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Lebensmittelpunkt

Küchen waren stets ein Gradmesser für gesellschaftliche Entwicklungen – das beweist sich jetzt wieder.

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von Robert Prazak

Im Jahr 1959 diskutierten Richard Nixon und Nikita Chruschtschow bei einer Ausstellung in Moskau, ob Kapitalismus oder Kommunismus bessere Aussichten hätten. Ungewöhnlich war diese emotionale Debatte des damaligen US-Vizepräsidenten mit dem sowjetischem Ministerpräsidenten nicht, weil sie von Fernsehkameras festgehalten wurde, sondern weil sie ausgerechnet in einer Modellküche stattfand und daher als Küchendebatte in die Geschichte einging. Üblicherweise war die Küche zu dieser Zeit eher ein Ort, an dem im Stillen und ohne viel Reden gewerkt wurde – und zwar beinahe ausschließlich von Frauen.

Rund 60 Jahre später sind Küchendebatten nichts Ungewöhnliches: Die Küche ist zu einem zentralen Ort des Wohnens geworden, offene Küchen mit Integration in die übrigen Wohnbereiche schon lange keine Ausnahme mehr und das gemeinsame Kochen eine Selbstverständlichkeit. Küchen sind eben stets auch ein Gradmesser für die Gesellschaft. „Die Gestaltung und Einrichtung von Küchen zeigt Aspekte von gesellschaftlichen Entwicklungen auf. Dies betrifft vor allem Hygiene-Fragen und die Rolle der Frau in der Gesellschaft“, sagt Eva B. Ottillinger, Kuratorin im Möbelmuseum Wien. Sie hat vor einigen Jahren eine Ausstellung über Design und Geschichte von Küchenmöbel im Wiener Hofmobiliendepot, dem Möbelmuseum Wien, kuratiert. So war die Frau in der praktischen Einbauküche der Zwischen- und Nachkriegszeit beim Kochen abgesondert und von der Familie getrennt. „Das Kochen und das gemeinsame Essen fanden in getrennten Räumen statt.“ Nachdem Frauen bessere Ausbildungsmöglichkeiten erhielten und vermehrt einer bezahlten Erwerbsarbeit außerhalb der Familie nachgingen, wurde die Doppelbelastung – also Haushalt und Erwerbsarbeit – zum Thema, erzählt Ottillinger. Praktische, gut organisierte Kücheneinrichtungen sollten die Frauen entlasten: Die Frankfurter Küche der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky von 1927 war das bekannteste Beispiel dafür.

Als in den frühen 1980er-Jahren der deutsche Grafiker und Designer Otl Aicher in seinem Buch über die „Küche zum Kochen“ über die Überwindung der Trennung von Wohnraum und Küche schrieb, spiegelte das die gesellschaftliche Entwicklung wider. Die Mutter sei kein Dienstmädchen, sondern Mittelpunkt der Familie und sollte „nicht ausgeschlossen werden“, forderte Aicher. „Dieser neuen Sichtweise folgten schrittweise neue Grundrisslösungen, bei denen das Kochen in den Wohnbereich integriert wurde“, sagt Ottillinger. Heute findet man sowohl im Hausbau als auch bei Wohnungen Grundrisse, bei denen Küche und Wohnraum zur Einheit verschmolzen sind.

Und die Küche verändert sich erneut. Das unfreiwillige Daheimbleiben zu Coronazeiten inklusive Home-Office und Home-Schooling hat nicht nur das Wohnen insgesamt, sondern im Speziellen die Bedeutung von Küche und Kochen stärker ins Bewusstsein gerückt. Mehr noch als davor die Kochshow-Inflation im TV bewirkten Corona-Lockdowns das Überwinden der Herdimmunität. Das gemeinsame Kochen könnte die fortschreitende Beseitigung von Rollenklischees bedeuten, wie sie in kleinen Einbauküchen noch gefördert wurden. Dazu tragen neue Technologien bei. Vom Wasserhahn, aus dem kochendes Wasser kommt, über smarte Kochfelder, die verkohlte Steaks verhindern, bis zu Küchenmaschinen, die komplette Gerichte alleine zubereiten: Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Entsprechendes Budget vorausgesetzt – Gestaltungs – und Nutzungsmöglichkeiten der Küche sind nämlich immer auch Gradmesser der sozialen Stellung.

Ob die großen Wohn- und Kochräume für Home-Office und Home-Schooling optimal sind, ist indes eine andere Frage: „Ruhe zum Arbeiten hat man darin wenig“, meint Ottillinger. Bleibt die Frage, wie die Entwicklung der Küche weitergeht – eventuell  sogar in Form von Gemeinschaftsküchen? Diese Idee ist alt, sagt Eva B. Ottillinger. „Große Haushalte hatten immer eine große Küche, die alle versorgt.“ Fest steht: Die Küchendebatte bleibt spannend.

Kochkunst

„Die Küche ist Bestandteil des gesamten Wohnbereichs geworden“, sagt Johann Klein, Geschäftsführer von Möbel Klein und Obmann des Gremiums Elektro- und Einrichtungsfachhandel der Wirtschaftskammer Wien. Viele Menschen hätten in den vergangenen Monaten in ihren Wohnbereich investiert – und der Stellenwert der Küche sei nochmals gestiegen. „Gemeinsam zu kochen wird heute zelebriert, die Küche ist auch etwas zum Herzeigen.“ Entsprechend viel Hirnschmalz wird in die Planung gesteckt. „Es spielt ja viel hinein, von Installationen über Technik bis zur Um- bzw. Abluft.“ Zu den Trends bei der Einrichtung einer Küche zählen laut Klein hochwertige Oberflächen, die sich leicht reinigen lassen und widerstandsfähig sind; außerdem wird möglichst viel Stauraum gewünscht. „Und weiße Küchen bleiben gefragt, weil sich diese einfach allen Umgebungen anpassen.“ Für die nahe Zukunft werde Nachhaltigkeit als Thema wichtiger. „Man achtet in diesem Zusammenhang auch stärker auf österreichische Qualität.“