Wikipedia Österreich-Chefin: "Urheberrecht wird missbraucht"

Die deutschsprachige Version der Wikipedia hat sich aus Protest gegen Artikel 13 einen Tag abgeschaltet.

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INTERVIEW: INES HOLZMÜLLER

profil: Wissen Sie, was im Wikipedia-Artikel zur Urheberrechtsreform der EU steht? Claudia Garád: Nicht auswendig. Aber unsere Community bemüht sich immer sehr, eine ausgeglichene Meinung zu finden. Einige Autoren hatten auch Angst, dass durch die Abschaltung unsere wahrgenommene Neutralität leiden könnte.

profil: Warum hat sich die deutschsprachige Wikipedia entschieden, am 21. März offline zu gehen? Garád: Eine Mehrheit der abstimmenden Autorinnen und Autoren hat sich dafür entschieden. Wir glauben, dass wir so noch mehr Menschen auf das Problem aufmerksam machen können.

profil: Warum protestiert Wikipedia, wenn es doch vom Artikel 13 ausgenommen werden soll? Garád: In Artikel 13 steht tatsächlich, dass wir ausgenommen werden sollen. Wikipedia ist aber keine Insel. Wir sind angewiesen auf ein Ökosystem von freiem Wissen, auf Quellen, die wir nützen können. Wenn der Informationsaustausch im Internet also erschwert wird, wird das auch Auswirkungen auf Wikipedia haben. Wir haben auch Schwesterprojekte, die nicht ausgenommen wären. Zum Beispiel Wikimedia Commons, unser digitales Medienarchiv für Videos und Bilder – hier wären urheberrechtliche Sicherheitsvorkehrungen, also Uploadfilter, relevant. Das zweite ist Wikidata, das ebenfalls gefährdet wäre. Deswegen wollen wir uns nicht mit der Ausnahme zufriedengeben.

profil: Könnte die Einführung von Uploadfiltern auch finanziell eine Herausforderung für Wikipedia werden? Garád: Wikipedia hat es geschafft, zu einer der beliebtesten Websites der Welt zu werden. Wir hätten eventuell noch die Ressourcen selbst Uploadfilter zu programmieren, die auch unseren Anforderungen genügen. Aber wir denken da nicht nur an uns. Kleinere Seiten werden darauf angewiesen sein, sich den Algorithmus von jenen Internetgiganten zu holen, die diese Regelung ja eigentlich „bekämpfen“ soll. Facebook, Google und Co. werden also mitbestimmen, wie Information in Zukunft verarbeitet wird – das halten wir für demokratiepolitisch fragwürdig. Es ist fraglich, ob in Zukunft Non-Profit-Projekte wie Wikipedia noch so groß werden können.

Das Urheberrecht wird bereits jetzt dafür missbraucht, unliebsame Dinge aus dem Internet zu entfernen.

profil: Ist der Vorwurf der Zensur durch Uploadfilter übertrieben? Garád: Für uns ist dieser Vorwurf realistisch. Das Urheberrecht wird bereits jetzt dafür missbraucht, unliebsame Dinge aus dem Internet zu entfernen. Im Moment passiert es noch im Nachhinein, in Zukunft könnte man viele Dinge schon im Vorhinein verhindern. Das hat für autokratische Systeme und sogar Demokratien – durchaus auch die unsere – einen Charme. Damit haben wir, genauso wie Bürgerrechtsorganisationen und Experten – wie zum Beispiel der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit David Kaye –, ein Problem.

profil: Aber ist es nicht ungerecht Kreativen gegenüber, dass Facebook oder YouTube mit ihren Inhalten Geld verdienen? Garád: Diese Plattformen werden die wenigsten Probleme mit der Urheberrechtsreform haben, sowohl mit den technischen als auch den juristischen Folgen. Eher passiert eine weitere Monopolisierung, weil eben nur diese Player den Anforderungen gewachsen sind. Das ist schade. Das Urheberrecht ist meiner Meinung nach nicht das richtige Schlachtfeld, um diesen Kampf auszutragen, sondern eher das Kartellrecht/Wettbewerbsrecht. Wir unterstützen natürlich faire Vergütungsformen für Rechteinhaber, aber es gehen einfach zu viele Gefahren mit dem jetzigen Entwurf einher.

Wikipedia ideologisch zu beeinflussen ist sehr viel Arbeit.

profil: Ist die politische Beeinflussung und Manipulation der Wikipedia nicht das größere Problem für die Plattform? Garád: Wikipedia ideologisch zu beeinflussen ist sehr viel Arbeit. Es gibt einige Mechanismen, die das erschweren. Oft braucht man einige Hundert Edits, bevor diese direkt live gehen. Natürlich gibt es auch PR-Firmen, die mittlerweile eigene Mitarbeiter dafür haben, Wikipedia-Artikel zu bearbeiten. Deswegen ist uns die Pluralität in unseren Projekten immer wichtig. Ist die Community aber sehr klein und gibt es nur wenige, die kontrollieren, kann es problematisch werden.

Claudia Garád, 39 Jahre, leitet seit fünf Jahren Wikimedia Österreich, den lokalen Förderverein der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekte.