Eine Stadt, die niemals schweigt

Rom: Auf den Spuren Ingeborg Bachmanns in der "ewigen Stadt"

Rom. Auf den Spuren Ingeborg Bachmanns in der Metropole am Tiber

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Touristen haben ihr eigenes Tempo, sie schlendern, sie schauen hier und fotografieren dort. Sie stehen im Weg herum, weil sie oft nicht wissen, wo die Straße abgeht, die sie an ihr nächstes Ziel führen soll. Für solche Trödler hat diese Frau keinen Nerv. Selbst wenn sie nur spazieren geht, wirkt es, als ob sie zu einem wichtigen Termin eilen müsste. Gelassenheit liegt ihr einfach nicht im Blut. Ihr blaues Halstuch mit dem sommerlichen Blumenmuster, das selbstverständlich perfekt zu ihrer Bluse passt, weht elegant im Wind. Die aktuellen Tageszeitungen hat sie locker unter ihre schwarze Handtasche geklemmt. Für die Stadt, die sie umgibt, hat sie kaum einen Blick übrig. Mit schnellem Schritt eilt sie durch enge Gassen, über steinerne Brücken und schreitet hurtig die Spanische Treppe hinunter. Beim Eingang zum Antico Caffè Greco geht ihr wieder alles viel zu langsam. Fast drängt sie eine Frau zur Seite, springt nach vor, grüßt mit einer lässigen Handbewegung die Kellnerin hinter der Theke – und weiß natürlich sofort, was sie bestellen möchte.


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Mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann durch Rom zu promenieren ist Hochleistungssport. Gemütlichkeit sieht anders aus. Italienische Lebensart auch. 1973 hat der ORF die Autorin durch Rom begleitet und das 24-minütige filmische Porträt „Ingeborg Bachmann in Italien“ gedreht. Man sieht die Häuser, in denen sie gewohnt hat (zumindest von außen), hört ihre Haushälterin, die „Signora Backmann“ sagt, und erlebt eine Schriftstellerin, die keine Zeit zu verlieren hat. Einen Menschen, der unruhig und gehetzt wirkt.

Als diese Aufnahmen entstanden, war Ingeborg Bachmann bereits schwer tablettensüchtig, sie nahm Schlafmittel häufig in Verbindung mit Alkohol. Eine gefährliche Kombination, wie sich herausstellen sollte: Im September desselben Jahres schlief die Autorin beim Rauchen im Bett ein und erlitt schwere Verbrennungen. Wenig später, am 17. Oktober 1973, starb Ingeborg Bachmann in einem römischen Krankenhaus – jedoch nicht an den Folgen ihrer Verbrennungen, sondern weil aufgrund ihrer Tablettenabhängigkeit das richtige Medikament nicht gefunden werden konnte, um eine gezielte Therapie einzuleiten.

Biedermeiermöbel. Ingeborg Bachmann war ein unsteter Mensch. Längerfristig heimisch wurde die 1926 in Klagenfurt geborene Autorin nirgends. Die Liste ihrer Wohnsitze ist lang: Wien, Ischia, Neapel, Rom, München, Zürich, Berlin. Allein nach Rom ist sie viermal gezogen. Gerade ihre letzten Jahre verbrachte sie dort in einer seltsamen Ambivalenz: „Das schwer Erklärliche ist aber, dass ich zwar in Rom lebe, aber ein Doppelleben führe, denn in dem Augenblick, in dem ich in mein Arbeitszimmer gehe, bin ich in Wien und nicht in Rom. Das ist natürlich eine etwas anstrengende oder schizophrene Art zu leben.“ In ihrer hellen römischen Wohnung standen dunkle Biedermeiermöbel, „in Berlin erworben, an Wien erinnernd“, und ein Bauernschrank ihrer Großmutter aus Obervellach. Den Roman „Malina“, den ersten Teil ihres kräfteraubenden „Todesarten“-Projekts, das auf drei Teile angelegt war, hatte sie 1971 veröffentlicht – das Buch spielt in Wien. Rom selbst fand kaum Eingang in ihr Prosawerk, sieht man von kurzen Passagen in der Erzählung „Das dreißigste Jahr“ ab. Dabei schwärmte Bachmann in Interviews gerne über die Metropole am Tiber: „Es sind nicht die Schönheiten, nicht die Orangenbäume und nicht die herrliche Architektur, sondern die Art zu leben. Ich habe hier leben gelernt.“

Müllsäcke. Man kann keine bessere Werbung für seine Ware machen: Am Campo de’ Fiori, einem belebten römischen Marktplatz, schiebt sich ein Gemüsehändler eine überreife Tomate in den Mund. Das Geschäft geht dem Ende zu, die meisten Stände schließen gerade, schnell wandern noch die letzten Waren über den Tisch. Gegen 14.30 Uhr beginnt täglich das große Aufräumen. Riesige Stapel an Holzkisten werden dann auf winzige Wägelchen geschlichtet. Binnen Minuten türmen sich Müllsäcke und Berge an Obst- und Gemüseresten, die zurückgelassen werden. Das Festessen für Tauben kann beginnen. Am Fuße des imposanten steinernen Denkmals von Giordano Bruno sitzen gemütlich Touristen neben Einheimischen, die dem bunten Treiben zusehen: wie der Honighändler noch lange ausharrt, obwohl ihn die Müllberge schon fast verschlucken. Und auch der T-Shirt-Verkäufer denkt nicht an Dienstschluss: Ein paar „I Love Roma“-Shirts und einige „Godfather“-Küchenschürzen bringt er sicher noch an den Mann. Die Restaurants am Platz machen ihren Gästen allerdings Stress, sie deuten auf die Uhr, schicken hungrige Touristenfamilien wieder weg: Um drei Uhr sperrt die Küche. Avanti, avanti.

In dem Essay „Was ich in Rom sah und hörte“ (1955) beschreibt Bachmann diesen Markt: wie jeden Samstag, wenn „nur mehr die Blumenfrauen zurückbleiben, wenn der Gestank von Fisch, Chlor und verfaultem Obst auf dem Platz verebbt“, der Abfall auf einen riesigen Haufen zusammengetragen und dann verbrannt wird. Obwohl Bachmann in all ihren Texten, in denen Rom vorkommt, Klischees so weit wie möglich vermeidet oder sogar gezielt bricht, sieht man doch: Rom schärft den Blick fürs Morbide, für die Vergänglichkeit im Alltag.

Ende 1965 zog Ingeborg Bachmann zum vierten Mal nach Rom. Aber diesmal sollte es endgültig sein. Ihre Wohnung in der Via Bocca di Leone 60 liegt unweit der Spanischen Treppe – des größten Jugendtreffpunkts Roms –, in einer Seitengasse der Nobel-Einkaufsmeile Via Condotti, gleich um die Ecke von Edel-Shops wie Prada, Louis Vuitton oder Yves Saint Laurent, also all jenen Läden, die die modebewusste Autorin sicher interessiert haben. „Ihre Extravaganz in der Kleidung und Schminke, ihre Zerstreutheit und Schüchternheit fast allem gegenüber waren sprichwörtlich in Rom“, erinnert sich die Literaturveranstalterin Maria Gazzetti an die Schriftstellerin. Auf Fotos sieht man Bachmann auf ihrer Terrasse die Zeitung lesen oder ihre Oleander gießen – so viel Idylle war man bislang von der Autorin gar nicht gewohnt. Das schmale, vierstöckige Haus, in dem Bachmann viele Jahre wohnte, sieht heute, frisch renoviert, gepflegter aus als damals. Im Erdgeschoß ist nun ein Fitness-Studio untergebracht, die schwere Eisentür am Eingang geht ständig auf und zu, gleich fängt die Pilates-Stunde an. Belebt wie das Haus auch heute ist, war es wohl schon zu Zeiten von Bachmann kein idealer Ort, um in Ruhe zu arbeiten. Bachmann, die sich in ihrer Wohnung, wie sie in Briefen häufig beteuerte, sehr wohl fühlte, klagte zuweilen doch – halb ironisch, aber dennoch genervt – über den Krach auf der Via Bocca di Leone und darüber, dass ein Wiener Bierlokal ihr die Luft auf der Terrasse verpeste. Beim Schlendern durch diese Gasse könnte man die Gedenktafel für Ingeborg Bachmann, die seit dem Jahr 2000 hier angebracht ist, glatt übersehen: Sie hängt in gut drei Meter Höhe.

Rom ohne Lärm – das ist schwer vorstellbar: ein ungeduldiges Hupen an jeder Straßenecke und ein heftiges Diskutieren vor jedem Haustor. Mag New York eine Stadt sein, die niemals schläft: Rom hingegen schweigt nie. Irgendetwas muss immer lautstark besprochen werden. Und Lärmbelästigung scheint ohnehin hier ein Fremdwort zu sein. Nicht allzu weit von der Bachmann-Gedenktafel entfernt hängt ein fast unleserlich vergilbtes Klingelschild, auf dem, kaum erkennbar, „Atelier Austria“ steht. Seit vielen Jahren wird im engen Gassenlabyrinth der römischen Innenstadt ein kleines Schreibzimmer an österreichische Stipendiaten vergeben. Die Liste all jener Autorinnen und Autoren, die hier waren, ist lang: von Martin Amanshauser über Thomas Glavinic bis Bernhard Studlar und Linda Stift. „Es war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich jede Nacht mit Ohropax schlafen musste“, erinnert sich Studlar an seinen Monat in Rom. „Nachdem die Lokale endlich geschlossen hatten, kam die Müllabfuhr, und dann hörte man schon wieder die ersten Lieferanten. Ruhig war es einfach nie.“

Auch der in Klagenfurt lebende Autor Josef Winkler war in Rom. Der prächtig gelegene, aber völlig touristische Markt Campo de’ Fiori, über den Bachmann einst geschrieben hat, konnte ihn allerdings nicht begeistern. Für seine Novelle „Natura morta“ (2001) suchte er abseitigere Orte auf, er tauchte ein in das üppige Treiben in der Markthalle bei der Piazza Vittorio Emanuele. Nur eine Station vom zentralen Bahnhof Termini entfernt, ist Rom hier längst kein Vorzeigeprospekt mehr. Schon in der U-Bahn-Unterführung springt einen unverhohlen das Fleischliche an: Ein Bettler streckt den Passanten provokant seinen nackten Klumpfuß entgegen. Der überdachte Markt ist wahrscheinlich einer der multikulturellsten Orte Roms – das Fleischgeschäft ist fest in den Händen der Araber, Verkäufer aus Sri Lanka stehen neben jüdischen Händlern, Asiaten verkaufen Fischspezialitäten. Es riecht nach Fisch, fremdartigen Parfüms und prächtigem Gemüse der Saison. Wie jeder Markt ist auch dieser eine große Theaterbühne, ein prächtiges Stillleben und ein Ort, an dem von früh bis spät der Schmäh rennt.

Ein Haus wie eine Festung: Ingeborg Bachmanns letzte Wohnung im Palazzo Sacchetti in der Via Giulia 66 erinnert an ein Kloster. Dunkle, dicke Wände, vergitterte Fenster im Erdgeschoß und ein strenger Portier. „Bitte keine Fotos, das ist verboten“, sagt er. „Wissen Sie denn, dass die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in den siebziger Jahren hier gewohnt hat?“ – Auch diese Frage prallt an ihm ab. Nein, das sei ihm nicht bekannt, meint er, und man möge bitte den Innenhof sofort verlassen. Nichts erinnert in dem Haus an die Autorin, keine Gedenktafel, keine Inschrift. 1972 ist Bachmann hierher gezogen, in eine für Rom erstaunlich ruhige Gegend, ein Jahr später ist sie hier fast verbrannt. Es ist eine repräsentative Ecke: Ein Antiquitätenhändler reiht sich an den nächsten, gleich um die Ecke liegt malerisch der Tiber. Die Maisonettewohnung in dem Renaissancepalast aus dem 16. Jahrhundert ist größer als ihre früheren Unterkünfte. Der Abschluss von „Malina“ und des Erzählbands „Simultan“ 1971 und der Umzug hatten Ingeborg Bachmann allerdings sehr erschöpft. In der Schlussphase von „Malina“ hat sie das Haus kaum mehr verlassen und arbeitete bis zu 18 Stunden täglich. In ihren letzten Jahren in Rom isolierte sie sich zunehmend. Sie überlegte sogar, kurz vor ihrem Tod, nach Wien zurückzukehren. Nach einer Lesereise im Mai 1971 schrieb sie an Uwe Johnson: „Wien ist noch schöner und seltsamer, als ich befürchtet hatte.“ Begraben ist die Autorin allerdings weder in der Ewigen Stadt noch an jenem Ort, an dem fast alle ihrer Romane spielen, nämlich in Wien: Sie liegt – auf Wunsch ihrer Familie – auf dem Annabichl-Friedhof in Klagenfurt.

Reise. Viele österreichische Autoren haben weit über die Landesgrenzen hinaus ihre biografischen und literarischen Spuren hinterlassen: In Istanbul, einer der am dichtesten bevölkerten Städte Europas, findet sich etwa eine überraschend umfassende Austro-Bibliothek. Die Klagenfurter Dichterin Ingeborg Bachmann lebte und starb in Rom; der k. u. k. Literat Franz Werfel thematisierte in seinem 1933 veröffentlichten Historienepos „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ den Völkermord an den Armeniern durch die türkischen Belagerer, und die Linzer Autorin Anna Mitgutsch sammelte während mehrerer Aufenthalte in Israel Stoff für ihren Roman „Abschied von Jerusalem“ (1995); die Indien-Visiten von Büchnerpreisträger Josef Winkler finden sich als literarisches Echo in dessen Werk – von „Domra – Am Ufer des Ganges“ (1996) bis „Roppongi“ (2007). Nach der 2008 unternommenen Erkundung zentraler literarischer Schauplätze der Donaumonarchie begibt sich profil in einer neuen mehrteiligen Serie auf die Fährte der historischen und gegenwärtigen Spuren, die Österreichs Literatur im Ausland hinterlassen hat – unter anderem in Rom, Tel Aviv und Neu-Delhi.

Karin   Cerny

Karin Cerny