Universitäten unterliegen immer mehr dem Prozess der Ökonomisierung.

Orchideenfächer an der Uni: hübsch, teuer, nutzlos?

Orchideenfächer an der Uni: hübsch, teuer, nutzlos?

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Bonn, zu Weihnachten 2014. In einer kleinen Uni-Kaffeeküche findet ein seltsames Grüpplein zusammen. Der Sprachdozent stimmt mit seiner kruden Flöte eine uralte gälische Melodie an. Ein Student bläst auf dem Dudelsack den Rhythmus dazu. Und voller Inbrunst singen dann alle eine kymrische Volksweise in einer Sprache, die seit Jahrhunderten fast ausgestorben ist und in der es vor rollenden "R's" nur so wimmelt. So ist es oft, wenn Keltologen feiern.

Derweil hat eine Studentin an der Universität Wien ihre Master-Thesis eingereicht. Die Arbeit dreht sich um die historische Schrift "Tathagatagarbha sutras". Das ist kein sinnloser Buchstabensalat, sondern der Titel eines wichtigen buddhistischen Dokumentes, das die Tibetologin bis in die kleinste Facette analysiert hat. Ungefähre Übersetzung: "Text über den Embryo des Buddha".

Nett zu wissen, doch unnötig zu wissen

Wenige Monate zuvor, vor Bekanntgabe des Wirtschaftsnobelpreisträgers 2014, fiel kurz ein Schlaglicht auf einen Kölner Ökonomen, dessen Arbeiten nur einem kleinen Kollegenkreis bekannt sind, ihn aber trotzdem auf die Short-List für diese begehrte Auszeichnung katapultiert haben. Axel Ockenfels, ein experimenteller Wirtschaftsforscher, hat in ausgeklügelten Versuchsanordnungen herausgefunden, dass Menschen, die von gierigen Zeitgenossen umgeben sind, selber leichter gierig werden - ein Beitrag seiner akademischen Disziplin "Behavioristik zur Analyse der Finanzkrise".

"Dank solcher Erkenntnisse ist die experimentelle Wirtschaftsforschung heute kein Orchideenfach mehr", sagt Ockenfels. Doch jahrelang wurde diese Studienrichtung von Mainstream-Professoren als jenseitiges Wissensgebiet abgekanzelt, als Musterung ohne Wert, maximal unter "Nett zu wissen, doch unnötig zu wissen" schubladisiert. Ein Urteil, das nach wie vor über jede Menge Studienfächer gefällt wird. Etwa über Semitistik, die Lehre von der kulturellen Verständigung im Nahen Osten und Nordafrika. Oder über Mongolistik, das Studium der Geschichte, Sprache und Kultur des einst mächtigen asiatischen Volkes.

Das Wissenskapital wird auf Zahlen umgelegt

Selbst Studien wie Japanologie, Sinologie - und zwar trotz der beachtlichen wirtschaftlichen Bedeutung von Japan und China - oder das Schöngeist-Fach Byzantinistik und Neogräzistik, in dem man viel über die historischen Wurzeln des Genozids an den Armeniern vor genau 100 Jahren erfährt, haben hierzulande - aber im Grunde im ganzen europäischen und angloamerikanischen Raum - das zwiespältige Image einer Orchidee: hübsch, teuer, brot- und nutzlos. In Österreich nicht zuletzt deswegen, weil Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser 2001 die Studienrichtung Orientalistik expliziert als entbehrliches "Orchideenfach" abqualifiziert hatte.

Gerade an der Universität Wien, die 2015 ihr 650-jähriges Bestehen feierte und wo sich eine Vielzahl solcher "Fächer mit geringen Studierendenzahlen", so das Anti-Orchideen-Mantra des früheren Vizerektors Artur Mettinger, angesammelt hat, wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen solche Angriffe auf das übergeordnete Bildungsziel der universellen Wissensvermittlung. Doch auch die Wiener Alma Mater unterliegt immer mehr dem Prozess der "Ökonomisierung der Universitäten".

Nicht ausreichende "Employability", also mangelnde Beschäftigungsfähigkeit, nennt das der Klagenfurter Hochschulforscher Helmut Guggenberger: Hochschulen würden bloß noch Absolventen "produzieren" und Studiengänge zu "Produkten", deren Erfolg man beinhart quantifiziere - in Anfängerzahlen, Absolventenzahlen, Drop-out-Zahlen. "Das Wissenskapital wird auf Zahlen umgelegt", sagt Guggenberger. "Und die werden zu den natürlichen Feinden der bedrohten Masterstudienarten."

Auch die Quantenphysik war noch Anfang des 20. Jahrhunderts ein Orchideenfach

Vielen Orchideen-Studenten könnte es dann so ergehen wie dem Doktor der Philosophie Helmut Hofbauer, der fünf Sprachen beherrscht, gerade sein sechstes Buch über Erkenntnistheorie ("Einladung zur Odyssee") veröffentlicht hat, aber dennoch zehn Jahre lang als Kino-Filmvorführer sein tägliches Brot verdienen musste. Inzwischen hat er einen Administrationsjob beim Biotech-Start-up Aposcience des renommierten AKH-Lungenchirurgen Hendrik Jan Ankersmit gefunden. "Karl ist dreimal gescheiter als ich", resümiert Ankersmit. "Aber er verdient dreimal weniger als ich."

Auch der Top-Mediziner beklagt die Praxis der akademischen Ausbildung zutiefst. Zentrale, breite Studienrichtungen wie etwa Medizin, Jus oder BWL würden Studenten nur noch konditionieren, für das spätere Berufsleben systematisieren und ihnen "die Freiräume nehmen, verwirrt zu werden", sagt er. "Ihre Fragen werden immer kleiner. Deswegen müssen Orchideenfächer gefördert werden, weil sie über den Tellerrand hinaussehen."

Gerade wegen ihrer ungewöhnlichen Wissensgebiete haben viele Orchideenfächer mitunter auch ein ungemein hohes wirtschaftliches Potenzial. Das mag an politischen Umwälzungen liegen, die plötzlich Nebenschauplätze ins geostrategische Zentrum rücken. So sind durch den Vormarsch des "Islamischen Staates" oder einer möglichen Reintegration des Iran ins westliche Machtgefüge die Experten der Wiener Arabistik- und Iranistik-Institute nun äußerst gefragt. Und wegen der EU-Erweiterung wird die frühere Exoten-Disziplin Finno-Ugristik immer mehr belegt.

Das mit einem Male erwachende Interesse an schrägem Sachwissen liegt aber vor allem an großen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen - von der Globalisierung bis zur digitalen Revolution. "Auch die Quantenphysik war noch Anfang des 20. Jahrhunderts ein Orchideenfach", sagt Guggenberger. Heute ruhen auf Leuchtturm-Forschern wie etwa dem Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger die Hoffnungen einer ganzen Industrie.

Human-Ressource-Experten beobachten auch, dass große, internationale Unternehmen zunehmend nach ausgefallenen Talenten suchen, Fachspezialisten hätten sie ohnehin genug. "Nur 50 Prozent der beruflichen Erfolgsaussichten hängen von fachlicher Qualifikation ab, wichtig sind auch Kommunikations- und Teamfähigkeit", sagt etwa Jens Hohensee vom Personalberater Kienbaum. "Aber inzwischen werden bei vielen Auswahlverfahren einige Prozent speziell für jene Absolventen offen gehalten, die nicht aus den Wirtschaftswissenschaften, dem Ingenieurwesen oder der Juristerei kommen. Gerade die Geisteswissenschafter können frisches Denken reinbringen." So kann es durchaus sein, dass man heute bei Investmentbanken oder Hedge-Funds genauso gut Kunsthistorikern, Ethnologen oder Numismatikern über den Weg läuft wie früher bloß Marketing-oder Controlling-Fuzzis.

Übrigens: Einen der Keltologen, den Meister des Dudelsackes, hat es während des Studiums nach Edinburg zur Royal Bank of Scotland verschlagen, die im Zuge der Finanzkrise notverstaatlicht worden war. Er musste dort Problemkredite an bretonisch, irisch, kymrisch und schottisch-gälisch sprechende Kunden nach den Vorgaben der Finanzaufsicht wieder ins Lot bringen.