MONTENEGRO: Am Tag vor der Parlamentswahl müssen die Behörden einen Putschversuch vereiteln.

Putschgeflüster

In Montenegro, Serbien und Ungarn zündeln Bombenleger, Verschwörer und Nazis. Immer tauchen in ihrem Umfeld russische Akteure auf.

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Es war eine Nachricht mit Knalleffekt, am Abend vor der Parlamentswahl am 16. Oktober: Der montenegrinische Polizeichef Slavko Stojanovic trat vor die Öffentlichkeit und behauptete, dass seine Behörde faktisch einen Putschversuch gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Milo Djukanovic abgewendet habe. 20 Personen, allesamt Staatsbürger des Nachbarlands Serbien, seien festgenommen worden. "Sie sind nach Montenegro gekommen, um später am heutigen Abend Institutionen anzugreifen: die Polizei, Repräsentanten des Staates, auch hohe Staatsbeamte“, erklärte Stojanovic. Als montenegrinische Sonderpolizisten getarnt, hätten sie Djukanovic entführen wollen.

Man könnte den angeblichen Umsturzversuch im kleinen Adria-Land als Räuberpistole abtun, hätten in der Region nicht zahlreiche ähnliche Vorfälle stattgefunden. Zwei Wochen später hob die serbische Polizei im Belgrader Vorort Jajinci nahe dem Wochenendhaus der Familie von Ministerpräsident Aleksandar Vucic ein Waffenlager aus. War ein Attentat auf den Premier geplant, der gegen Widerstände aus den eigenen Reihen den EU-Beitritt seines Landes vorantreibt? Ebenfalls Ende Oktober erschoss in Ungarn ein bekannter militanter Nazi bei einer Polizeirazzia in seinem Haus einen Beamten. Einen Monat zuvor hatte ein Bombenleger in Budapest zwei Polizisten schwer verletzt.

Alle diese Vorgänge haben etwas gemeinsam: Um sie herum spannen sich Fäden, die mal direkt, mal über Umwege nach Russland führen.

In Montenegro ging es bei der Parlamentswahl um viel. Langzeitherrscher Djukanovic gilt als korrupt, viele Bürger, die seine Politik der Unabhängigkeit und Loslösung vom "großen Bruder“ Serbien vor zehn Jahren begrüßten, haben ihn und seine Vetternwirtschaft heute satt. Zugleich ist der Politiker, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Geschicke des Landes lenkt, der Motor der West-Integration. Der Beitritt zur NATO steht bevor, im neuen Parlament wird es nach der Wahl eine knappe Mehrheit für die Ratifizierung geben. Russland ist erbittert dagegen. Es hat viel investiert in Djukanovic’ Mini-Reich - etwa in Hotelburgen und in den kitschig-pompösen Yacht-Hafen Porto Montenegro bei Tivat, wo die Hunderte Millionen teuren Luxusschiffe der Oligarchen vor Anker gehen. Vor allem aber dient die Werft von Tivat der russischen Mittelmeerflotte als einzige Wartungsbasis, sieht man von Latakia im Bürgerkriegsland Syrien ab. Mit dem NATO-Beitritt verliert Moskau diese Anlegestelle an der Adria.

Umsturz-Unterstützung durch Moskau

Dass Moskau Teile der montenegrinischen Opposition unterstützt, ist bekannt. Aber auch militante Umstürzler? Die Putschnachricht am Vorabend der Wahl hatte zunächst etwas Theatralisch-Inszeniertes. 17 der festgenommenen Serben wurden schnell wieder freigelassen. Doch ihr Anführer Bratislav Dikic, ehemaliger Kommandeur der serbischen Gendarmerie, ist seit seiner Pensionierung in klerikal-faschistischen Organisationen aktiv und mit Russland gut vernetzt. Einer der Verhafteten, Aleksandar Sindjelic, hat im ukrainischen Donbas als Söldner aufseiten der russischen Separatisten gekämpft. Die Ukraine führt ihn auf ihrer Liste der 300 meistgesuchten "Terroristen“. Auf Fotos posiert der Hüne mit Pelzmütze, schwarzem Kampfanzug und wallendem roten Bart. Zeitungen in Montenegro spekulierten, dass der Tipp über die Umtriebe der Verschwörer aus der Ukraine gekommen sei.

Bald wurden auch in Serbien Festnahmen gemeldet. Aus Montenegro kamen schwere Vorwürfe an die Adresse Moskaus. In Russland, Serbien und Montenegro sei eine "kriminelle Organisation“ gebildet worden, um mit einem "Terrorakt“ die gewählte Regierung des Landes zu stürzen, erklärte Sonderstaatsanwalt Milivoje Katnic Anfang des Monats. "Wir haben keine Beweise, dass der russische Staat involviert ist, aber wir haben Beweise, dass zwei russische Nationalisten die Organisatoren waren“, fügte er hinzu.

Zuvor hatte bereits die Regierung in Belgrad eine Gruppe russischer Staatsbürger diskret des Landes verwiesen, die angeblich in die Verschwörung im Nachbarland verstrickt waren. Neben Geld und Uniformen wurden bei ihnen Chiffriergeräte gefunden - und zudem Ortungstechnologie, die mutmaßlich dazu bestimmt war, die Bewegungen von Djukanovic nachzuvollziehen.

Offiziell dementierten die Serben eine Verwicklung der Russen in illegale Aktivitäten. Doch kurz nach ihrer Ausweisung traf Nikolai Patruschew, der Chef von Präsident Wladimir Putins Sicherheitskabinett, überraschend in Belgrad ein. Er soll seinen Gesprächspartnern erklärt haben, dass der Umsturzversuch in Montenegro die "Privataktion unkontrollierbarer Elemente“ gewesen sei. Wahrscheinlich ist das nicht. "Beide Seiten haben ein Interesse daran, die Affäre herunterzuspielen, um ohne Gesichtsverlust rauszukommen“, meinte der Moskauer Analyst Wladimir Frolow gegenüber dem britischen "Guardian“.

"Dringender" Attentats-Verdacht

Kaum war Patruschew abgeflogen, fand die Polizei in unmittelbarer Nähe des Wochenendhauses der Familie Vucic nahe Belgrad ein kleines Waffenlager. Eine Panzerfaust, vier Handgranaten und 100 Schuss Munition, eigentlich alte Waffen aus der Zeit des Bosnienkrieges vor mehr als 20 Jahren, lagen im Unterholz an der Zufahrtsstraße zum Anwesen des Premierministers - an einer Stelle, an welcher der Konvoi des Regierungschefs stark abbremsen muss. Der serbische Innenminister Nebojsa Stefanovic sprach vom "dringenden Verdacht“, dass ein Attentat auf Vucic geplant gewesen sei.

Auch Vucic ist den Russen ein Dorn im Auge. Der serbische Premier fährt einen entschlossenen Kurs der Annäherung an die EU. Einen NATO-Beitritt strebt er nicht an, doch will er den russischen Einfluss in seinem Land zurückdrängen. 2012 erzürnte er Moskau, als er den russischen Mitarbeitern eines sogenannten "humanitären Zentrums“ in der südserbischen Stadt Nis den Diplomatenstatus verweigerte, mit dem es ihnen möglich gewesen wäre, Gepäck und Ladegut unkontrolliert durch das Land zu transportieren. In Serbien gehen viele davon aus, dass er damit den Aufbau einer russischen Spionagezentrale in der Nähe zu den Hotspots Kosovo und Mazedonien verhindert habe.

Die eigene Regierungspartei, die rechtspopulistische SNS, folgt Vucic bei seinem Pro-Europa-Kurs nur widerwillig. Der Premier, der einst unter dem serbischen Kriegsherrn Slobodan Milosevic als scharfmacherischer Informationsminister diente, setzt die West-Orientierung nicht der Prinzipien wegen durch, sondern aus Kalkül: Er erhofft sich von der EU allemal mehr als von Russland. Nach innen agiert Vucic autoritär, attackiert unabhängige Medien und geht gegen kritische NGO’s vor. Beobachter befürchten, dass er die Attentatsgerüchte nützen wird, um noch massiver gegen Kritiker vorzugehen.

"Die Russen sind vor allem deshalb auf dem Balkan so stark präsent, weil sich der Westen während der vergangenen Jahre von dort zurückgezogen hat“, analysiert der Journalist Dejan Anastasijevic von der oppositionellen Wochenzeitung "Vreme“. Hinzu komme, "dass die EU zuletzt beim Versuch, irgendein Problem zu lösen, lächerlich und impotent ausgesehen hat - von der Flüchtlingskrise bis zum Handelsabkommen CETA. Die Russen nutzen das aus.“

Orbáns "Freiheitskampf"

Im EU-Land Ungarn führt wiederum der Populist Viktor Orbán seinen "Freiheitskampf gegen Brüssel“, weil ihn das Regelwerk der EU beim autoritären Durchregieren behindert. Am 24. September, eine Woche vor der von Orbán angestrengten, aber erfolglosen Volksabstimmung gegen die EU-Flüchtlingsquoten, detonierte in der Budapester Innenstadt eine Bombe; zwei Polizisten wurden schwer verletzt. Nach fast einem Monat nahm die Polizei den mutmaßlichen Bombenleger fest. Über seine Motive wurde bis heute nichts bekannt.

Doch genau eine Woche nach seiner Festnahme war die Polizei zur Razzia im Haus des militanten Nazis Istvan Györkös in Böny bei Györ (Westungarn) angerückt. Der 75-jährige Führer der Ungarischen Nationalen Front (MNA) erschoss dabei einen Beamten. Bei weiteren Razzien am vergangenen Dienstag fanden die Behörden bei MNA-Zellen im ganzen Land Schusswaffen und Sprengstoff. Die Durchsuchungen seien "im Zusammenhang“ mit dem Budapester Bombenanschlag im September erfolgt, hieß es. Konkreteres verlautete nicht.

Die MNA blieb seit 20 Jahren - unter wechselnden Regierungen - völlig unbehelligt, obwohl Györkös auf seinem Landgut bei Györ regelmäßig Wehrsportübungen veranstaltete, an denen sich auch österreichische und deutsche Neonazis beteiligten. Aber nicht nur sie: Wie sich nach der Verhaftung von Györkös herausstellte, kamen in den vergangenen Jahren auch Agenten des russischen Militär-Geheimdienstes GRU zu den Kriegsspielen in den Wäldern bei Györ.

Orbán selbst pflegt ein gutes Verhältnis zu Moskau. Der staatliche russische Nuklearkonzern Rosatom soll im AKW Paks, finanziert mit russischen Staatsbankkrediten, zwei neue Reaktorblöcke bauen. Neulich fragten Oppositionelle im Parlament Orbáns Außenminister Peter Szijjarto, wie viele russische Diplomaten die seit 2010 amtierende Orbán-Regierung schon des Landes verwiesen hat. Die Antwort: "Seit ich Minister bin (seit 2014, Anm.), bestimmt keinen einzigen - und von der Zeit davor weiß ich auch nichts.“