Ingrid Brodnig

#brodnig: Macht euch gefasst!

Trumps jüngste Rede lässt erahnen, wie unangenehm der US-Wahlkampf 2020 werden wird.

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Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die US-amerikanische Präsidentschaftswahl, die am 3. November stattfinden wird, weniger dramatisch oder weniger schmutzig wird als der Wahlkampf im Jahr 2016. Ein Vorbote hierfür war die State of the Union Address, die jährliche Ansprache des US-Präsidenten zur Lage der Nation: Weltweit wurde berichtet, dass Präsident Donald Trump zuerst der Demokratin Nancy Pelosi den Handschlag verwehrt hatte – und diese nach Ende seiner Rede das Manuskript vor laufender Kamera zerriss. Diese Szenen verdeutlichen, wie erhitzt die Stimmung im gespaltenen Amerika ist.

Besonders perfide war, wie Trump und sein Team im Nachhinein die sozialen Medien benutzten: Auf seinen offiziellen Twitter- und Facebook-Accounts verbreitete der US-Präsident einen Zusammenschnitt der Rede – der jedoch ein eher irreführendes Bild abgibt. Man sieht, wie Trump eine Mutter im Publikum begrüßt, die ein besonders früh geborenes (aber gesundes) Kind zur Welt brachte. Trump spricht einfühlsam über diese schwierige Geburt, und mitten im Jubel wird die Aufnahme von Pelosi eingeblendet, wie sie das Skript zerreißt. Der Eindruck ist irreführend: Die Reihenfolge der Szenen wurde durchmischt, wohl um ein besonders schlechtes Licht auf die Demokraten zu werfen.

Trump wird im kommenden Wahlkampf Grenzen überschreiten, ständig Strittiges posten, seine Fans in Rage und zum Klicken bringen.

Pelosis Pressesprecher forderte daraufhin die Social-Media-Plattformen auf, das Video zu löschen – was Facebook verweigerte. Sinngemäß argumentierte ein Facebook-Mitarbeiter: Der Präsident habe die Aussagen tatsächlich gemacht, und die Demokratin Nancy Pelosi habe die Rede tatsächlich zerrissen. Es stimmt, das Video befindet sich in einem Graubereich – die Aufnahmen sind nicht erfunden, aber gleichzeitig wurden sie unfair zusammengeschnitten. Wir sehen hier: Im Zweifelsfall sind die großen Plattformen zurückhaltend, lassen lieber eine Spur zu viel als zu wenig stehen, erlauben etwas Umstrittenes eher, als es zu entfernen. Der Verdacht liegt nahe, dass Donald Trump auch im kommenden Wahlkampf von dieser Zurückhaltung profitieren wird: Er wird Grenzen überschreiten, ständig Strittiges posten, seine Fans in Rage und zum Klicken bringen – und im Zweifelsfall werden die Provokationen von den Plattformen toleriert und nützen Trumps Agenda.

Wie denken Sie darüber? Schreiben Sie mir unter [email protected] facebook.com/brodnig twitter.com/brodnig

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.