„Wo Himmel nur und Wellen”

Griechenland: Auf Zakynthos sind Massentourismus und Urlaubsidylle zu finden

Griechenland. Auf Zakynthos sind Massentourismus und Urlaubsidylle, Naturschauspiel und Kleinstadtflair zu finden

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Der Standort macht den Unterschied. Ziemlich in der Mitte von Zakynthos, im Dorf Agia Marina, rund 15 Minuten Autofahrt von Zakynthos-Stadt entfernt, ragt ein zweistöckiges Gebäude in den blauen Himmel, griechisches Nationalbanner am Portal. In "Helmis Naturhistorischem Museum“, anno 2000 auf Privatinitiative gegründet, steht Mitarbeiterin Mavra vor einer mannshohen, meterlangen Weltkarte. Sie führt durch Geografie und Geologie, Fauna und Flora der Insel, in perfektem Deutsch, nur Worte wie "Schleiereule“ und "Wiedehopf“ wollen ihr nicht immer gleich einfallen. Auf der Landkarte hinter ihr wirkt Zakynthos winzig, wie ein Staubkorn, ein grüner Fleck auf großem Blau. Es ist Mavras Aufgabe, den Besuchern die wahre Größe der Insel zu veranschaulichen, die dicht bevölkertes Stadtgebiet wie dünn besiedelte Bergdörfer, kilometerlange Sandstrände wie schroffe Felslandschaften zu bieten hat. Die zierliche Frau mit dem schulterlangen schwarzen Haar lebt hier seit vielen Jahren. Sie weiß eine Menge über den von Wasser umspülten Punkt im Ionischen Meer.

Lage von Zakynthos, Griechenland

Zakynthos umfasst eine Fläche von knapp über 400 Quadratkilometern, an die 39.000 Menschen leben in Hochland und Tiefebene, die meisten in Zakynthos-Stadt, dem politischen und gesellschaftlichen Zentrum. Zwei Jahreszahlen sind hier jedem Kind geläufig: 1797 zogen die Venezianer nach über 300 Jahren Herrschaft ab - und hinterließen den Namen "Zante“, wie Zakynthos noch heute von vielen Einheimischen genannt wird. 1953 wurde die Kapitale durch ein Erdbeben nahezu vollständig zerstört, einzig die Grundmauern von vier Häusern hielten Erderschütterung und Bränden stand. Mittlerweile herrscht auf Zakynthos saisonaler Ausnahmezustand anderer Art: Bis zu einer halben Million Touristen fallen während der Sommermonate ein, von Anfang Juni bis Ende September reiht sich an den kilometerlangen Sandstränden von Laganás und Kalamáki im Südosten Liegestuhl an Liegestuhl. Strandtheken und Tavernen tragen Namen wie "Kamikaze“ und "Sabotage“, ausgeschenkt wird hektoliterweise "Mythos“-Bier. Horden von Vergnügungssüchtigen flanieren entlang der Durchzugsstraße. Der letzte Schrei sind so genannte "Fish Spas“, Lokale, in denen sich Touristinnen von kleinen Fischen überschüssige Haut von den Füßen nagen lassen. Frauen in Bikinis und Männer in Badehosen, Helme auf den Köpfen, machen auf Leihmopeds die Straßen mehr als unsicher. Abseits der Hauptreisezeit prägen Kulissenstädte und Geisterstrände die Landschaft. Dem zweiten bestimmenden Wirtschaftsfaktor der Provinz, der Landwirtschaft, begegnet man fernab der Amüsiermeilen: Zakynthos besitzt üppige Wein-, Obst- und Früchteplantagen, zwei Millionen Olivenbäume sind über die Insel verteilt. "Nicht wenige davon sind 2000 Jahre alt“, hebt die Museumsführerin Mavra eine weitere Besonderheit hervor.

In einer Ecke des Naturkundemuseums von Agia Marina lauert, ausgestopft und erstarrt, ein Schwarzbär. Die Tier- und Pflanzenwelt fernab des vom Festland insular abgeschnittenen Gebiets ist nur pro forma vertreten, Bären waren auf Zakynthos zu keiner Zeit heimisch. "Das ist Amerika, das Afrika, und das hier ist Europa“, geht Mavra zügig die Kontinente durch, mit rascher Geste weist sie auf präparierten Luchs und Flamingo, auf Klapperschlange und Krokodil. Im Zentrum steht Zakynthos. Es gibt schließlich etliche Tier- und Gewächsarten - Schafe, Enten, Melonen -, die nur hier gedeihen. "Wiedehopf, Bienenfresser, Pirol“, sagt Mavra, "der ganze Vogelzug macht Station auf Zakynthos

Im Museum ist auch eine historische Tuschezeichnung ausgestellt, die ein Kloster auf Zakynthos zeigt. Über den Schöpfer der Skizze ließe sich viel erzählen, dennoch verliert Mavra kein Wort über Leben und Werk des Kartografen und Entdeckers Ludwig Salvator, der 1904 unter dem schlichten Titel "Zante“ eine monumentale Monografie über die Insel publizierte, literarische Wunder- und Kuriositätenkammer von mehr als 1000 Seiten und einzigartiges kulturhistorisches Gedächtnis zugleich. Nicht nur auf Zakynthos ist er ein Unbekannter.

Dabei handelt es sich bei Salvator (1847-1915), Luigi gerufen, um eine überaus schillernde Persönlichkeit. Der Cousin Kaiser Franz Josephs und Freund Jules Vernes unternahm mit 20 Jahren seine erste Reise zu den Balearischen Inseln, deren größte, Mallorca, er sich bald zur Wahlheimat erkor. Wobei der Begriff Heimat im Zusammenhang mit Salvator, der zeitlebens ein betont schlampiges Äußeres pflegte und von Entdeckergeist regelrecht getrieben war, nicht so recht passen will. "Der Wandertrieb ist dem Menschen angeboren“, befand er. Gern zitierte Salvator, der sämtliche Weltausstellungen seiner Zeit besuchte und mehr als zehn Sprachen beherrscht haben soll, auch die gereimte Sentenz eines Seemannskollegen der kaiserlich-königlichen Marine: "Hinaus, hinaus aufs weite blaue Meer / Hinaus, wo Himmel nur und Welle / Wo nie das Herz mir bang und schwer / Zu Schiff, zu Schiff ist meine Stelle!“ Mit seiner Dampfsegelyacht "Nixe“ bereiste Salvator jahrzehntelang das Mittelmeer, auf Landexpeditionen rüstete er sich mit kleinem Tintenfass in Globusform, mit Feder, Notizbuch, Regenschirm, Fotoapparat und Fragebögen, die er den Bewohnern des jeweiligen Exkursionsziels vorlegte. Deren Antworten kompilierte er mit eigenen Eindrücken zu voluminösen, anonym veröffentlichten Luxusbänden, die er an Freunde und Mitarbeiter verschenkte. 1869 publizierte der Reisefantast, der in einer Nische der Wiener Kapuzinergruft seine letzte Ruhestätte fand, den ersten Teil seines "Balearen“-Berichts, der mit der Zeit um zig Bände und Tausende Seiten anwuchs. In über 70 Werken registrierte und katalogisierte Seine Durchlaucht Destinationen mit verheißungsvollen Namen: Paxos, Antipaxos, Ithaka, Levkas, die Liparischen Inseln im Ionischen Meer. Das damals nahezu menschenleere Mallorca beschrieb er ebenso wie das kleinstädtische Los Angeles in erschöpfendem Detailreichtum: vom Kleinstgetier über historische und klimatische Besonderheiten bis zu Gebräuchen und Gedichten der Bevölkerung. 1904 publizierte er den ersten Band seiner "Zante“-Erkundung, den "Allgemeinen Theil“; noch im selben Jahr folgte der "Specielle Theil“: weitere 405 Seiten über Zakynthos, mit zahllosen Tabellen, Zahlen, Fakten zu Stadt und Küste, zu Ebene und Gebirgszug, viel Wissenswertes, allerhand Nutzloses. "Viele haben auf ihren Mittelmeerfahrten Zante gesehen“, stellt Salvator einleitend fest. "Man muss sie mit einem Boot umfahren, die Wildtauben aus ihren schattigen Winkeln und Höhlen wegfliegen sehen, man muss jeden kleinen, sandigen Strand, jede kleine Einbuchtung, jeden natürlichen Bogen, der wie ein Riesenstrebepfeiler ins Meer vorspringt, umschiffen, um eine Vorstellung von ihren wilden landschaftlichen Reizen zu erhalten.“ Auf Zakynthos erinnert heute nichts an den hingebungsvollen Chronisten, dessen "Zante“-Saga erst kürzlich ins Griechische übertragen wurde. In gängigen Reiseführern wird der Name Ludwig Salvators nicht erwähnt.

Dionysis Tsilimigras, 56, muss man nicht lange erklären, wer der erste professionelle Tourist der Insel war. Man könnte sagen, Tsilimigras und Salvator verbindet eine familiäre Nahbeziehung. Etliche Ahnen des Bio-Olivenbauers, der mit rosa Lesebrille und Fünftagebart so etwas wie professorale Würde ausstrahlt, standen mit dem historischen Expeditionsleiter in Kontakt. Wie weit der Verwandtschaftsgrad tatsächlich reicht, wird wohl nie gänzlich zu klären sein: Über uneheliche Kinder hüllte sich der Wiener Kaiserhof in Schweigen. Tsilimigras ist aufgekratzt, es ist Montag vergangener Woche, Griechenland steht im Viertelfinale der Fußball-EM. "Endlich eine kleine Freude“, sagt er in markantem Deutsch, Brummstimme. "Ich wünschte, die Politiker orientierten sich an unseren Spielern: überschaubares Talent, aber mit viel Arbeit zum Erfolg.“ Neben seiner landwirtschaftlichen Arbeit hält Tsilimigras regelmäßig Griechischkurse in der Sommerakademie Zakynthos ab, einer österreichischen Urlaubsinstitution, die dem Konzept des sanften Tourismus mit künstlerischem Schwerpunkt folgt. "Zakynthos besitzt großes kulturelles Potenzial, dies gilt es endlich zu entdecken und den Touristen näherzubringen“, poltert Tsilimigras, seine gute Laune verfliegt. "Zakynthos wird bereits in der, Odyssee‘ erwähnt. Auf Zakynthos wurden Dionysios Solomos, Griechenlands Nationaldichter, und Ugo Foscolo, der Goethe Italiens, geboren.“ Stattdessen, jammert Tsilimigras und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, sei das heimliche Wahrzeichen der Insel ein Berg rostenden Metalls.

Zakynthos’ symbolischer Beitrag zur gegenwärtigen Wirtschaftskrise lagert in einer malerischen Bucht im Norden. Neben der Karettschildkröte, die zur Eiablage die Strände bevölkert - zahllose Bars und Gestadeabschnitte sind nach dem Tier "Caretta caretta“ benannt -, ist Zakynthos für ein von Sand unterspültes Schiffswrack bekannt. Umschlossen von nahezu senkrecht ins Meer abfallenden Felswänden, einzig auf dem Seeweg erreichbar, korrodiert der gestrandete Frachter vor sich hin. Die Geschichte des maritimen Überbleibsels namens "Panagiótis“ erzählt, sinnbildhaft und stellvertretend, viel von den Ingredienzien der Haushalts- und Staatsschuldenkrise Griechenlands, einer Geschichte von Korruption, Steuerhinterziehung, Schattenwirtschaft. Um 1980 kreuzte das Schiff von der peloponnesischen Halbinsel auf dem Weg nach Italien die Küste von Zakynthos, beladen mit Schmuggelware. Die Hafenpolizei hatte einen Tipp erhalten und jagte den Frachter, worauf Kapitän und Mannschaft den Ballast, Zigaretten im Wert von umgerechnet mehreren Millionen Euro, im Meer entsorgten und auf Rettungsbooten die Flucht ergriffen. Der Kahn trieb führungslos auf dem Meer und strandete schließlich auf jenem Küstenabschnitt, der später, tourismustechnisch naheliegend, in Shipwreck-Beach umgetauft wurde. Man stößt, will man von Anrainern Näheres erfahren, bis heute auf vage Erklärungen, Achselzucken, Unbestimmtheit. "Thadoume“, heißt es dann, wie so oft in Griechenland. Wir werden sehen. Immer mit der Ruhe.

Auf Zakynthos selbst hat die Krise, wie auch im Rest der Welt, viel mit hohen Zahlen, mit Gier ohne Grenzen zu tun. Auf dem Eiland sollen rund 64.000 Autos und 80.000 Mobiltelefone angemeldet sein, jeder Einwohner nennt, statistisch betrachtet, eineinhalb Fahrzeuge und zwei Handys sein Eigen. Seit einigen Jahren verzeichnet die Tourismusbranche auf Zakynthos Einbrüche um bis zu 40 Prozent. Dennoch sind die Auswirkungen der Finanzmalaise rund eine Flugstunde vom Epizentrum Athen entfernt nur moderat zu spüren. Die Krise findet anderswo statt, nicht auf Zakynthos, Nabel der Welt. "Mit dem Continente“, stellte Ludwig Salvator bereits vor über hundert Jahren fest, unterhalte man in Zakynthos nämlich "nur geringe Beziehungen“.

Reise. Viele österreichische Autoren haben weit über die Landesgrenzen hinaus ihre biografischen und literarischen Spuren hinterlassen: Die Klagenfurter Dichterin Ingeborg Bachmann lebte und starb in Rom; der k. u. k. Literat Franz Werfel thematisierte in seinem 1933 veröffentlichten Historienepos "Die vierzig Tage des Musa Dagh“ den Völkermord an den Armeniern durch die türkischen Belagerer; die Indien-Visiten von Büchner-Preisträger Josef Winkler finden sich als vielfältiges literarisches Echo in dessen Werk. Nach der 2008 unternommenen Erkundung zentraler literarischer Schauplätze der Donaumonarchie und den 2010 und 2011 publizierten poetischen Spurensuchen - etwa in Tel Aviv, Kopenhagen, Kairo, Costa Rica, China, Rio de Janeiro und Istanbul - begibt sich profil in einer neuen mehrteiligen Serie auf die Fährte der historischen und gegenwärtigen Spuren, die Österreichs Literatur im Ausland hinterlassen hat: unter anderem in Los Angeles, Abu Dhabi, Griechenland und Thailand.

Web-Navigator

Zahlreiche Werke Ludwig Salvators sind hier online lesbar, unter anderem "Zante“.

Übersicht zu Buchungsmöglichkeiten und Veranstaltungsprogramm der Sommerakademie Zakynthos.

Dionysis Tsilimigras vermietet Gästezimmer innerhalb seines vier Hektar großen Olivenhains.

Kulinarikferien auf dem Biolandgut der Familie Logothetis. Geboten werden unter anderem Naturblütenhonig, Oliven und verschiedene Weine.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.