zwischen den Zähnen - das soll Euroscheine darstellen - wurde vor einem heruntergekommenen Gründerzeithaus im 3. Wiener Gemeindebezirk platziert. Bombastischer Titel der Pressekonferenz im Freien: "Schützt Gründerzeithäuser vor Spekulation“. In Wahrheit dürfte es sich in diesem Fall um ein Haus handeln, das wegen Erbstreitigkeiten jahrelang vernachlässigt wurde. Jetzt soll es abgerissen und durch einen profitablen Neubau ersetzt werden. Der letzte noch verbliebene Mieter will jedoch nicht aus dem Haus heraus, in dem er zur Welt gekommen ist und in dem schon seine Großeltern gewohnt hatten. Er zahlt eine Minimiete für über 127 Quadratmeter Wohnraum und konnte die Grünen für sein Anliegen begeistern. Bürgerinitiativen werden von den Grünen eben schnell unterstützt.

Die grüne Anhängerschaft ist ihrerseits weniger gnädig und sehr kapriziös. So sind die Werbematerialien der Grünen auf biologische Herkunft und Nachhaltigkeit durchzertifiziert und entsprechend teuer in der Herstellung. Die grünen Kugelschreiber könnte man essen, wenn man wollte. Sie sind aus Maisstärke und absolut einwandfrei. Selbst die "Miethai“-Aktion hat Tierfreunde auf den Plan gerufen. Die Grünen haben deshalb ein etwas skurriles Video ins Netz gestellt, in dem sie beteuern, nichts gegen Haie zu haben - nur gegen "Miethaie“.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling