Wartesaal Bosnien

Auf der neuen Balkanroute steigt der Migrationsdruck wieder.

Drucken

Schriftgröße

270 Kilometer liegen zwischen der nordwestbosnischen Stadt Bihać und der österreichischen Südgrenze bei Spielfeld. Malerisch schmiegt sie sich in den Talkessel des Flusses Una; die Altstadt mit ihren mittelalterlichen Festungsresten hat Charme. In größeren und kleineren Gruppen fallen auch Menschen südländischen Aussehens auf: Flüchtlinge und Migranten, zumeist aus Pakistan und Afghanistan, die auf eine Gelegenheit warten, über die nahe "grüne" Grenze ins benachbarte EU-Land Kroatien zu gelangen. Die kroatische Polizei geht mit ertappten irregulären Grenzgängern brutal um: Sie schiebt sie ohne große Formalitäten nach Bosnien zurück. Häufig werden Flüchtlinge, wie Betroffene erzählen und Menschenrechtler dokumentierten, verprügelt und ihrer Habe - Geld, Handys, aber auch Schuhe - beraubt. In Bihać und Umgebung kommt es deshalb zu einem Rückstau. Rund 7000 Flüchtlinge und Migranten halten sich derzeit in der 50.000-Einwohner-Stadt und dem umliegenden Kanton Una-Sana auf, der etwa so groß wie das Waldviertel ist. Seit der Rechtspopulist Viktor Orbán die Südgrenzen Ungarns im Herbst 2015 mit Zäunen und Sperren abschottete, hat sich die Balkanroute nach Westen verlagert: Sie führt von Serbien über Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Westeuropa. Zuletzt stieg die Zahl von Menschen, die aus der Türkei über die Ägäis nach Griechenland gekommen sind, signifikant an. 9334 Ankünfte wurden dort im August registriert, mehr als doppelt so viele wie im August des Vorjahres. In diesem Monat ist fast täglich von mehreren Hundert Überfahrten zu hören.

Nach den dramatischen Flüchtlingswanderungen im Sommer und Herbst 2015 war die Route weitgehend stillgelegt worden, indem die EU und die Türkei ein komplexes Rückführungsabkommen vereinbarten. Dieses beinhaltet Milliardenzahlungen an die Türkei, die 3,6 Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien beherbergt - im Gegenzug dafür, dass Ankara die Schlauchboot-Abfahrten von seiner ägäischen Küste unterbindet. Zuletzt wollte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Preis erhöhen; er drohte damit, die Syrer wieder nach Europa zu lassen.

Wie ernst das gemeint ist, lässt sich derzeit noch nicht sagen. In Bosnien sind jedenfalls nur wenige Syrer zu sehen. Früher oder später strandet aber die Mehrheit derer, die in Griechenland angekommen sind, in dem kleinen Balkanland. Mit seiner dysfunktionalen Politik, darbenden Wirtschaft und fehlenden Auffangnetzen ist es für die Bewältigung einer neuen Migrationskrise besonders schlecht gerüstet.

Lesen Sie auch: