„Land im Sonnenschein”

Kapstadt: In der Südafrika-Metropole prallen Extreme aufeinander

Kapstadt. In der Südafrika-Metropole prallen Extreme aufeinander

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Hier ist der Tafelberg zu hoch, da zu klein dargestellt. Auf einem dritten Gemälde sind die flankierenden Anhöhen von Kapstadts Wahrzeichen, Teufelsspitze und Löwenkopf, verkehrt angeordnet in Öl erstarrt. Ein Besuch im Kastell, dem ältesten Gebäude der Stadt, das mit seinen historischen Kunstwerken wie eine Trutzburg in Schönbrunngelb gegen das umgebende urbane Gelärme und Gedränge wirkt, rückt die Metropole und das über 1000 Meter in den Himmel ragende Bergmassiv in weite Ferne. Im Kastell, das in seiner mehr als 300-jährigen Geschichte einen einzigen Kanonenschuss abbekam, wirkt Kapstadt noch immer wie ein Traum von einer Stadt.

Gemälde, viele davon zu einer Zeit entstanden, als Reisen mit Plackerei und Abenteuer gleichgesetzt wurde, säumen die Wände des größten Raums in dem labyrinthartigen Komplex, der heute als Touristenattraktion dient. Chinesisches Porzellan aus dem 17. und 18. Jahrhundert ist ebenso ausgestellt wie wertvolle Möbel indonesischer Meister; der Weg durch die Festung führt entlang von Kellerlöchern und Kerkernischen, in denen einst Gefangene grausam eingesperrt gehalten wurden.

Mystisch verklärter Ort
Im abgedunkelten Obergeschoss teilt ein langer Tisch mit 111 Sesseln die Bilderschau. Auf den alten Ansichten haben viele Künstler, überwältigt vom Dreiklang aus Berg, Ozean und Meeresansiedlung, der steinernen Landmarke mit dem markant plateauförmigen Scheitel kurios anmutende Proportionen verliehen. Nur wenige Maler waren damals vor Ort, viele erfuhren vom Hörensagen von jener jahrhundertlang mystisch verklärten, nach dem "Kap der Guten Hoffnung“ benannten Stadt am südwestlichsten Punkt Afrikas, in der die Sonne zu Mittag im Norden steht. Tatsächlich endet der Kontinent rund 60 Kilometer, eine gute Stunde Autofahrt, vom Zentrum Kapstadts entfernt. Eine schlichte Holztafel markiert den Endpunkt, lange Reihen von geografischen Koordinaten findet man eingraviert: 34° 21’ 25’’ südliche Breite, 18° 28’ 26’’ östliche Länge. Rund um das Hinweiszeichen tummeln sich Touristen, zahllosen Reisebussen und Autos entstiegen, zu Erinnerungsfotos gruppiert. Es ist ein Ort, dem seine einstige Bedeutung als historischer Brennpunkt abhandengekommen ist. Ein Platz ohne Geheimnis und viel Parkfläche, umspült von Wasser, so weit das Auge reicht.

Eine der schönsten Städte der Welt
Kapstadt hat sich einen Rest an Mirakel bewahrt. In Reiseführern wird die Millionenmetropole als eine der schönsten Städte der Welt beschrieben. Das Klima ist gemäßigt, die Jahreszeiten sind dem europäischen Wetterkreislauf entgegengesetzt. Kapstadt beeindruckt, geschichtlich bedingt, mit vielfältiger Alltagskultur: Seit ihrer Gründung vor mehr als 350 Jahren haben zahllose Kolonialisten und Invasoren - viele davon als Sklavenhändler und Willkürherrscher über die einheimische Bevölkerung - Spuren in Mentalität und Erscheinungsbild hinterlassen, in Architektur und Kultur, in Sitten und Gebräuchen. In Ulrich Naumanns deutscher Buchhandlung, seit 50 Jahren eine Kapstädter Institution, finden sich sogar vereinzelte Werke österreichischer Autoren, im Regal abseits der aktuellen Bestseller: eine verstaubte Originalausgabe von Ilse Aichingers Band "Schlechte Wörter“, erschienen 1976, und Rudi Pallas Kompendium "Kurze Lebensläufe der Narren“.

"Armed Response"
Kapstadt gibt nicht nur in dieser Hinsicht Rätsel auf: Jeden Tag, pünktlich um zwölf Uhr, wird auf dem Signalberg, einer weiteren Erhebung des Tafelberg-Ensembles, ein Kanonenschuss abgefeuert. Ein Teil der Kapstädter Ringstraße, ein baulich verunglückter Verkehrsweg auf Betonstelzen, bricht unversehens ab. Seit Jahren ragen struppige Bündel schwarzbrauner Stahlstangen in die Luft, es scheint so, als ob die Bauarbeiter nur auf Mittagspause wären. Die Straße, die jäh endet, wirkt wie ein weiteres Symbol für die Extreme, die den inmitten eines ausgedehnten Nationalparks gelegenen Ort prägen. In den Katakomben der St. George’s Cathedral, einem der großen Gotteshäuser der Stadt, ist ein Jazz-Club untergebracht, Kerzen auf den Tischen, Bühnenlandschaft in Blau. Die St. Paul’s Anglican Church nahe des alten malaiischen Viertels mit seinen grellbunten Fassaden gleicht mit ihren Stacheldrahtschlingen auf mannshohen Mauern einem Sicherheitstrakt. Kapstadt ist ein Ort mit hoher Kriminalitätsrate, die Lokalzeitung meldet Todesfälle als Kleinanzeigen, als Mitteilungen am Rande. Ein Schild beim Portal der Kirche warnt: "Armed Response“. Dazu die Telefonnummer einer Sicherheitsfirma. Wer sich in den Andachtsort ungebeten Zutritt verschafft, muss mit Waffengewalt rechnen. Es fällt zuweilen schwer, Kapstadts Charakter auf den Punkt zu bringen.

Ludger Pooth weiß eine Menge über Kapstadt. Er hegt für die Stadt eine schier grenzenlose, zuweilen verzweifelte Zuneigung. Pooth, 57, sitzt in einer Bar in der Nähe seines kleinen Reihenhauses im Nobelbezirk Vredehoek, ein pokalartiges Glas "Darling“-Bier auf dem Tisch. Er lebt seit mehr als zehn Jahren hier, in der Nähe der drei Betonwohnblöcke beim Disa-Park, die jedes Panoramafoto der Stadt verschandeln und die Touristenführer gern als "Salz-, Pfeffer- und Senftürme“ verniedlichen. Der Mann mit dünnem Haarzopf, brauner Lederjacke und einer Brille, die oft auf die Nasenspitze rutscht, war einst "Bild“-Reporter und TV-Journalist, nun mischt er Hobby und Beruf. Kapstadt ist als Weinregion überregional bekannt. Pooth ist Gründer einer Agentur, die gastronomische Exkursionen abseits bekannter kulinarischer Reiserouten anbietet. Auch deshalb zelebriert er, umgeben von Wein-trinkern, sein "Darling“.

Es fällt ihm leicht, geläufige Kapstadt-Klischees zu zertrümmern. Kommt das Gespräch auf die Politik, macht er ein sauertöpfisches Gesicht. Pooths Brille rutscht dann häufig die Nasenwurzel entlang, so heftig muss er den Kopf schütteln. Salz, Pfeffer, Senf? "Diese Bausünden werden, Tampontürme‘ genannt“, korrigiert Pooth belustigt. Ärgerlich wird er beim Stichwort "Regenbogennation“.

In der Ära der Apartheid, einem der großen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, waren Rassenwahn und Tyrannei in Südafrika an der Tagesordnung, die systematische Trennung der Bevölkerung nach ethnischen Kriterien bis zu den ersten freien Wahlen 1994 Staatsdoktrin - mit tektonischen Folgen bis nach Österreich: In den 1970er-Jahren warb das Regime am Kap, dem es an gut ausgebildetem Personal mangelte, auch in Österreich um Arbeitskräfte. "Land im Sonnenschein, ein Platz für alle“, versprach ein Inserat in der "Kronen Zeitung“ Ende 1977. Der "Kurier“ schwärmte unkritisch, dass "Einwanderern von Staats wegen der Großteil der Reisekosten“ bezahlt werden würden. Die an Wiener Würstelständen feilgebotene Burenwurst ist Zeichen historischer Parteinahme: Während Kaiser Franz Joseph um 1900 in den Burenkriegen seine Loyalität mit den am Kap kämpfenden Briten betonte, sympathisierten die Untertanen Ihrer Majestät mit den zahlenmäßig unterlegenen Buren, die 1902 vom Empire besiegt wurden. Der Krieg der Rassen setzte in Südafrika bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein.

Das District Six Museum in der Buitenkant Street und ein weitläufiges, von Stadtautobahnen eingezwängtes Ödland nahe des Zentrums legen vom Irrsinn der Apartheid eindrückliches Zeugnis ab. 1966 begann die Stadtregierung mit der Zwangsräumung des mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Bezirk Sechs, bis 1982 fielen über 60.000 Menschen der Umsiedlungsaktion zum Opfer. Seit Jahrzehnten liegt das Gebiet zwischen der gegabelten Autobahn weitestgehend brach - ein stummes Mahnmal des rassistisch motivierten Wahnsinns. Im District Six Museum erhebt sich nahe der Holzbank mit dem Hinweis "Nur für Europäer“ eine Installation mit Straßenschildern, verbeulten, verrosteten Blechtafeln mit Namen von Gassen und Plätzen, die, wäre es nach den Stadtoberen gegangen, ausgelöscht hätten werden sollen. Ein Mitarbeiter der Kommune rettete verbotenerweise die sich im Museum zum Memento auftürmenden Wegmarken.

1994 wurde Nelson Mandela nach 27 Jahren Haft auf der Kapstadt vorgelagerten Gefängnisinsel Robben Island zum ersten frei bestimmten Präsidenten Südafrikas gewählt. Der Kapstädter Bischof Desmond Tutu prägte damals das Wort von der "Regenbogennation“, in der Absicht, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe zu harmonisieren. "Das ist Zuckerguss“, schüttelt Ludger Pooth den Kopf. "Welcher Regenbogen strahlt in den Farben weiß und schwarz? Wo bleiben all die anderen Bevölkerungsgruppen? Die Ureinwohner? Buschmänner, Hottentotten, Xhosa?“ Pooth bestellt sein zweites "Darling“, er zündet sich eine Zigarette an. Sein Sturmfeuerzeug schnappt zu. "Mandelas seit Jahrzehnten regierende ANC-Partei hat den Umschwung von einer Widerstandsbewegung zu einer politischen Bewegung nie geschafft. Nach knapp 20 Jahren ANC-Herrschaft liegt das Land wirtschaftlich ausgeblutet am Boden, Geld versickert in dunklen Kanälen, tiefe Gräben ziehen sich durch eine zerrissene Gesellschaft.“

Wenige Kilometer von den Villen der Superreichen entfernt - Luftschlösser aus Glas und Stahl, die spektakulär aus den Flanken des Tafelbergs ragen und sich hinter Mauern verbergen, die mit Glasscherben und Stromschockanlagen bewehrt sind -, erstreckt sich eine andere Welt. Die Townships von Khayelitsha und Gugulethu gleichen Ozeanen aus Wellblechhütten, mit Geschäften in Containern, streunenden Hunden und Kindern, die in den Straßen Fußball spielen. In Gugulethu erinnert ein Denkmal an die "Gugulethu 7“, an jene sieben jungen Männer, die 1986 von Polizeieinheiten ermordet wurden. Es gibt nicht wenige Kapstädter, die den Namen des Elendsviertels gekünstelt französisch aussprechen, als zynischen Kommentar zur Lage: Gügülethü. Khayelitsha war für 30.000 Menschen geplant, heute leben mehr als anderthalb Millionen hier. Jeder Dritte ist HIV-positiv, Raubzüge, Vergewaltigungen und Morde sind täglich zu verzeichnen, zwölf Menschen werden im Schnitt pro Tag getötet. Das Ghetto generiert jeden Tag Geschichten von Elend und Sterben. Spätestens hier endet der Traum von Kapstadt. Es gibt wenige Geschichten, die zum Schmunzeln reizen, wie jene von den Stromklauern und den Männern hinter dem Vorhang. Ludger Pooth hat die "Men behind the Curtain“ in einem noch nicht ausgestrahlten TV-Film porträtiert: In Zeiten der Apartheid herrschte auch in Kapstadt rege Nachfrage nach zeitgenössischem Jazz. Die damals jungen Musiker aus den Armenquartieren durften nur verborgen hinter einem Bühnenvorhang oder verkleidet als Dienstjungen spielen. Bei Kontrollen mussten sie in die Küche flüchten und so tun, als ob sie Geschirr spülten. Die Stromdiebe von Gugulethu rechneten dagegen mit der Leichtgläubigkeit ihrer Opfer. Einem Mann, der ein TV-Gerät erstanden hatte, versprachen sie billige Elektrizität - worauf sich die Flimmerkiste in regelmäßigen Abständen ein- und ausschaltete. Die Gangster hatten den Fernsehapparat mit dem Stromkreis einer Ampelanlage kurzgeschlossen.

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Reisetipps: Adressen, Webseiten

Neben der leicht zu Fuß bewältigbaren Erkundung der Kapstädter City - darunter St. George’s Cathedral, District Six Museum, Kastell und Bo-Kaap, das malaiische Viertel mit seiner farbenfrohen Architektur - bietet die Metropole am Tafelberg zahllose kleinere und größere Attraktionen, fern massentouristischer Trampelpfade, darunter der seit 1793 existierende Tabakladen "Sturk’s“ beim Greenmarket Square.

Empfehlenswert ist eine Auto-Exkursion vom Kapstädter Zentrum zum Kap der Guten Hoffnung. Dabei passiert man nicht nur die "Südlichste Würstelbude der Welt“, deren Besitzer am Portal auffordert, nicht zu fotografieren, eher zu spendieren, und etliche Bade- und Surfstrände, die teils von Hai-Patrouillen überwacht werden, sondern auch den Chapman’s Drive, eine rund zehn Kilometer lange, mautpflichtige Küstenstraße mit spektakulärer Aussicht. Ludger Pooths Gourmetexkur-sionen sind unter www.gourmet.cape-town.info buchbar; ausführliche Infos zum District Six Museum hält die Site www.districtsix.co.za bereit. Lesehinweis: Die von Andrea Heuberger herausgegebene Kompilation "Rot-Weiß-Rot in der Regenbogennation“ (Lit Verlag) versammelt eine Fülle an Geschichten österreichischer Auswanderer in Südafrika, von denen gegenwärtig knapp 20.000 am Kap leben.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.