Je dicker die Linie, desto öfter wurde das Ziel bereist.
Auslandsreisen

Wohin Österreichs Regierung reist und was das kostet

Zwischen Juli 2022 und Ende März 2023 reiste die Regierung 225 Mal beruflich ins Ausland. Was die Daten über die Reisen verraten.

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In New York liegt einem die Welt zu Füßen. Am East River zwischen Wasser, Höchhäusern und Joggern setzt sich auch Bundeskanzler Karl Nehammer in Szene. Gemeinsam mit Außenminister Alexander Schallenberg und Bundespräsident Alexander Van der Bellen war Österreichs Kanzler im September 2022 zur UN-Vollversammlung gereist. Zwischen Juli 2022 und März 2023 besuchten auch EU-Ministerin Karoline Edtstadler, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Medienministerin Susanne Raab und Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky den „Big Apple“. Die USA waren in dem Zeitraum das drittbeliebteste Dienstreiseziel der Regierung im Ausland.

Österreich in der Welt zu vertreten ist eine der Kernaufgaben der Regierung – und hilft dem eigenen Image. Doch abseits singulärer Schlaglichter geht die Masse der Auslandsreisen medial unter. Eine transparente Liste der Staatsreisen auf Steuerzahlerkosten gibt es hierzulande nicht. Parlamentarische Anfragen, in denen etwa die Kosten von Flugreisen der Ministerien erfragt werden, werden von jedem Ministerium einzeln und häufig nur lückenhaft beantwortet. profil hat für den Zeitraum zwischen Juli 2022 und März 2023 nachgefragt, kontrolliert und ausgewertet. Das Ergebnis: Insgesamt 225 Mal steuerten Mitglieder der Regierung beruflich das Ausland an. Das Regierungsteam der ÖVP flog anteilsmäßig mehr, weiter und damit im Schnitt auch teurer.

Datenfehler

Das grundsätzliche Problem: Nicht alle Ministerinnen und Minister liefern öffentlich vollständige Informationen. So fehlen etwa Reisekosten von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), da die Erhebung laut Ministerium einen „zu hohen Verwaltungsaufwand“ darstellen würde. Von den im Kanzleramt angesiedelten Ministerinnen Susanne Raab und Karoline Edtstadler (alle ÖVP) werden teils nur die Kosten ihrer Kabinettsmitarbeitenden angegeben – weil zum Beispiel in der Anfragenserie des FPÖ-Generalsekretärs Michael Schnedlitz nicht mehr angefragt wurde.

Dass Kanzler Nehammer letzten September nach New York geflogen ist, erfährt man weder in Anfragen zum dritten noch zum vierten Quartal 2022. Die Information findet sich erst in einer weiteren Sammel-Anfrage zu Flugreisen im Jahr 2022. Ohnehin erwähnen einige Ministerien in ihren Antworten nur jene Reisen, die bereits abgerechnet wurden. So scheinen Flüge erst sehr spät in Anfragebeantwortungen auf. Fehlt zusätzlich das Reisedatum, kann allerdings kaum nachvollzogen werden, ob es sich um eine Nachmeldung handelt. Informationen über das aktuelle Reiseverhalten gibt es ohnehin nur verzögert: Nach einer parlamentarischen Anfrage haben die Ministerien zwei Monate Zeit, um zu antworten. Wer also wissen will, wohin es Nehammer und Co. von April bis Juni zog, muss bis Herbst warten.

Türkis-grüne Unterschiede

Oder man fragt nach. Profil schickte dieselbe Anfrage an alle Ministerien und Staatssekretariate: Wann wurde welche Dienstreise durchgeführt? Welches Transportmittel wurde gewählt? Welche Kosten sind entstanden? Und wer begleitete die Ministerin oder den Staatssekretär? Mit Ausnahme von Kanzler Nehammer, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, die Reiseziele bis Ende Juni lieferten, lautete die Antwort aller ÖVP-geführten Ministerien: Die Ausarbeitung der angefragten Informationen sei ein zu hoher Verwaltungsaufwand, man möge die sie den – lückenhaften – parlamentarischen Anfragen entnehmen.

Grün-geführte Ministerien dürften mit Verwaltungsaufwand besser klarkommen: Alle vier lieferten die angefragten Daten binnen weniger Tage. Ihre Reisen ab April 2023 musste profil allerdings aus dem Datensatz entfernen, immerhin fehlen diese bei der ÖVP nahezu gänzlich.

Höhenrausch

Dennoch lassen sich Vergleiche anstellen: Die ÖVP fliegt mehr – und weiter. Das türkise Regierungsteam reiste zwischen Juli 2022 und Ende März 2023 insgesamt 179 Mal ins Ausland und saß dabei in rund neun von zehn Fällen im Flugzeug. Die Grünen setzen zwar öfter auf die Schiene, die Durchschnittsbevölkerung ist bei Auslands-Dienstreisen aber dennoch deutlich klimafreundlicher unterwegs (siehe Grafik). Vor allem bleiben die Grünen aber eher in Österreich: Reiste ein ÖVP-Minister im Schnitt 13,7 Mal ins Ausland, zog es einen Grünen nur 9,2 Mal in die weite Welt. Eine Reise mit mehreren Zwischenstopps wurde für die Auswertung auch mehrfach gezählt und die Reisekosten entsprechend geteilt. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) besuchte etwa erst Tokyo und dann Abu Dhabi. Die beiden Stationen scheinen im Datensatz einzeln auf, die Kosten (8.321,92 Euro) wurden halbiert.

Wer wie viel reist, hängt auch mit den Zuständigkeiten der Ministerien zusammen: Spitzen-Wolkenreiter Alexander Schallenberg (ÖVP) ist als Außenminister naturgemäß viel unterwegs: 26 Mal setzte er sich in den Flieger, einmal in den Zug. Auch bei Kanzler Nehammer und EU-Ministerin Edtstadler (beide ÖVP) sind Reisen fester Bestandteil des Berufsprofils. Der Kanzler steuerte Auslandsziele 22 Mal, die Europaministerin 23 Mal an. Nur durch direkte Gespräche vor Ort könnten Beziehungen zu anderen Staaten aufrechterhalten werden, erklärt man im Außenministerium. Auch internationale Konferenzen oder die Unterzeichnung von internationalen Verträgen und Abkommen erfordern die Anwesenheit eines Volksvertreters im Ausland. Von Regierungsseite sind hier Kanzler, Außenminister und EU-Ministerin besonders gefragt.

Gute Bilder

Nicht immer geht die Initiative für Reisen von Österreich aus. „Für internationale Treffen wird das Außenministerium beispielsweise angefragt“, erklärt Antonia Praun, Pressesprecherin im Außenministerium. In anderen Ministerien ist das ähnlich. Doch abseits aller Verpflichtungen sind Auslandsreisen für die Politik auch schöne PR. Die Ministerin im Dialog mit der Weltpolitik, der Minister bei der Unterzeichnung eines neuen Handelsvertrages oder der Kanzler bei der UNO: Die Bilder, die im Ausland gemacht werden, vermitteln ein Macher-Image, das Österreichs Politik nur zu gerne importiert.

Auffällig viel in der Welt unterwegs sind Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (ÖVP). Zwischen Juli 2022 und März 2023 reiste sie 22, er 21 Mal ins Ausland. Gewessler war 2022 als Energieministerin in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im internationalen Dauereinsatz, 2023 rückten für sie zumindest bei Reisen außerhalb des Landes wieder Umweltthemen in den Vordergrund. Tursky suchte im Ausland auf Gipfeln, Messen und Firmen nach digitalen Vorbildern für Österreich. Beide nahmen dafür auch weite Strecken in Kauf: Gewessler besuchte etwa Washington und Montreal, Tursky neben New York auch Las Vegas. Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) fällt immer wieder mit medial gut begleiteten Auslandsflügen auf, quantitativ sticht sie mit sechs Reisen aber nicht heraus.

Eine Frage der Kosten

Zumeist bereist die Regierung aber Europa, am häufigsten zieht es die Volksvertreter nach Belgien. Um an den diversen EU-Ratstreffen teilzunehmen, die Sanktionen gegen Russland zu besprechen oder sich informell mit europäischen Amtskolleginnen und -kollegen auszutauschen, reiste die Regierung in den neun Monaten 46 Mal nach Brüssel, nur einmal war eine andere belgische Stadt Ziel der Reise. Im Schnitt reiste also jede Woche ein Mitglied der Regierung nach Brüssel. Die Kosten variieren dabei stark: Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) zahlte für seinen Flug Mitte März mit drei Kabinettsmitarbeitenden mehr als 5000 Euro, Außenminister Schallenberg bei seinen fünf Reisen in die belgische Hauptstadt im Schnitt nur rund 2700 Euro. Ein besonderes Pech hatte Vizekanzler Kogler: Im November letzten Jahres wollte er per Zug nach Brüssel reisen. Doch Streiks der österreichischen und belgischen Bahngesellschaft zwangen ihn zum Umstieg auf den Flieger, die Kosten stiegen auf 4193,24 Euro für sich und seine zwei Kabinettsmitglieder.

Insgesamt reisen die Grünen aber billiger. In Summe ohnehin, stellt der kleine Koalitionspartner doch nur vier der 18 Ministerinnen und Minister sowie eine Staatssekretärin. Aber auch im Schnitt sind Reisen der grünen Regierungshälfte sind geringer: 2223,47 Euro kostet eine Auslandsreise eines durchschnittlichen Grünen Ministers oder Ministerin. Der Schnitt jener ÖVP-Ministerien, von denen es belastbare Daten gibt (Kanzleramt, Außen-, Innen-, Finanz-, und Bildungsministerium) liegt bei 5.745,44 Euro (siehe Grafik). Allgemein fällt auf, dass Business Class bei Flugreisen nur bei langen Flugreisen genutzt wird. Ansonsten wird die zweite Klasse belegt.

Gruppenreisen

Neben den größeren Distanzen, die die Türkisen zurücklegen, liegen höhere Kosten auch am mitgenommenen Personal: Kanzler Karl Nehammer wird im Schnitt von 3,9 Kabinettsmitarbeitenden begleitet, Außenminister Schallenberg von 3,3. Komplexe Geopolitik verlangt nach vielen Hirnen. Wobei neben dem Kabinett – also dem persönlichen Büro des Ministers oder der Ministerin – selbstverständlich häufig auch Fachkräfte des Ministeriums ihren Chef begleiten. Ihre Reisekosten werden aber nahezu nie einzeln aufgegliedert.

Vizekanzler Werner Kogler, zuständig für Beamte und Sport, oder Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (beide Grüne) haben weniger Gründe, das Land zu verlassen. Sie verschlug es jeweils nur dreimal ins Ausland. Zum Eröffnungsspiel der Fußball-EM der Frauen oder der Frankfurter Buchmesse müssen sie auch etwas weniger Mitarbeiter mitnehmen als der Kanzler zur UNO in New York, die Reisekosten pro Kopf sind naturgemäß auch geringer.

Auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) verließ Österreich zwischen Juli 2022 und Ende März 2023 dienstlich nur dreimal. Die Reiselust der Ministerin wird ohnehin regelmäßig getrübt: Zum informellen EU-Ministerrat in Schweden kam sie im März dieses Jahres wegen eines AUA-Streiks zu spät. Ein Jahr zuvor musste Tanner eine USA-Reise vorzeitig beenden, als Ex-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) Mitte Mai zurücktrat. So wichtig Auslandsreisen sind: Innenpolitik hat Vorrang.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".