Taxonomie: Qual der Wahl
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Taxonomie: Qual der Wahl

Die EU-Taxonomie bringt nicht nur für die Finanzbranche weitreichende Änderungen.

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von Robert Prazak

Was ist Taxonomie?

Die EU-Taxonomie ist ein Klassifikationssystem für nachhaltiges Wirtschaften. In einem ersten Schritt stehen Umweltziele wie Klimaschutz oder Biodiversität im Fokus. Insgesamt soll definiert werden, welche wirtschaftlichen Aktivitäten nachhaltig sind.

Die Aufregung ist groß, nicht nur in Österreich: Die EU akzeptiert Atomkraft und Erdgas zumindest vorläufig als Teil ihres grünen Klassifikationssystems, Taxonomie genannt. Die Angst, Firmen und Haushalte könnten durch einen Umbau der Energieversorgung im Dunkeln stehen, hat den entsprechenden Lobbying-Bestrebungen Tür und Tor geöffnet; Atom und Gas werden zu „Brückentechnologien“ und als grün eingestuft. Auch Finanzexperten sehen das als Rückschlag für diese Taxonomie, die ohnehin schwer durchschaubar ist: Wenn ein sogenanntes ESG-Investment solche Bereiche enthalten kann – was soll man dann von ESG insgesamt halten? Die Glaubwürdigkeit von ESG-Anlagen könnte darunter leiden. ESG steht für Environment, Social, Governance; gemeint sind demnach Aspekte der Nachhaltigkeit wie Klimaschutz oder soziale Verträglichkeit.

Die EU-Taxonomie sei dennoch notwendig, meint Cecilia Siegbahn, Expertin des europäischen Fondsanbieters Nordea: „In den letzten Jahren haben wir eine Zunahme der ESG- und Nachhaltigkeitsdaten gesehen, daher könnte man meinen, dass das Klassifikationssystem der Taxonomie unnötig sein könnte.“ Doch diese Indikatoren würden oft schwer zu vergleichen sein, weil sie nämlich auf unterschiedlichen Methoden der Berechnung beruhen. „Die genauen Auswirkungen sind zwar noch nicht absehbar, aber wir erwarten einen Trend zu jenen Investments, die sich genau an den EU-Richtlinien orientieren.“

Derzeit ist die Auswahl vor allem für Privatanleger aber schwierig, wo sich doch sogar Großinvestoren schwer tun, zwischen grünem Anstrich und ehrlichem ESG-Engagement zu unterscheiden. So mag es erstaunen, dass ESG-Produkte beispielsweise Firmen mit Kohlekraftwerken enthalten können. Für ESG reicht es offenbar, weniger „böse“ zu sein, formuliert es ein Insider der Finanzbranche. Es ist zu erwarten, dass viele Fondsgesellschaften und andere Anbieter Themen wie Atomkraft für ihre Produkte dezidiert ausschließen. Es werde eine Differenz zwischen den Anforderungen der Investoren an klimafreundliche Investments und den genauen Anforderungen der Taxonomie geben, meint Nordea-Expertin Siegbahn. „Das wird anfangs eine große Herausforderung für Berater und Vertriebsfirmen sein.“ Die Firmen wiederum, die auf Investments hoffen, müssten verstehen, was von ihnen erwartet wird, um in Sachen Nachhaltigkeit attraktiv zu sein. Bei Nordea selbst werden die EU-Anforderungen im Rahmen eines ESG-Projekts von mehreren Teams in unterschiedlichen Bereichen umgesetzt – unter anderem bei der Interpretation der rechtlichen Auswirkungen oder bei der Umsetzung im operativen Bereich.

Taxonomie und Finanz

Investoren wollen (oder müssen) in klimafreundliche und sozial verträgliche Projekte und Unternehmen investieren. Doch die Auswahl ist schwierig, denn Nachhaltigkeits- und ESG-Berichte entstehen oftmals nach dem Äpfel-und-Birnen-Prinzip: Die Reportings sind schwer zu vergleichen, weil manche Akteure nur jene Bereiche herauspicken, in denen sie gut dastehen. Eine aktuelle Publikation, die im Auftrag des deutschen Umweltbundesamtes unter anderem vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung erstellt wurde, schlägt nun konkrete Maßnahmen vor, wie die EU die Standards in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung verbessern könnte. Die Vorschläge könnten auf Widerstand stoßen, denn es wird unter anderem empfohlen, statt einer freiwilligen CO2-Kompensation auf Reduktion der Emissionen zu setzen.

Die EU-Taxonomie sorgt jetzt in der Finanzbranche für den größten Wirbel, doch betroffen sind mittel- und langfristig alle Bereiche der Wirtschaft. Marina Luggauer, Expertin des Beratungsunternehmens KPMG, verweist darauf, dass die Rechtslage noch jung ist und die Bestimmungen erst seit Dezember 2021 in Kraft sind. „Unternehmen tun sich derzeit schwer damit, sich in der Taxonomie zurechtzufinden.“ Es sind momentan nur jene Sektoren umfasst, auf die 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa entfallen. Gewisse Sektoren, wie beispielsweise die für Österreich wichtige Milchwirtschaft sowie die holzverarbeitende Industrie fehlen noch. Hierzulande sind derzeit konkret rund 130 Unternehmen betroffen, dieser Kreis wird in Zukunft aber auf rund 2000 ausgeweitet, die entsprechende Angaben veröffentlichen müssen. „Es gibt für sie allerdings viele Unklarheiten.“ Fest steht: Unternehmen können die Taxonomie nicht umgehen. „Selbst wenn die eigenen Produkte darin nicht enthalten sind, nimmt die Taxonomie Bezug auf alle Investitionen“, warnt Luggauer. Wenn beispielsweise ein neues Hauptquartier gebaut wird, sind die entsprechenden Vorgaben zu berücksichtigen. Das heißt: Unternehmen müssen sich alle Aktivitäten ansehen, von der Gebäudeverwaltung über den Fuhrpark bis zur Abwasseraufbereitung. „Dazu wird in vielen Unternehmen derzeit intern Wissen aufgebaut.“ Ein positiver Effekt ist nach Ansicht der ESG-Expertin die Verschränkung zwischen Controlling- und Nachhaltigkeitsabteilung. ESG wird eben nicht mehr als „nice to have“ gesehen, sondern es wird messbare Kerngrößen geben müssen. „Die Intention der Taxonomie ist gut, daran besteht kein Zweifel. Jetzt gilt es, sich auf den Endzweck zu konzentrieren.“

Börsen und ESG

Für Anleger werden Finanzprodukte, die ESG im Fokus haben, immer interessanter. An der Wiener Börse etwa registriert man weiter steigendes Interesse an ESG-Anleihen, derzeit werden knapp 60 solcher Anleihen angeboten. Zuletzt ist beispielsweise ein neuer Green Corporate Bond der S Immo AG dazugekommen. Die Börse berechnet schon seit 2005 einen Nachhaltigkeitsindex und hat sich selbst als CO2-neutrales Unternehmen zertifizieren lassen. Die Deutsche Börse wiederum bietet Emittenten seit kurzem die Möglichkeit, ESG-Aktivitäten darzustellen. Sollten Unternehmen kein eigenes Nachhaltigkeits-Reporting haben, kann auch das übernommen werden.