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Langsames Comeback: Worauf beim Anleihenkauf zu achten ist

Die Kursverluste der Anleihen sind dieses Jahr dreimal höher als im Crash-Jahr 1999, doch jetzt gibt es wieder ordentliche Zinsen.

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Die im Jahr 1999 verstorbene Börsenlegende André Kostolany gab Anlegerinnen und Anlegern einst einen guten Tipp: "Wer gut essen will, kauft Aktien; wer gut schlafen will, kauft Anleihen." Vermutlich hätte er sich diesen Spruch heuer verkniffen. Von einem ruhigen Schlaf war für Besitzer von fixverzinsten Papieren keine Rede: Im Jahr 2022 passierte der größte Anleihen-Crash seit Jahrzehnten. Die Verluste sind dreimal höher als beim Crash-Jahr 1999, selbst solide Papiere fielen. Besonders betroffen waren Anleihen mit langen Laufzeiten. So verlor die mit 0,25 Prozent verzinste österreichische Bundesanleihe und einer Laufzeit bis zum Jahr 2036 innerhalb eines Jahres 30 Prozent. Noch schlimmer geht es den Käufern der Null-Prozent-Anleihe der Republik mit Laufzeit bis zum Jahr 2080. Mitte November hätte man beim Verkauf über die Frankfurter Börse bloß 25 Prozent des Anfangsinvestments zurückbekommen. Das heißt: Die Besitzer werden jahrelang praktisch keine Zinsen kassieren und sitzen jetzt zudem auf horrenden Verlusten. Der einzige Gewinner ist der Finanzminister: Er zahlt für solche Altanleihen lange keine Zinsen und kann außerdem zusehen, wie die hohe Inflation den realen Wert der Staatsschulden zusammenschmelzen lässt. Diese schleichende Entschuldung der Staaten auf Kosten der Anleger hat einen Namen: finanzielle Repression. Und die ist durchaus beabsichtigt. Die USA konnten sich zum Beispiel so der Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg entledigen. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) drückte lange Zeit die Zinsen in den Keller, um marode Schuldner wie Italien nach der Finanzkrise 2008 vor der Pleite zu bewahren. Solide Adressen wie Österreich oder Deutschland konnten als Trittbrettfahrer mit Schulden sogar Geld verdienen.

Anleihen-Crash trifft viele indirekt

Im Gegenzug schmolz die Kaufkraft der Guthaben auf Sparkonten langsam dahin. Durch die hohe Inflation hat sich dieses Jahr die Geschwindigkeit der Entwertung beschleunigt. Die meisten Menschen sind vom Anleihen-Crash betroffen – selbst dann, wenn sie niemals einzelne Anleihen besessen haben: Großanleger wie Lebensversicherungen und Pensionskassen halten vorwiegend Anleihen. Auch bei den Vorsorgekassen, die die Abfertigung neu verwalten, sind Anleihen das bei Weitem wichtigste Investment. Gerade die Papiere mit den höchsten Verlusten landeten überwiegend in den Altersvorsorge-Depots europäischer Großanleger. Sie haben auf der Suche nach irgendwelchen positiven Zinsen notgedrungen überlange Laufzeiten akzeptiert. In Großbritannien kämpfen deshalb einige Pensionskassen wegen verlustreicher Zinsgeschäfte mit der Insolvenz. Nur hektische Anleihe-Stützungsmaßnahmen der britischen Notenbank und die Rücknahme der Steuervorhaben von Ex-Premierministerin Liz Trust konnten das Schlimmste verhindern.

Auf schmerzlichen Verlusten sitzen auch Fondsanleger. Wer Anfang 2022 den Betrag von 10.000 Euro in einen durchschnittlichen Euro-Anleihenfonds investierte, hatte Mitte November nur noch 8690 Euro am Depot und ein Minus von 13,1 Prozent zu verschmerzen. Noch schlechter ging es denjenigen, die in einen Euro-Anleihen-Fonds mit besonders langen Restlaufzeiten investierten. Hier sind nur noch 6520 Euro übrig.

Wie sich Zinsen auf Anleihenkurse auswirken

Hintergrund dieser Kursbewegungen: Je länger die Restlaufzeit von Anleihen, desto empfindlicher reagiert der Kurs auf Zinsänderungen. Als Faustregel verliert eine Anleihe bei einem Zinsanstieg von einem Prozent fast so viel, wie ihre Restlaufzeit beträgt. Steigen zum Beispiel die Zinsen von null auf ein Prozent, fällt der Kurs einer fünfjährigen Anleihe um fast fünf Prozent, bei zehn Jahren sind es knapp minus zehn Prozent. Schließlich bekommt ein Anleger A, der bei null Prozent Rendite einstieg, zehn Jahre lang in Summe null Prozent Zinsen, während Anlegerin B, die Papiere zu einem Prozent kauft, insgesamt zehn Prozent Zinsen kassieren wird. Natürlich funktioniert das Schema auch umgekehrt: Fallen die Zinsen wieder, werden bestehende Anleihen mit Kursgewinnen reagieren.

Aktuell ist die Geldpolitik von Zinserhöhungen geprägt. Bei der jüngsten Auktion zehnjähriger österreichischer Staatsanleihen am 8. November schlugen die Investoren erst bei 2,93 Prozent Rendite zu. Auch für die Aufstockung der 0,0-Prozent-Anleihe von Jänner 2022 mit Laufzeit bis Jänner 2028 verlangten die Käufer inzwischen 2,69 Prozent Rendite. Bei Schuldnern mit schlechterer Bonität fiel der Zinsanstieg noch heftiger aus. Italien musste Mitte November für zehnjährige Staatsanleihen 4,2 Prozent bieten, Griechenland sogar 4,5 Prozent.

Preisunterschiede bei Anleihen

Es ist allerdings für Privatanleger gar nicht so einfach, einzelne Anleihen zu kaufen. Während man zum Beispiel Aktien an der US-Technologie-Börse Nasdaq bei Online-Depots binnen Sekunden ordern kann, läuft der Versuch, Anleihen zu kaufen, oft ins Leere. So notieren österreichische Staatsanleihen an der Wiener Börse, aber es kommt monatelang kein Handel zustande. Die angegebenen Kurse sind also veraltet. Für Anleihen besteht an der Wiener Börse eine paradoxe Situation: Es notieren Tausende Staats-und Unternehmensanleihen aus vielen Ländern in Wien, gehandelt wird davon aber nur ein winziger Bruchteil-35 Anleihen von österreichischen Unternehmen wie CA Immo, OMV oder Verbund. Für diese stellt die Raiffeisen Bank International als sogenannter Market Maker laufend An-und Verkaufskurse.

Wer als Privatanleger österreichische Staatsanleihen handeln möchte, findet zum Beispiel an der Frankfurter Börse die 0,0%-Bundesanleihe mit Laufzeit bis zum Jahr 2031. Noch zum Jahreswechsel 2021/22 pendelte der Kurs um die 100 Prozent. Am 16. November war die Anleihe deutlich günstiger zum Brief-Kurs 80,77 zu kaufen und zum Geld-Kurs 80,49 zu verkaufen.Die Differenz ist die Spanne der Frankfurter Händler, zusätzlich kommen noch Orderspesen der Hausbank dazu.

Solche Preisunterschiede sind für Großanleger wie Versicherungen, aber auch für die Manager von Investmentfonds zu groß. Kurt Eichhorn, Anleihechef der Kepler-Fonds: "Der Großteil des Handels von Anleihen findet nicht an klassischen Börsen statt, sondern über Bloomberg." Das US-Finanznachrichtenportal bietet nicht nur Kursdaten an, sondern ist auch eine Art von Handelssystem. "Ich stelle bei Bloomberg zum Beispiel den Kaufwunsch für eine bestehende Anleihe und das Volumen ins System. Dort können mir große internationale Banken innerhalb von 30 Sekunden einen Kurs stellen. Wenn ich einverstanden bin, wird der Kauf automatisch beim günstigsten Anbieter abgewickelt", erklärt Eichhorn. Die Preisunterschiede zwischen An-und Verkauf sind bei liquiden Staatsanleihen nur oft nur tausendstel Prozentpunkte.

Mögliche Risiken

Neben Staaten nutzen auch Unternehmen den Kapitalmarkt und begeben Anleihen. Diese zahlen in der Regel höhere Zinsen, weil auch das Risiko von Ausfällen höher ist als bei Staatspapieren. Allerdings gibt es bei Anleihen von Unternehmen immer weniger Angebote in kundenfreundlichen Mindestinvestments von zum Beispiel 1000 Euro. Eine Zäsur war in Österreich die Pleite des Salzburger Baukonzerns Alpine im Jahr 2013, bei dem auch viele private Anleihegläubiger zum Handkuss kamen. Die Folge waren Klagen gegen Wirtschaftsprüfer und Banken, die den Verkauf der Alpine-Anleihen unterstützt hatten. Kepler-Fondsmanager Eichhorn: "Um künftigen Problemen mit Fehlberatung von Privatanlegern aus dem Weg zu gehen, werden Unternehmensanleihen jetzt oft erst in Stückelungen ab 100.000 Euro begeben." Banken verweisen deshalb lieber auf hauseigene Bankanleihen oder Fonds. Hier wird das Kapital auf eine Vielzahl von Schuldnern und Ablaufdaten verteilt und das Risiko hoher Verluste im Falle einer Insolvenz geglättet. Ein Fondsmanager kommt auch an illiquide Papiere mit höheren Renditen heran und kann gegebenenfalls Anleihen abstoßen. Außerdem ist es für Fonds leichter, etwaige ausländische Quellensteuern zu vermeiden oder zurückzufordern. Bei den Spesen stehen die Kosten für das Fondsmanagement den oft besseren Einkaufskursen gegenüber. Ein Nachteil von Fonds ist hingegen die Unsicherheit über das Kursniveau zu einem gewählten Verkaufszeitpunkt. Es gilt zwar der Grundsatz, dass Anleihen am Schluss zu 100 Prozent getilgt werden, falls keine Insolvenz eintritt. Dazwischen kann der Tageskurs aber deutlich darüber oder darunter liegen.

Wer statt Fonds einzelne Anleihen kauft und diese bis zum Ende der Laufzeit hält, kann genau die Zeitpunkte und die Höhe der Rückzahlung definieren. In der Praxis verweisen Banken Interessenten für Einzelanleihen wie erwähnt gerne auf die hauseigenen Papiere. Bankanleihen haben jedoch ein zusätzliches Risiko: Bei einer Finanzkrise könnte die Finanzmarktaufsicht FMA im Extremfall die Gläubiger zur Kasse bitten. Dafür müsste die Bank nicht einmal pleite sein, sondern nur um Staatshilfe ansuchen wie in den Jahren 2008/2009. Beim sogenannten Bail-in-Verfahren müssten in jedem Fall vorher die Gläubiger einspringen, bevor die Staaten Hilfe leisten.

Wenn große Banken in Zukunft an der Kippe stehen, aber noch nicht insolvent sind, können in einem Stufenverfahren die Ansprüche der Gläubiger gekürzt oder ganz gestrichen werden. Auch eine Umwandlung von Bankanleihen in Eigenkapital, also in Aktien der Bank, ist möglich. Das betrifft auch Garantiezertifikate. Diese garantieren zwar oft eine Mindestauszahlung bei schlechter Börsenentwicklung, könnten aber in einem Bail-in-Verfahren im Extremfall wertlos werden, auch wenn die Bank weiter im Geschäft bleibt. Die FMA kann auch Spareinlagen jenseits der Einlagensicherungsgrenze von 100.000 Euro pro Bank und Kunde angreifen. Erst ganz zuletzt, so die Vorgabe der europäischen Politiker, könnten Banken wieder beim Staat um Rettungspakete anklopfen. In der Praxis könnte dieses Verfahren indirekt viele Bürger betreffen, wenn unter den Anleihegläubigern betriebliche und private Altersvorsorge sind. Außerdem würden sich Banken nach einem Schuldenschnitt schwertun, frische Anleihen zu begeben.

Wie die Inflation die Anleihenmärkte beeinflusst

Die Anleihenmärkte reagieren dementsprechend auf jede neue Inflationszahl nervös. Wenn Inflation und Zinsen unerwartet kräftig steigen sollten, geben die Kurse weiter nach. Wenn die Inflation umgekehrt schneller als erwartet sinkt, können sich Anleger, die jetzt schon Anleihen und Anleihefonds kaufen, über Kursgewinne freuen. Im Durchschnitt erwarten die Analysten laut Bloomberg in den kommenden sechs Monaten bei zehnjährigen Euro-Staatsanleihen noch einen leichten Zinsanstieg um rund 0,2 Prozentpunkte. Die Experten empfehlen deshalb Kaufinteressenten, derzeit mit Vorsicht einzusteigen. Kepler-Anleihechef Eichhorn: "Ich würde jetzt aber schon einen kräftigen Schritt in den Markt tun. Aktuell halte ich sowohl Staatsanleihen als auch Unternehmensanleihen für attraktiv. Und für alle, die nicht an einen Rückgang der Inflation glauben, sind auch Fonds mit inflationsgeschützten Anleihen einen Blick wert."

Ganz sicher macht der Staat dieses Jahr mit Anleihen gute Geschäfte. Er muss zwar für neue Schulden höhere Zinsen zahlen, dafür laufen aus früheren Jahren noch höher verzinste Papiere aus. Die absoluten Zinskosten haben sich seit dem Jahr 1995 auf unter 3,5 Milliarden Euro halbiert. Gemessen an der Wirtschaftsleistung Österreichs sieht die Entwicklung noch besser aus. Die durchschnittliche Zinslast beträgt heuer nur noch 0,75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es noch 0,85 Prozent, im Jahr 1995 sogar 3,51 Prozent.