Das Protestcamp von außen
Proteste

Zu Besuch im bescheidenen „Camp für Palästina“

Seit Montag besetzen rund fünfzig Aktivist:innen einen Rasen im Alten AKH in Wien und haben dort Zelte aufgeschlagen. profil-Journalistin Natalia Anders hat das Protestcamp für die Palästinenser:innen besucht.

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Hof 1, Altes AKH. Eigentlich kennt man den Campus der Universität Wien vor allem für seine Grünflächen, die sich mitten in der Stadt befinden. Spaziert man durch das Alte AKH, sieht man Familien, spielende Kinder, Studierende, die nach ihren Vorlesungen auf dem Gras sitzen und Bier trinken. Seit Montag ist der Hof 1 im Alten AKH jedoch kein Schauplatz entspannter Studierender und verspielter Kinder, sondern des „Camps für Palästina”. 

Amerikanische Unis als Vorreiter

Die Jugendlichen in Wien haben Anleihen an den US-Unis genommen: Seit mehreren Wochen protestieren in den Vereinigten Staaten Studierende für ein Ende des Gaza-Kriegs. 

Während in den USA bereits Fenster eingeschlagen und Uni-Gebäude gestürmt wurden, geht es in Wien ruhiger zu.  Am Dienstagnachmittag wird der besetzte Rasen im Alten AKH von mehreren Bannern abgetrennt, die eine Art Zaun um das Zeltlager bilden. 

Auf den aufgespannten Leintüchern stehen Sprüche wie: „Antizionism ≠ Antisemitism”, „Hands Off Rafah” oder „Laut gegen Genozid”. Rund zwanzig Zelte wurden aufgestellt, die Protestierenden sitzen davor im noch vom regnerischen Vortag durchnässten Rasen. Die rund fünfzig Aktivist:innen sind gerade dabei, neue Schilder zu basteln und Bücher zu lesen – bis 14:00 ist laut dem vom “Camp4Palestine” aufgestelltem Tagesprogramm nämlich ein Lesezirkel vorgesehen. 

Eine Aktivistin bietet der profil-Journalistin an, sich eines der Bücher auszuborgen und dazuzusetzen. Im Gespräch erzählt sie, dass sie bereits eine Nacht im Zeltlager verbracht hat. Geschlafen wurde jedoch wenig - aufgrund der Wetterbedingungen. Einerseits wurden die Zelte durch den heftigen Regen am Nachmittag nass, andererseits sei der Rasen, auf dem campiert wird, immer noch von den Sprinkleranlagen, die in der Nacht losgingen, feucht.

Die Witterung hält die Gruppe jedoch nicht davon ab, auf der Wiese zu bleiben. Die Polizei war am späten Nachmittag und Abend ebenfalls anwesend, soll sich jedoch unter einer Unterführung versteckt haben, sobald es zu schütten begann. Bisher ließen die Behörden die Protestierer:innen gewähren.

Kein Ende in Sicht

Die Camper:innen erzählen, dass sie solange bleiben wollen, bis alle Forderungen durchgesetzt seien.

Welche das sind? Auf den ausgedruckten Informationsblätter werden fünf Punkte angeführt: „De-militarisieren”, „Boykottieren”, „Offenlegen & Desinvestieren”, „Polizei- und Überwachunsgsarbeit beenden” und „Repression stoppen”. Die Jugendlichen werfen, analog zu den US-Protesten, den österreichischen Universitäten vor, die israelische Besatzung und den „Völkermord” in Palästina zu unterstützen. 

Universität Wien und ÖH distanzieren sich von Camp 4 Palestine

Die Reaktionen sprechen dagegen. Die Uni Wien schreibt auf ihrer Website, sie würde sich klar von den Campierenden distanzieren: „Antisemitismus und die Verharmlosung von Terror haben keinen Platz an der Universität Wien”. Die ÖH informiert in einer Presseaussendung, die Forderung nach einem befreiten Palästina könne nur mit der Forderung nach einer Befreiung von der Hamas einhergehen und auch nicht die Auslöschung des einzigen jüdischen Staates bedeuten.

Die meisten Camper:innen selbst sind in ihren Zwanzigern und studieren, wie sie erzählen. Sie besuchen unterschiedlichste Studiengänge, das lässt sich jedoch kaum überprüfen. Fest steht: Mitglieder der trotzkistischen Organisation „Der Funke” haben sich ebenso unter die Protestierenden gemischt wie  „Judeobolschewiener*innen” – ein Kollektiv in Wien lebender linker Jüd:innen, das sich an den Prinzipien der Doikayt orientiert. Doikayt ist ein jiddischer Begriff, der für die Integration jüdischer Personen in der Gesellschaft und gleichzeitig Bewahrung ihrer eigenen jüdischen Identität und Traditionen steht, heißt es laut Website der Judeobolschewiener*innen.

Besonders auffällig: Viele der Anwesenden tragen neben der Palästinenser-Tücher auch Sonnenbrillen und FFP2-Masken, die ihr Gesicht verdecken. Vermutlich wollen sie unerkannt bleiben.

Decken, Powerbanks und Fahrräder

Beim profil-Lokalaugenschein ist es auf dem Zeltplatz unerwartet leise. Keine Musik, keine Reden, keine Parolen, nichts. Eine Aktivistin unterbricht die Stille, sie reicht ein Whiteboard herum und bittet die anderen Anwesenden darum, etwas auf die „Wish List” zu schreiben – es geht um Dinge, die im Camp gebraucht werden. Diese Wunschliste wird anschließend auf den Instagram- und Telegram-Channels des „Camp 4 Palestine” gepostet. Auf der Liste steht „Decken”, „Taschenlampen” oder „Powerbanks” – aber auch „Fahrräder”. Freiwillige Spender:innen sollen sie ins Camp bringen.

Was bedeutet Intifada?

Ob allen Anwesenden bewusst ist, wofür sie überhaupt campen? Auf vielen der aufgehängten Poster steht der Begriff „Intifada”. Auf die Frage, wofür der Begriff steht, antworten zwei der Jugendlichen: „Ich glaube, das heißt ‚Revolution‘ auf Arabisch, nagel mich aber nicht darauf fest.” Tatsächlich bedeutet das arabische Wort jedoch „etwas abschütteln” und bezieht sich auf die palästinensischen Aufstände gegen die Israelis. Diese „Intifada”, die Ende der 1980er Jahre stattfand, führte zu einer massiven Welle von Gewalt und Terroranschlägen.

Als profil das Zeltlager im Hof 1 des Alten AKH wieder verlässt, schreiben einige der Campierenden „Stop the Genocide” mit Straßenkreide auf den Asphalt vor der Wiese. Eine Mutter mit Kindergartenkind kommt auf die Protestwiese. Das Kind ruft: „Free, free Palestine.” Die Jugendlichen stimmen ein: „Free, free Palestine.”

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.